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PlatzspitzbabyAls sich im Züricher Platzspitzpark Ende der Achtziger eine der weltweit größten öffentlichen Drogenszenen entwickelte, vergingen viele Jahre, bis die Polizei schließlich hart durchgriff und den Treffpunkt für allerhand Dealer und Rauschgiftkonsumenten 1995 komplett räumte. Bis dahin war der umgangssprachlich auch als „Needle Park“ bekannte Ort für mehrere tausend Menschen nicht nur der wichtigste Spot für den Handel und den Konsum von illegalen Rauschmitteln, sondern auch der Platz, an dem sie lebten und den sie ihr Zuhause nannten. In dieser Welt zwischen Drogen und Armut ist auch die Autorin des autobiographischen Romans PLATZSPITZBABY Michelle Halbheer aufgewachsen. In Zusammenarbeit mit der Journalistin Franziska K. Müller schrieb sie ein Buch, in dem sie ihre eigenen Erlebnisse ihrer Kindheit verarbeitete. Inspiriert von ihrem Werk erzählt der Schweizer Regisseur Pierre Monnard in seinem gleichnamigen Drama eine berührende fiktive Geschichte über ein junges Mädchen, dass gemeinsam mit ihrer heroin- und kokainabhängigen Mutter eben jenen Drogensumpf am Platzspitz verlässt, um in der echten Welt Fuß zu fassen.

Darum geht es…

Die 11-jährigen Mia (Luna Mwezi) hatte keinen schönen Start in ihr noch junges Leben. Als Tochter von drogensüchtigen Eltern lebte sie bis vor kurzem noch in der Drogenhochburg der Schweiz am Platzspitz nahe dem Züricher Bahnhof. Nach der Auflösung dieses Treffpunkts zieht sie mit ihrer Mutter Sandrine (Sarah Spale) in einen Ort im Umland, um dort ein neues Leben zu beginnen. Ihren Vater Andre (Jerry Hoffmann) sieht sie seit der Trennung ihrer Eltern nur noch einmal im Monat. Doch der Neustart gestaltet sich für Mia alles andere als einfach. Nicht nur, dass die Drogen auch weiterhin die größte Rolle im Leben ihre Mutter zu spielen scheinen – auch das Mobbing an ihrer neuen Schule macht ihr zu schaffen. Ihre einzigen Begleiter sind ihr imaginärer singender Freund Buddy (Delio Malär) und die Welt der Musik, in welche sie sich immer wieder zurückzieht, um dem Schrecken des Alltags zu entfliehen. Erst als sie eines Tages in ihrer rebellischen Mitschülerin Lola (Anouk Petri) eine echte Freundin findet, beginnt sie neue Lebensfreude zu entwickeln. Außerdem träumt sie von einer Reise auf die sonnigen Malediven – wäre da nicht Sandrine, die immer tiefer im Drogensumpf versinkt und ihre Tochter mit sich in den Abgrund zieht.

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Rezension

PLATZSPITZBABY ist ein feinfühliges Coming-of-Age-Drama über das Erwachsenwerden unter entsetzlichen Bedingungen von Armut, Hoffnungslosigkeit und Drogen. Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive der jungen Mia, die sehr unter ihrer abhängigen Mutter leidet. Wir betrachten die kaputte Welt um sie herum mit ihren Augen. Doch anders als bei dem thematisch ähnlich ausgelegten A24 Drama THE FLORIDA PROJECT – für das ich hier eine ganz große Empfehlung aussprechen möchte – bei dem die heruntergekommene Umwelt durch die Betrachtung mit unschuldigen Kinderaugen zur abenteuerlichen Entdeckungstour wird, nimmt Mia ihre Umgebung ungeschönt wahr. Das spiegelt sich auch in den authentisch fotografierten Bildern wider. Eingefangen werden diese von Kameramann Darran Bragg, der bereits bei Monnards erster Langfilm-Regiearbeit RECYCLING LILY mit ihm zusammenarbeitete. Der semidokumentarische Look erzeugt dabei ein Gefühl von Nähe und unterstreicht die unverfälschten Eindrücke, die wir von dieser Randgesellschaft erhalten.

