Originaltitel: Серебряные коньки (Serebryanye konki)
Kinostart: demnächst
Länge: ca. 130 Minuten
FSK: ?
Produktionsland: Russland
Regie: Michael Lockshin
Schauspieler:innen: Fedor Fedotov | Sonya Priss | Yuriy Borisov
Genre: Abenteuer | Drama | Familie
Verleih: Kinostar
Das Lechzen nach Kinofilmen in dieser ungewöhnlichen Zeit will einfach kein Ende nehmen. Doch nun zeigt sich ein Lichtblick am Horizont, denn Kinostar wird am 11.04.21 die erste Filmpremiere in Deutschland im gegenwärtigen Kalenderjahr zeigen. Die Modelstadt Tübingen, die derzeitig eine Widereröffnungsstrategie austestet, bietet dem Verleih die Möglichkeit den Film SILVER SKATES auf der großen Leinwand erstmalig zu zeigen. Selbstverständlich wurde angekündigt, dass dies auch schnellstmöglich in anderen Kinos geschehen soll, sobald diese wieder öffnen dürften. Überraschend dabei ist, dass es sich hierbei nicht um lang ersehnte Filme wie GODZILLA VS. KONG handelt oder vergangene Starts wie RAYA UND DER LETZTE DRACHE, die ebenfalls auf die Leinwand gehören, sondern um ein völlig unbekanntes Werk, welches unter normalen Umständlichen vermeintlich kaum eine Chance hätte, große Aufmerksamkeit zu erregen.
Doch wenn wir erst einmal hinter die Kulissen schauen, so ist schnell feststellbar, dass es sich hierbei um ein äußerst aufwendiges Projekt der russischen Filmindustrie handelt, welches einiges zu bieten hat. Besonders überraschend daran dürfte wohl sein, dass sowohl Regisseur als auch die Hauptdarsteller:innen teilweise ihr Langfilmdebüt geben und somit zwar viele frische Einflüsse den Weg in die Geschichte finden, aber eben auch ein umfangreicher Erfahrungsschatz fehlt. Doch hierbei haben gerade russische Regisseure in den vergangenen Jahren ein überraschendes Talent gezeigt, dies einfach mit einer großen Portion Leidenschaft und unkonventioneller Vorgehensweise zu kompensieren. Ebenfalls bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist die aufwendige Kulissengestaltung, bei der sich viel Mühe gegeben wurde, sie realitätsgetreu darzustellen.
Eine logistische Meisterleistung auf den Spuren von Disney
Da große Teile von SILVER SKATES auf dem Eis spielen, war es eine exorbitante Herausforderung die Flüsse Newa, Fontanka und Moika sowie den Kanal Kryukov so zu verstärken, dass sie das Filmteam tragen würden. Es wurden nach eigenen Angaben rund 10.000m² verstärktes Eis geschaffen. Alle übrigen Szenen wurden auf Indoor-Eisflächen gedreht, bei denen es ebenfalls mühselig war sie zu gestalten und Intakt zu halten.
Die Geschichte beruht frei auf dem Kinderbuch „Hans Brinker oder Die silbernen Schlittschuhe“, welches erstmals 1865 als Roman der amerikanischen Autorin Mary Mapes Dodge veröffentlicht wurden. 1890 wurde das Buch vom Verlag Thienemann Stuttgart adaptiert und nach Deutschland gebracht. Die Story wurde bereits zweifach verfilmt, einmal als Animationsfilm aus dem Jahr 1991, aber auch Disney adaptierte das Werk und veröffentlichte einen Realfilm, welcher bereits 1964 veröffentlicht wurde und 2004 auch auf den deutschen Markt kam. Die wesentliche Geschichte wurde jedoch in der hiesigen russischen Adaption weitestgehend über Bord geworfen und man bediente sich nur noch einigen symbolischen Elementen. Insbesondere ist der Unterschied darin erkennbar, dass es sich bei früheren Versionen entsprechend der Buchvorlage um Kinderfilme handelte, während die aktuelle Produktion sich etwas mehr an einem erwachseneren Klientel orientiert.
