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Stillstehen

Stillstehen ©2021 CALA Filmproduktion GmbH Francesco di Giacomo

Als Hikikomori werden Menschen bezeichnet, die sich bewusst aus der Gesellschaft zurückziehen. In Japan gilt diese Form der Isolation mittlerweile als anerkanntes Krankheitsbild. Erstmalig wurde das Phänomen vom japanischen Psychologen Tamaki Saito im Jahr 1998 benannt, laut seinen Schätzungen sollen zu dem Zeitpunkt ca. eine Million Japaner in selbst gewählter Isolation leben. Das japanische Gesundheitsamt geht hingegen von vorsichtigen 50.000 Hikikomori aus. Dieses Phänomen scheint sich aus dem hohen Leistungsdruck entwickelt zu haben, der auf den Bürgern des Landes lastet. Viele Menschen leben für ihren Job und schaffen es selbst in einer Metropole wie Tokio keine sozialen Kontakte aufzubauen. Man lebt hier Wand an Wand mit seinen Nachbar*innen und bleibt trotzdem allein. Hikikomori fühlen sich überfordert von dem Leistungsdruck der immer schnelllebigeren Welt und begeben sich in völlige Isolation.

Die Hauptfigur in Elisa Mishtos Spielfilmdebüt könnte man ebenfalls als Hikikomori bezeichnen. In dem Film der deutsch-italienischen Regisseurin begleiten wir eine Frau, die sämtliche gesellschaftlichen Konventionen ablehnt und versucht im Stillstand zu leben. Verkörpert wird sie dabei von Natalia Belitski (IN ZEITEN DES ABNEHMENDEN LICHTS, VATERFREUDEN). Neben Natalia Belitski sehen wir in STILLSTEHEN die aufstrebende Newcomerin Luisa-Céline Gaffron (LIEBER THOMAS, SCHACHNOVELLE). Erstmalig war der Film im Rahmen des 37. Filmfest München zu sehen und erscheint nun am 21.01.2022 auf DVD.

Stillstehen

Stillstehen ©2021 CALA Filmproduktion GmbH Francesco di Giacomo

Darum geht es…

Julie (Natalia Belitski) hat nur einen Grundsatz, sie will nichts tun. Sie hat weder einen Job noch eine Ausbildung und lebt in sozialer Isolation. Ihre Eltern sind beide gestorben, und die einzigen Menschen zu denen sie Kontakt hat sind ihr Finanzberater, der für sie das Erbe ihrer Eltern verwaltet und die Mitarbeiter*innen und Patient*innen des psychiatrischen Krankenhauses, in das sie regelmäßig einkehrt. Nun ist es mal wieder so weit. Nachdem Julie im Supermarkt einen Mann kennenlernt und Sex mit ihm in seinem Auto hat, beschließt sie kurzerhand das Auto anzuzünden, vor den Augen des Besitzers. In der Klinik bekommt sie eine neue Betreuerin an die Hand.

Agnes (Luisa-Céline Gaffron) hat ganz frisch in der Klinik angefangen. Doch bereits an den ersten Tagen stößt sie an ihre Grenzen. Sie kommt regelmäßig zu spät und auch zuhause läuft es nicht wie sie es sich vorstellt. Zu ihrem Mann verliert sie langsam den Bezug und auch zu ihrer dreijährigen Tochter kann sie keine Beziehung aufbauen, mit allen spricht das kleine Mädchen, nur mit der eigenen Mutter nicht. Als die beiden unterschiedlichen Frauen aufeinandertreffen wird schnell klar, dass sich die Leben der beiden für immer ändern werden.

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Rezension

STILLSTEHEN ist auf den ersten Blick ein Sozialdrama mit einer sehr interessanten Prämisse: Welche Auswirkungen hat es, wenn wir uns aus dem gesellschaftlichen Leben zurückziehen? Dabei macht Regisseurin Elisa Mishto sehr viele spannende Fragen auf und präsentiert uns zwei sehr unterschiedliche Hauptfiguren, die nicht die klassischen Heldinnen sind. Bisweilen wirken die beiden Frauen unsympathisch und erzeugen in den Zuschauer*innen ein Gefühl von Unverständnis und Frustration. Insbesondere durch die impulsive Art von Julie erwischt man sich immer wieder dabei, dass man ihr wünscht, endlich Konsequenzen tragen zu müssen. Wenn man dann einen Schritt zurückgeht und über den Film reflektiert, fällt auf, dass eben genau diese Emotionen bei uns ausgelöst werden sollen, um uns so den Spiegel vorzuhalten. Auch wenn man hier eine sehr extreme Figur begleitet, überdenkt man nach STILLSTEHEN die gesellschaftlichen Zwänge, denen man unterliegt und fragt sich, ob man nicht selbst ausbrechen kann.

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Stillstehen ©2021 CALA Filmproduktion GmbH Francesco di Giacomo

Neben der Botschaft des Films ist STILLSTEHEN voller beeindruckender Bilder und wird von einem großartigen Soundtrack der Musiker Sascha Ring und Philipp Timm abgerundet. Mishto lässt viele Bilder lang wirken, wir sehen verträumte Landschaftsaufnahmen, blicken in die Räume der Klinik oder wandern durch ein seit Langem verlassenes Haus. Durch den melancholischen Sound wird der Film teilweise zu einer meditativen Erfahrung. Wir blicken dadurch in das Seelenleben von Julie und fühlen die Gleichgültigkeit, die sich tief in ihrem Herzen befindet.

