Rezension
Was an vielen Stellen wirkt wie eine märchenartige Dystopie, die Regisseur Alexandro Avranas in einer nahen Zukunft ansiedelt, ist in der Realität weder eine moderne Dornröschen-Bearbeitung noch ein futuristisches Gedankenspiel. Stattdessen beruht die Geschichte um einen mysteriösen, komaartigen Zustand, in den zunächst Natalias (Chulpan Khamatova) und Sergeis (Grigoriy Dobrygin) jüngste Tochter Katja (Miroslava Pashutina), später auch die etwas ältere Alina (Naomi Lamp) nach einem abgelehnten Asylantrag verfallen, auf einem Phänomen, das bereits seit mehreren Jahrzehnten überwiegend in Schweden zu beobachten ist.
Das Resignationssyndrom, das bei jungen Geflüchteten häufig nach der Ablehnung eines Asylantrages auftritt, ist nicht nur harmlose Abwehrreaktion, sondern führt von Sprach- und Bewegungsverlust bis zu einem vollkommen apathischen Zustand. Diesem verleiht Avranas in anderthalb Stunden nun ein eindringliches, aus allerhand Grau- und Blautönen zusammengesetztes Gesicht, indem er die Auswirkungen dessen auf die einzelnen Familienmitglieder zeigt und sie der entmenschlichenden Abgeklärtheit des schwedischen Asylsystems in bewusst geduldigen Bildern gegenüberstellt.
Stille Stimmen
Marginal eingerichtete Zimmer, kahle Büroräume, kühle Farbgebung bieten die Kulisse für geordnete Dialoge, die in ihrer Strenge an das Frühwerk von Yorgos Lanthimos erinnern. Intime Durchsuchungen und Lachtherapien sind der Realität entlehnt, wirken wie groteske Splitter, die die bürokratischen und psychologischen Hürden immer wieder freilegen. Und mit ihnen jene fortschreitende Entmenschlichung von Schutzsuchenden, die sich durch rigorose Geflüchtetenpolitik auch hierzulande verfestigt.
![Zwei Personen, die jeweils ein Kind im Arm tragen, befinden sich in einem Schwimmbecken, das von grünen und weißen Fliesen umgeben ist. Sie sind im Wasser bis zur Brust und berühren sich mit den Händen im Gesicht. Im Hintergrund ist eine weiße Bank an der Wand zu sehen. [erstellt mit KI]](https://riecks-filmkritiken.de/wp-content/uploads/2025/12/03_QuietLife_c_LesFilms_du_Worso_SFP-1320x933.webp)
Quiet Life ©2025 Les Films du Worso | SFP
Deutlich wird jene auch durch die Darsteller*innen der kleinen Familie, die trotz der Distanz, mit der Avranas ihre Geschichte einfängt, emotionale Momente setzen. Ihre Figuren sind vielschichtig angelegt, sind abwägende Kräfte zwischen empathischer Fürsorge und (Über-)Lebenswillen, deren Suche nach Stabilität durch den Druck von außen erschwert wird. In intimen Familienszenen und einschnürenden Verhörszenen bewegen sie sich authentisch von einem Überfluss an Emotionen bis zur völligen Regungslosigkeit. Und schreien immer wieder auf, ohne je markerschütternd laut zu werden.
Fazit
Wie manche Figuren in QUIET LIFE unsanft im Wasser aufschlagen oder seicht durch ebenjenes hindurchtänzeln, bewegt sich Avranas‘ klinisch gefilmtes Drama zwischen unbequemen und zärtlichen Momenten. In seiner ruhigen Prägnanz beklemmend und eingehend.
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| Originaltitel | Quiet Life |
| Kinostart | 1.1.2025 |
| Länge: | 98 minuten |
| Produktionsland | Estonia |
| Genre: | Drama |
| Regie | Αλέξανδρος Αβρανάς |
| Executive Producer | Чулпан Хаматова |
| Producer | Alejandro Arenas | Sylvie Pialat | Elina Litvinova | Benoît Quainon | Adeline Fontan Tessaur | Reik Möller | Ulf Israel | Olivier Guerpillon | Frida Hallberg | Riina Sildos | Kostas Sfakianakis | Βίκυ Μίχα | Kaarle Aho | Kai Nordberg | Olivier Père | Rémi Burah | Bettina Ricklefs | Carlos Gerstenhauer | Claudia Tronnier | Kristina Börjeson | Christos V. Konstantakopoulos | Isaac Lee | Paz Lázaro | Nando Vila | Sezgi Üstün San | Urte Amelie Fink |
| Kamera | Ολυμπία Μυτιληναίου |
| Visual Effects | Nikos Pittas | Daniel Petsaridis |
| Musik | Tuomas Kantelinen |
| Cast | Чулпан Хаматова, Григорий Добрыгин, Naomi Lamp, Miroslava Pashutina, Ελένη Ρουσσινού, Lena Endre, Johannes Bah Kuhnke, Lisa Loven Kongsli, Sofia Pekkari, Alicia Eriksson, Anna Bjelkerud, Anu Sinisalo, Kristjan Üksküla, Alina Tomnikov, Kolbjörn Skarsgård, Matilda Gross, Emelie Strömberg, Katariina Unt, Ksenia Alekseeva, Merike Kangro |
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![Vier Personen sitzen nebeneinander auf Stühlen vor einem schwarzen Hintergrund. Sie tragen dunkle, formelle Kleidung, darunter Anzüge und Pullover. Ihre Hände sind vor ihnen gefaltet oder liegen auf den Knien. Im Vordergrund liegt ein Tisch, auf dem ein Mikrofon steht. [erstellt mit KI]](https://riecks-filmkritiken.de/wp-content/uploads/2025/12/QuietLife_Main_c_LesFilms_du_Worso_SFP.webp)

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