Darum geht es…
Zur Weihnachtszeit und kurz vor der Jahrhundertwende, im Jahr 1899, gleicht St. Petersburg einem traumhaften Winterwunderland. Die Flüsse sind gefroren und dienen nicht nur als Ort für rasante Schlittschuhfahrten, sondern sie gleichen einem Marktplatz, da es für viele deutlich einfacher ist sich auf dem Eis fortzubewegen als auf den zugeschneiten Straßen. Als Sohn eines armen Mannes hat sich Matvey bereits einen Namen gemacht durch seine herausragend schnellen Schlittschuhkünste, die in seinem Beruf von großem Wert sind. Für eine Bäckerei liefert er Torten aus, doch als wieder einmal die Bourgeoisie seinen Weg kreuzt, ändert sich dies schnell, denn eine verspätete Lieferung sorgt umgehend für eine Kündigung. Doch auf den Märkten der Stadt trifft der gerade einmal 18-jährige auf den Gauner Alex, der es sich mit seiner Bande zur Aufgabe gemacht hat, das reiche Bürgertum zu bestehlen und die Besitztümer umzuverteilen.
Matvey schließt sich der Gruppierung an und beweist mit seinem Talent schnell, dass er als Meisterdieb geboren ist. Während er diese Fähigkeiten mit den Tipps von Alex noch weiter verfeinert, soll er sein Können auch in der Praxis einmal beweisen und bekommt eine kleine Bewährungsaufgabe, bei der er sich an den hochnäsigen Menschen rächen möchte, die ihm seinen Job gekostet haben. Dabei kreuzt die noble Alisa seinen Weg, die es satt hat sich in der pompösen väterlichen Villa eingesperrt zu fühlen und nicht gerade Begeisterung hinsichtlich der anstehenden arrangierten Vermählung ausstrahlt. Es widert sie fast schon an, wie der piekfeine Hochadel noch immer den konservativen Ansichten des Frauenbildes frönen und ihr somit die Möglichkeit genommen wird, ihrer Leidenschaft, dem Studium der Chemie, nachzugehen. Doch vielleicht ist Matvey ihr Ausweg aus diesem abscheulichen Patriarchat.
Rezension
Als ein Mix aus englischem Hochadel, wie wir ihn aus DOWNTON ABBEY kennen, und OLIVER TWISTs Welt, armer und einsamer Kinder mitten in einer großen Metropole, gestaltet auch Regisseur Michael Lockshin diesen Film, welcher sich schon frühzeitig märchenhaft entwickelt. Nicht nur, dass wir hineingeführt werden in eine schier magische Winterwelt voller wundervoller Bilder und zauberhaft liebenswerter Entwicklungen, es wird auch mit Leichtigkeit geschafft kindliche Gefühle zu erwecken und romantische Träumereien zu fokussieren. Dabei bekommen wir einmal eine etwas andere Seite einer russischen Hafenstadt, deren Kulisse sonst eher in Action-Filmen genutzt wird, zu sehen. Mit viel Aufwand und Mühe und einem Blick für das Detail hat Lockshin ein historisches St. Petersburg entwickelt, welches an allen Ecken tolle Überraschungen parat hält. Nach eigenen Angaben ist es jedoch eher seinem Team zu verdanken, da er selbst nicht glaubte, dass kleinste Details einen Unterschied ausmachen könnten.
Besonders beeindruckend ist dabei natürlich der bereits erwähnte Umgang mit den Flüssen, welche als zentrale Straßen dieser Zeit galten. Bildgewaltig inszeniert, bekommen wir einen Einblick in eine uns völlig unbekannte alltägliche Fortbewegung und Kultur, welche zumindest damals so existiert haben soll. Gleichzeitig schafft es Lockshin aber auch die Kontraste der noch immer andauernden Industrialisierung mit einzubauen und dadurch die Schere zwischen Arm und Reich noch eindringlicher zu gestalten. Prunk und Protz werden in SILVER SKATES gekonnt in den Kontrast zum Überlebenskampf der einfachen Leute gesetzt und schließlich auch geschickt miteinander verknüpft.
