Staffel 4 – Review Fakten + Credits
Mit etlichen Folgen in Spielfilmlänge und einem knapp zweieinhalbstündigen Staffelfinale hinterlässt die vierte Staffel STRANGER THINGS einen nicht zu verkennenden Fußabdruck im Programm des Streaminganbieters Netflix. Die aktuellsten Folgen des erfolgreichen Mystery-Vorzeigeprojektes brachten nicht nur die Server des Dienstes zeitweise zum Zusammenbruch, sondern auch Fans rundum die Welt ins Schwitzen. Ein Understatement ist die Serie dabei längst nicht mehr. Aus ein paar harmlos blinkenden Lichtern und sich verformenden Wänden hat sich eine Serie mit krachend kalkulierenden Blockbuster-Format entwickelt, die neben sämtlichen Netflix-Projekten auch größere Kinoproduktionen in den Schatten stellt.
Darum geht es
Seit den Vorfällen in der Starcourt Mall ist einige Zeit vergangen. Doch statt eines normalen Highschool-Lebens und unbeschwerter Teenie-Romanzen erwartet Elf und ihre Freunde eine erneute Begegnung mit dem Upside Down: Ein mächtiges Wesen beginnt, Schüler*innen auf grausame Art und Weise zu töten, während es ein noch viel größeres Ziel verfolgt. Elf sieht sich mit einem verdrängten Teil ihrer Vergangenheit konfrontiert, während die Gruppe rundum Mike und Max weiteren Geheimnissen auf die Spur kommt. Derweilen erreicht Joyce eine geheimnisvolle Nachricht aus der weitentfernten Sowjetunion. Dort hat es Jim Hopper hin verschlagen, der nach seiner Aufopferung in der letzten Staffel gefangen genommen wurde. Über die unterschiedlichsten Orte verteilt, müssen die Figuren den Kampf mit den außerirdischen Wesen aufnehmen, der sie letztendlich immer zurück ins Städtchen Hawkins führen wird …
Rezension
Die Rezension enthält leichte Spoiler zur kompletten vierten Staffel von Stranger Things. Einen spoilerfreien Eindruck gibt es am Ende der Rezension im Fazit.
An Größe gewonnen haben nicht nur viele der jungen Hauptdarsteller*innen, sondern abermals der Produktionsaufwand. Wo der Schrecken und die Monstrosität in der ersten Staffel nur im Dunkeln lauerte, ist die Existenz von Kreaturen und fremden Welten nun allgegenwärtig. In den Teasern zur vierten Staffel bereits groß angekündigt, bekommen es die Figuren mit einem noch mächtigeren Gegenspieler zutun, der im Laufe der neun Folgen gleich drei verschiedene Beinamen erhält.
Vecna ist einer davon und zugleich eines der offenkundigsten Relikte der einst vierköpfigen, Dungeon and Dragons spielenden Freundesgruppe. Deren oft als nerdig umschriebenen Eigenschaften werden zusehends von Konflikten verdrängt, das Spiel an sich zum plumpen Aufhänger einzelner Szenen und ihr popkulturelles Wissen häufiger zum Comic-Relief. Dabei hätte gerade der eingeführte Hellfire-Club rundum Hobby-Gitarrist Eddie Munson (Joseph Quinn) reichlich Potential für eine tiefergehende Auseinandersetzung mit der Thematik geboten. Nicht umsonst gerät dieser ins Visier eines Satanismus witternden, vor Gewalt und Selbstjustiz nicht zurückschreckenden Mobs, dessen Personifizierung Jason Carver (Mason Dye) sich jedoch nur als uninteressante Version Stephen Kings Henry Bowers entpuppt.
Liebesgrüße aus der Sowjetunion
Wie bereits am Ende der vorherigen Staffel und im Teasermaterial zur vierten Staffel angekündigt, steht eine große Rückkehr an: David Harbour als Jim Hopper. Auf für STRANGER THINGS ungewöhnlich verschneitem Gelände plant dieser seine Flucht aus den Fängen der Sowjets und spielt somit dem Handlungsstrang von Joyce (Winona Ryder) in die Hände, die in den ersten Folgen wieder fleißig Rätsel entschlüsseln darf. Alles, was danach folgt, ist nicht nur eine vorhersehbare Ausbruchsstory, sondern bietet auch so viel Mehrwert wie das Aufleben und Bestätigen patriotischer Klischees in diesem Kontext. Die Einbindung der außerirdischen Kreaturen, die längst an Grusel verloren haben, ist ernüchternderweise nur dazu da, Hopper als geläuterten Actionhelden zu inszenieren.