Hölzern und Unwirklich

Leider schafft es STILLSTEHEN nicht vollständig zu überzeugen. Zum einen liegt das an den gestelzten Dialogen zwischen den einzelnen Figuren. Obwohl besonders die beiden Hauptdarstellerinnen ihre Figuren mit Leben füllen, fühlen sich die Gespräche zwischen ihnen doch unnatürlich an. Wie in so vielen deutschen Filmen klingen die Dialoge, als würden sie abgelesen werden, so entstehen Gespräche, die in der Realität niemals geführt werden würden. Dies reißt einen beim Ansehen unweigerlich raus. Mishto hätte ihren Schauspieler*innen mehr Platz für Improvisation geben können, um diese Hürde zu umgehen.

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Stillstehen ©2021 CALA Filmproduktion GmbH Francesco di Giacomo

Zusätzlich wirkt die Welt, insbesondere die psychiatrische Klinik sehr unrealistisch. Die ganze Klinik scheint nur drei Mitarbeiter*innen zu haben, es fehlt an Statist*innen, durch die einzelne Einstellungen mit Leben gefüllt werden. Dies gilt nicht nur für die Klinik, sondern für jede Szene im Film, bis auf ein paar Ausnahmen scheint der Film in einer Welt zu spielen, in der es kaum noch Menschen gibt. Darüber hinaus wirken die Hauptfiguren in einigen Wesenszügen unglaubwürdig oder hätten noch tiefer beleuchtet werden können. Es erscheint auf den ersten Blick schleierhaft, wie eine so inkompetente Person wie Agnes überhaupt einen Job bekommt, bzw. nicht gleich wieder rausfliegt. Könnte aber auch dran liegen, dass außer ihr und einer anderen Schwester niemand in der Klinik arbeitet. Ebenso wäre es sehr interessant gewesen, mehr über Agnes zu erfahren. Wir sehen eine Momentaufnahme von ihr und finden sie unsympathisch, es wäre aber spannend gewesen zu erfahren, was die Unsicherheit in ihr auslöst.

Ein weiterer sehr schwieriger Aspekt von STILLSTEHEN ist der Umgang des Films mit psychischen Krankheiten. Statt hier in die Tiefe zu gehen und psychische Krankheiten zu entstigmatisieren, werden die Patient*innen der Klinik als lustige Freaks dargestellt. Die Kranken sind nur dafür da, um vermeintlich lustige Momente zu erzeugen, im Jahr 2019 hätten wir weiter sein sollen, als auf so billige Gags zurückgreifen zu müssen.

Fazit

Alles in allem ist STILLSTEHEN ein sehenswerter Film, wenn man verkraften kann, dass beide Hauptfiguren wahnsinnige Unsympathen sind. Trotz einiger inhaltlicher Schwächen und fragwürdiger Darstellungen von psychisch Kranken, kreiert Elisa Mishto eine feinsinnige Gesellschaftsbeobachtung, in der ihr es gelingt, einen etwas anderen Blick auf die Probleme unserer Zeit zu werfen. Insbesondere Natalia Belinski und Luisa-Céline Gaffron stellen ihr schauspielerisches Können unter Beweis.

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Julie (Natalia Belitzki) will einfach nichts tun. Sie hat keinen Job, keine Freunde, nur einen Haufen Geld, den sie von ihren Eltern geerbt hat. Nachdem sie bei einem Techtelmechtel das Auto ihres Liebhabers anzündet, landet die junge Frau erneut in der psychiatrischen Klinik. Sie ist ein immer wiederkehrender Gast, nur diesmal wird ihr eine neue Betreuerin zur Seite gestellt. Agnes (Luise-Céline Gaffron) hat gerade angefangen in der Einrichtung zu arbeiten und ist bereits maßlos überfordert, da hilft es nicht, dass sie die Aufsicht für die unberechenbare Julie übernehmen soll.

Regisseurin Elisa Mishto zeichnet in ihrem Film STILLSTEHEN einen feinfühligen Blick auf unsere schnelllebige Gesellschaft und kritisiert den Druck, der auf uns lastet. Mit den beiden Hauptdarstellerinnen hat sie dabei die ideale Besetzung für den Film gefunden. Beide geben ihren Rollen Substanz und Menschlichkeit, allerdings hätte sich das Drehbuch noch tiefergehender mit den Figuren befassen können.

Obwohl der Film einen großartigen Soundtrack und eindrucksvolle Bilder bietet, scheitert er doch an der Handlung und an der unglaubwürdigen Welt. Es wurden kaum Statisten verwendet, sodass die Welt leer wirkt. Auch die Klinik wirkt verlassen, niemand scheint ein Auge auf die labilen Patient*innen zu haben. Diese dienen leider nur als lustige Freaks, was ein falsches Bild auf psychisch Kranke wirft.

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Stillstehen

Stillstehen ©2021 CALA Filmproduktion GmbH Francesco di Giacomo

Originaltitel Stillstehen
Kinostart 17.06.2021
DVD/Blu-ray – Release 21.01.2022
Länge ca. 91 Minuten
Produktionsland Deutschland
Genre Drama
Verleih Farbfilm
FSK
FSK 12

FSK 12 ©FSK


Regie Elisa Mishto
Drehbuch Elisa Mishto
Produzierende Martina Haubrich | Andrea Stucovitz
Musik Apparat | Philipp Thimm
Kamera Francesco Di Giacomo
Schnitt Beatrice Babin | Philipp Ostermann | Cristiano Travaglioli

Besetzung Rolle
Katharina Schüttler Katrin
Martin Wuttke Dr. Herrmann
Natalia Belitski Julie
Jürgen Vogel Herr Vogel
Kim Riedle Caroline
Luisa-Céline Gaffron Agnes
Giuseppe Battiston Rainer
Hildegard Schroedter Luise
Leslie Malton Katrins Mutter
Jules Elting Antonia
Matthias Bundschuh Herr Schmidt
Seda Güngör
Ole Lagerpusch Jan
Torben Krämer Paul

 

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