Altbekannte Geschichte, neu erzählt
Die Geschichte selbst ist zwar nicht gerade spektakulär, denn sie folgt weitestgehend bereits etablierten Erzählmustern und Handlungssträngen (bedürftige Person verliert ihren Job, gleitet in die Illegalität ab und verliebt sich in eine wunderschöne reiche Dame, die den Fängen ihrer Eltern entkommen will um sich selbst zu verwirklichen), dennoch hat man es geschafft diesen klassischen Stil soweit aufzuhübschen, dass er noch immer altertümlich charmant aber gleichzeitig auch modern und gegenwärtig wirkt. Sprich es fällt Zuschauenden recht einfach sich mit den Figuren zu identifizieren, da sich die Handlung nur bedingt auf Probleme der damaligen Zeit stürzt, sondern dabei immer ein wenig auch gegenwärtige Missstände durchblicken lässt, die das Proletariat bewegen.
So wird selbstverständlich die Schere zwischen Arm und Reich eindringlich thematisiert, aber tatsächlich auch Kritik an politischen Entscheidungen geübt. Gerade in Deutschland können wir aktuell bestens nachvollziehen, was es heißt, wenn Produktionsaufträge politisch an nahe Verwandte vermittelt werden, um damit den eigenen Status oder gar die eigene Geldbörse zu stärken. In SILVER SKATES bekommen wir ein ähnliches Thema angeschnitten, welches sich auf die Entwicklung von Schlagstöcken bezieht und auf dessen resultierender Produktionsvergabe. Die Idee dazu beruht allerdings vermutlich eher auf kuriosen Deals, die zuletzt in der Ukraine publik wurden. Auch die Unterdrückung der Frau und das patriarchalische Verhalten, welches am Ende des 19. Jahrhunderts noch übliche Gangart war, findet hier deutliche Erwähnung und wird ähnlich dem Leben von Marie Curie angesprochen.
Das kommt mir bekannt vor…
Die Story orientiert sich zudem scheinbar an weiteren populären Werken, die die Filmwelt geprägt haben. Gerade die zentrale Liebschaft und die Zeichnung der beiden Hauptprotagonist:innen orientiert sich sehr an dem ersten Part von TITANIC. Ironischerweise bekommen wir sogar ein bewohntes Schiff zu Gesicht – fehlt nur noch die ikonische Szene, in der das Pärchen sich auf dem Bug in den Wind legt. Gleichzeitig scheint auch das leider oftmals vergessene Märchen ANASTASIA hier großen Einfluss zu finden, da wiederum ein armer Bursche bestrebt ist eine fast schon königsgleiche Tochter zu retten und ihr den Weg in ein freies Leben in Frankreich zu ebnen. An dieser Stelle sei jedoch gesagt, dass das Motiv der persönlichen Entwicklung der Hauptfigur Matvey viel zu spät Beachtung findet und daher eigentlich überhaupt nicht mehr greift. Unverändert hätte dieses zu einem früheren Zeitpunkt Einfluss finden können, doch nun wirkt es eher wie eine vergessene Szene, die noch schnell rein musste.
Unbedingt erwähnenswert sind auch die vielen Stunts und die Bodenständigkeit der Bilder. Während zwar hin und wieder die Grenzen der Physik aus den Angeln gehoben werden, ist doch deutlich erkennbar, dass die vielen Stunts professionell selbst gemacht wurden und nicht durch billiges CGI oder ähnliche Techniken Ersatz fanden. Zwar gab es offenbar über 200 Künstler:innen, die an den visuellen Effekten des Films arbeiten und mehr als 1.200 Aufnahmen wurden mit Hilfe von Computergrafiken ausgestattet, doch wurde auch ganze fünf Monate daran gearbeitet, dass gesamte Stunt-Repertoire fertigzustellen. Diese sind vor allem in den vielen Schlittschuhfahrten eindrucksvoll zu sehen, die mit Hochgeschwindigkeitswinden, Seilsystem und fliegenden Drähten erstellt wurden, um den Schauspielenden (die ungewöhnlich viele Stunts selbst machten) zu helfen, hohe Sprünge und schnelle Bewegungen sicher und visuell ansprechend auszuführen.
