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Review Fakten + Credits


Piggy Filmstill

Piggy ©2022 Pierrot Le Fou

Diskriminierung hat viele Gesichter. Meist reicht es schon aus, wenn man sich als Individuum optisch außerhalb der gesellschaftlichen Norm – natürlich ein völlig eingestaubtes Bild – bewegt, um zum Gespött anderer zu werden. Wer nicht selbst betroffen ist, hat oft nicht die leiseste Ahnung, was ein vermeintlich harmloses Hinterherstarren und ein hämisches Lachen, selbst hinter vorgehaltener Hand, beim Gegenüber anrichten können. In PIGGY sind Blicke und Gelächter noch das kleinstmögliche Übel, dem die übergewichtige Antagonistin Sara tagtäglich ausgesetzt wird. Getarnt als schwarzhumoriger Horrorfilm, erzählt die Regisseurin und Drehbuchautorin Carlota Pereda eine Geschichte über Ausgrenzung, Mobbing und letztlich auch Bewältigung – verliert dabei aber schnell den Blick für die wirklich wichtigen Facetten der heiklen Thematik und lässt dabei einen großen Teil des vorhandenen Potenzials ungenutzt.

Darum geht es

Während andere Teenager in ihrem Alter die Sommerferien mit Freunden am See verbringen oder auf Partys gehen, versucht Sara (Laura Galán) den Interaktionen mit Gleichaltrigen bewusst aus dem Weg zu gehen. Sara ist stark übergewichtig – und ihre Umgebung lässt sie das bei jeder Gelegenheit spüren. Das ständige Gelächter und die bösartigen Beschimpfungen ihrer Mitschülerinnen begleiten sie auf Schritt und Tritt. So auch an diesem Tag, an dem Sara in der Hoffnung alleine ein Bad genießen zu können, das Freibad betritt. Statt eines erholsamen Nachmittags erwarten sie erneut physische und psychische Misshandlungen, die jedoch nicht ungesühnt bleiben sollen. Ein geheimnisvoller Fremder nimmt sich Saras Peiniger*innen vor und lässt das geschockte Mädchen unbeschadet zurück. Als deren Verschwinden für Aufsehen sorgt und auch Sara in den Fokus der polizeilichen Ermittlungen gerät, ist das erst der Anfang einer

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Rezension

Basierend auf ihrem gleichnamigen Kurzfilm widmet die spanische Regisseurin Carlota Pereda ihrer Geschichte über eine übergewichtige Teenagerin, deren Mobber durch einen wortkargen Killer eine Lektion fürs Leben erteilt bekommen, mit PIGGY nun einen abendfüllenden Spielfilm. In ihrem Langfilmdebüt beleuchtet Pereda die Geschehnisse nach den Ereignissen, die sich bereits in ihrem mit 12 Mio Aufrufen auf Youtube belohnten, viralen Überraschungshit zugetragen haben. Dieser endete mit einem wortlosen Pakt zwischen Sara und ihrem vermeintlichen Retter und hinterlässt die Zuschauer*innen mit einer zynischen Pointe und einer Handvoll Fragen zurück. Leider weiß PIGGY mit den neugewonnen, sich im Anschluss abspielenden 80 Minuten inhaltlich erstaunlich wenig anzufangen und gewinnt dem Thema Bodyshaming kaum neue Erkenntnisse. Der spanische Horrorfilm baut nach den bedrückenden ersten 20 Minuten merklich ab – und das genau an dem Punkt, an dem der als Vorlage dienende Kurzfilm endet.

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Piggy Filmstill

Piggy ©2022 Pierrot Le Fou

Am effektivsten ist PIGGY während der Exposition. Hier spielt sich der wahre Horror wie so oft in der Mitte der Gesellschaft ab und bedarf dabei keiner übernatürlichen Präsenz oder blutiger Schauwerte. Wenn Sara immer wieder in die Tiefen des Freibads abtaucht, um sich vor den geschmacklosen Beschimpfungen ihrer Peiniger*innen in Sicherheit zu bringen, entgeht der Kamera die Anwesenheit eines versenkten Leichnams im trüben Wasser hinter Sara keinesfalls – das tatsächliche Grauen spielt sich aber im Vordergrund ab. Dass ein Serienkiller sein Unwesen treibt, verkommt zum Beiwerk und macht Platz für den wahren Antagonisten: Diskriminierung, Hass und Vorurteile!