Platzspitzbaby

Platzspitzbaby ©2022 Alpenrepublik GmbH

Mia ist in der toxischen Beziehung mit ihrer Mutter gefangen. Dabei lässt Sandrine in ihren klaren Momenten dennoch immer wieder Fürsorge und Liebe für ihre Tochter durchschimmern – auch wenn diese oft anders ausfällt, als es in „herkömmlichen“ Familien üblich sein dürfte. So wird der 11-jährigen Mia das Kiffen nicht etwa verboten, dafür aber nahegelegt den ersten Joint mit ihr zu rauchen, damit die Jungs den schwachen Moment des ersten Highs nicht ausnutzen können. Was folgt, ist eine Lehrstunde im Joint-Bauen inklusive gemeinsamem Drogenkonsum an Mamas Seite. Das ist Fürsorge – nur eben auf Platzspitz-Art. Sandrine ist im Kern kein schlechter Mensch, der sein Kind böswillig vernachlässigt, sondern eine Gefangene ihrer Abhängigkeit, immer auf der Jagd nach dem nächsten Schuss, um ihre Sucht zu stillen. Mit eigener Kraft wird sie von den Drogen nicht loskommen, egal wie gut ihr Wille ist. An dieser Stelle schneiden auch die Sozialarbeiter und die Polizei nicht besonders gut ab – die tatenlos dabei zuschauen, wie Mia weiter ihrer unverantwortlichen Mutter ausgesetzt wird. So herrscht in PLATZSPITZBABY stets eine spürbare Hilf- und Machtlosigkeit, deren lähmende Ohnmacht sich auch auf das Publikum überträgt.

Platzspitzbaby

Platzspitzbaby ©2022 Alpenrepublik GmbH

Ich gibe nöd uf

Durch die lose Dramaturgie und das Fehlen eines stringenten Handlungsbogens gewährt das Drogendrama mit seinen episodenhaften Momentaufnahmen einen realistischen Blick in Mias unstrukturiertes Leben. Die junge Nachwuchsdarstellerin Luna Mwezi kann mit ihrer hervorragenden Darstellung auf allen Ebenen überzeugen und entpuppt sich mit dem Einsetzten des Abspanns auch noch als musikalisches Talent, wenn sie den Titelsong des Films „Ich gibe nöd uf“ zum Besten gibt. Ein echter Gänsehautmoment! Sarah Spale, als drogensüchtige Mutter, bringt ebenfalls eine gute Leistung auf die Leinwand, auch wenn diese nicht annähernd so nachhaltig im Kopf bleibt – was jedoch eher am Drehbuch liegen dürfte, das ihrer klischeebehafteten Rolle wenig Platz für große Facetten gibt. Wieso man sich dazu entschieden hat, Mia mit Buddy einen Fantasiefreund an die Seite zu stellen, bleibt hingegen ein Rätsel. Als Visualisierung ihrer Flucht aus der bitteren Realität mag diese Entscheidung sicherlich Sinn ergeben, leider fühlen sich diese wenigen Szenen – Buddy spielt ab einem bestimmten Punkt gar keine Rolle mehr – aber meist wie ein Fremdkörper an und wirken sich spürbar negativ auf die vorherrschende Stimmung aus.

Fazit

Mit PLATZSPITZBABY ist Pierre Monnard eine berührende lose Adaption des gleichnamigen autobiografischen Bestsellers von Michelle Halbheer und Franziska K. Müller gelungen. Der Schweizer Filmemacher erzählt darin eine sensible Coming-of-Age Geschichte im Rahmen eines authentischen Drogendramas. Auch wenn sich Monnard von Klischees nicht vollkommen freimachen kann, gelingt es ihm doch seinem Publikum einen ungefilterten Blick in das Leben eines Kindes zu gewähren, das an der Drogensucht seiner Mutter zu zerbrechen droht.

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Originaltitel Platzspitzbaby
Kinostart 18.11.2021
DVD/Blu-ray – Release 24.03.2022
Länge ca. 98 Minuten
Produktionsland Schweiz
Genre Drama
Verleih Alpenrepublik
FSK
FSK 12

FSK 12 ©FSK


Regie Pierre Monnard
Drehbuch André Küttel | Michelle Halbheer (Vorlage) | Franziska K. Müller (Vorlage)
Produzierende Peter Reichenbach | Roland Stebler
Musik Matteo Pagamici
Kamera Darran Bragg
Schnitt Sophie Blöchlinger

Besetzung Rolle
Sarah Spale Sandrine
Luna Mwezi Mia
Jerry Hoffmann Andre
Jorik Wenger Yannick
Lea Whitcher Frau Bucher
Esther Gemsch Frau Schuler
Caspar Kaeser Gasser
Emilio Marchisella Kieran
Anouk Petri Lola
Michael Schertenleib K. Störchli
Delio Malär Buddy
Thomas Hostettler Serge

 

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