Fazit
Schlussendlich ist es vor allem die Musik, die SILVER SKATES den endgültigen Eindruck eines Märchens verleiht und melodischen Klangwelten, die wesentlich geprägt sind durch ein Streichorchester, Raum zur Entfaltung bietet. Auch wenn man sich ausgiebig Zeit lässt für die diversen Szenen, scheinen diese nie langweilig zu werden, weil sie einfach immer etwas besonderes zu bieten haben. Entweder sind sie visuell charmant gestaltet oder werden durch wundervolle Harmonien oder gar Volksfestähnlichen Momenten ausgekleidet. Romantik, Drama und Spannung finden gleichermaßen ihren Weg in die Geschichte und bieten uns ein abwechslungsreiches Spiel der Gefühle, welches nur schwer erwartbar gewesen ist. Auch wenn der Film seine kleinen Macken hat und vor allem historisch nicht immer genau ist, so hat es der Regisseur dennoch geschafft, dass Disneygebaren früherer Jahre aufzugreifen, neu zu interpretieren und eine tolle russische Geschichte zu erzählen, die sich sehr vage an einer Buchvorlage orientiert.
Ja, ist denn schon wieder Weihnachten? Nicht nur das gegenwärtige Aprilwetter haucht dieser Frage eine andere Bedeutung ein, denn offenbar bekommen Cineasten endlich ein kleines Geschenk geboten! Am 11.04.21 wird die erste Filmpremiere des Jahres in einem deutschen Kino in Tübingen stattfinden, was durchaus aufhorchen lässt, denn wer vermisst nicht die grandiose Atmosphäre, die diese Kulturstätte mit sich bringt? Das überraschende daran ist wohl, dass es sich dabei nicht um einen Film wie GODZILLA VS. KONG handelt, auf den alle sehnsüchtig warten, sondern tatsächlich dieses russische Romantikdrama, welches wohl niemand auf dem Schirm gehabt haben dürfte. Auch wenn der offizielle Kinostart erst noch folgen wird, so bekommen doch ein paar wenige die Chance in eindrucksvolle Winterwelten St. Petersburgs abzutauchen und sich von einer märchenhaften Geschichte begeistern zu lassen, die basierend auf einer Romanvorlage inszeniert wurde.
Silver Skates schafft es dabei die Kunst des Märchenerzählens wieder zum Leben zu erwecken und uns in eine traumhafte Welt zu entführen, die geprägt ist von Romantik und gesellschaftlichen Missständen. Wer sich an Geschichten über den britischen Hochadel erfreuen kann oder begeistert wurde von Oliver Twist, wird auch hiermit eine wunderbare Zeit erfahren, die zwar immer wieder historische Ungenauigkeiten aufweist und doch eine etwas zu lang geratende Spieldauer umfasst, aber zeitgleich ein Bad unterschiedlichster Gefühle präsentieren kann. Ich fühlte mich sehr unterhalten und hoffe, dass dem Film dank der besonderen Veröffentlichung nun ein wenig Aufmerksamkeit zufließen wird.
Schauspieler:in | Rolle |
Fedor Fedotov | Matvey |
Sonya Priss | Alice |
Yuriy Borisov | Alex |
Kirill Zaytsev | Arkadiy |
Aleksey Guskov | Nikolai Nikolaevitch |
Severija Janusauskaite | Severina |
Cathy Belton | Ms. Jackson |
Margarita Adaeva | Praskovia |
Mihail Shelomentsev | Graf |
Bato Shoinjonov | Chingiz |
Aleksandra Revenko | Margo |
Tomofey Tribuntsev | Petr |
Yuri Kolokolnikov | Velikiy Knyaz |
Denis Lavant | Fourier |
Konstantin Murzenko | Trauberg |
Wir sahen Silver Skates gestern Abend bei Netflix – eine Geschichte in solch optischer Opulenz und Perfektion bis ins kleinste Detail, garniert mit einer perfekt dazu passenden Musik: Wirklich ein Fest für Auge, Ohr und die Sinne. :)
In der Tat – nur hat Netflix den ein wenig zur falschen Jahreszeit gebracht :) Sehr schade, dass er nicht großflächiger im Kino zu sehen war und daher bis jetzt etwas untergegangen ist.
Sensationell! Großartiges Opus mit ganz tollen Schauspielerinnen und Schauspielern!