Leider verliert dieser Aspekt im späteren Verlauf immer mehr an Bedeutung. Auch wenn sich PIGGY nicht explizit auf Ursachenforschung begibt und nach einer medizinischen Erklärung für Saras Übergewicht sucht, nimmt ihr Körpergewicht thematisch doch einen großen Teil der abgebildeten Alltagsbeobachtungen aus ihrem Leben ein und reduziert sie als Protagonistin häufig auf ihre körperliche Erscheinung und die damit einhergehenden Klischees. Ihr Heißhunger steht dabei stellvertretend als Symptom der seelischen und körperlichen Qualen, die ihr als Opfer von Mobbing widerfährt – sollte für die Geschichte aber eigentlich gar nicht erst von Relevanz sein. Das Problem liegt schließlich beim Täter und nicht etwa beim Opfer selbst.




Piggy Filmstill

Piggy ©2022 Pierrot Le Fou

Vom Mobber zum Schlachtvieh

Mit dem markanten 4:3 Framing und den natürlichen Bildern orientiert sich der spanische Horrorfilm optisch stark an die jüngst vermehrt auftretende Nostalgiewelle und weist dabei, auch ohne 16-mm Bildstörungen, einige Parallele zum A24 Retro-Slasher X von Ti West auf. Über die visuell ansprechende Ästhetik hinaus bietet der klischeebehaftete Mittelteil jedoch wenig. Nach dem atmosphärischen, sich bedrohlich aufladenden Auftakt liegt die Spannung vorerst brach und auch erzählerisch tritt der Plot lange Zeit auf der Stelle, ehe PIGGY für das blutige Finale nochmal richtig Gas gibt. Während die vorangegangenen Minuten in Sachen expliziter Gewalt noch sehr handzahmen daherkamen, geht es im Schlussakt angenehm blutig und ruppig zur Sache. PIGGY mutiert binnen Minuten zum nicht unbedingt innovativen, dafür aber effektiven Terrorfilm. Den Drahtseilakt zwischen Charakterdarstellerin und Screen-Queen meistert die schauspielerische Neuentdeckung Laura Galán mit Bravour und Übertrumpf dabei, die im Genre vorherrschenden Standards, mit Leichtigkeit. Für die restlichen Figuren sowie den Antagonisten hält das Skript hingegen wenig parat. So verteilt der namenlose Killer zwar Backpfeifen als wäre der heilige Bud Spencer in ihn gefahren und wirkt mit seiner massiven Physis stets bedrohlich, bekommt selbst jedoch keine Hintergründe verliehen und dient ausschließlich als unterstützendes Element für Saras persönliche Entwicklung.

Fazit

Wenn sich eine Horde halbstarker Mobber an einer übergewichtigen Teenagerin vergreifen, folgt die Gerechtigkeit auf dem Fuß – jedoch nicht in Form eines strahlenden Ritters auf einem weißen Ross, sondern mit unbändiger Gewalt! Der spanische Genrefilm PIGGY siedelt sich inszenatorisch irgendwo zwischen schwarzhumorigem Horror-Schocker, geradlinigem Revenge-Thriller und ruhigem Mobbing-Drama ein, lässt bei der interessanten Mischung jedoch das nötige Feingefühl und einen durchgängigen Spannungsbogen vermissen. Als Erweiterung ihres gleichnamigen Kurzfilms, kann Carlota Pereda den Themen Mobbing und Bodyshaming leider keine neuen Erkenntnisse abgewinnen, die die 13-minütige Vorlage nicht bereits abgehandelt hätte. Statt einen Blick über den Tellerrand bekannter Klischees zu wagen, wählt sie den einfachen Weg und stützt ihre wichtige Botschaft auf stereotype Eckpfeiler.

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