Während andernorts die Welten zu kollidieren drohen, kämpfen Hopper und co außerdem mit Mobilitätsproblemen. Eine Lückenfüller-Storyline, die im besten Fall die Beziehung von Joyce und Hopper verfestigt, deren Ausgang jedoch äußerst simpel und kraftlos ist. Einziger Lichtblick: Der deutsche Schauspieler Tom Wlaschiha, der nach seiner Rolle in GAME OF THRONES erneut in einer großen Erfolgsserie zu sehen ist. Die Geschichten rundum Mike, Elf, Max und co sind da nicht nur packender, sondern auch sehr viel dynamischer und eindringlicher erzählt: Nach drei Folgen typischer Eingewöhnungsphase zieht die Staffel in ihren Geschehnissen an und beschert unter anderem Elf eine folgenschwere Hintergrundgeschichte.
Dunkle Vergangenheit, noch dunklere Gegenwart
Staffel 4 beginnt mit einem Paukenschlag. In acht Minuten wird das Publikum ins allbekannte Hawking Lab entführt. Die Wände sind blutverschmiert, das Licht flackert, Leichen liegen am Boden. Ein Massaker hat stattgefunden, und auf den ersten Blick scheint Elf dafür verantwortlich zu sein. Doch stellvertretend für viele Momente in dieser Staffel lässt sich resümieren: „So weit geht die Serie dann doch nicht.“
Nein, eine der Kernfiguren der Serie entpuppt sich nicht als Massenmörderin. Ebenso wenig, wie sich riskante Pläne oder ausweglos erscheinende Kämpfe als schwerwiegend oder gar tödlich für die Hauptcharaktere erweisen. STRANGER THINGS bewahrt sich stets vor vollkommener Düsternis und den wirklich schwerwiegenden Konsequenzen, welche der Handlung mehr Dringlichkeit und der Bedrohung Vecnas noch mehr Konsequenz verleihen würden. Stattdessen wird lieber ein generischer „Mid-Season-Twist“ auf die Bildschirme gezaubert.
Elfs Auseinandersetzung mit der traumatischen Vergangenheit dient derweil dem erneuten Erwachen ihrer Kräfte, der Wappnung für die finale Begegnung mit Vecna. Ebenso in direkter Konfrontation mit dem mehrdimensionalen Killer befindet sich Max, die seit ihrer Einführung nun eine der wichtigsten Rollen der aktuellen Staffel übernimmt. Am schwersten von den Ereignissen der vergangenen Staffel mitgenommen, erhält sie deutlichere Facetten als ihre Altersgenossen, und Sadie Sink gelingt es, ebenso wie Millie Bobby Brown, diese sowohl in aufopferungsvollen Begegnungen als auch in leisen emotionalen Momenten ausdrucksstark und wirkungsvoll ausspielen.
Und was ist mit Mike? Mit Lucas, Dustin und Will? Mit Nancy und Jonathan? Steve? Robin? Suzie? Erica? Sie alle erhalten ihre Momente, wenngleich die einstigen Hauptcharaktere Mike, Lucas, Dustin und Will immer häufiger zu Stichwortgebern und Unterstützern degradiert werden. Fans werden immerhin mit allerhand kurzen Dialogszenen versorgt, die entweder Zwischenmenschlichkeiten ausloten oder den serientypischen augenzwinkernden Humor nicht zu kurz kommen lassen. Nichtdestotrotz entsteht zuletzt in den finalen Folgen der Eindruck, sich mit der Vielzahl an Charakteren und dem Versuch, jedem eine Art Romanze oder andere Form der Charaktertiefe zu verleihen, verhoben zu haben. Zu zerfahren und sprunghaft wirkt die Geschichte, wenn es im zweieinhalbstündigen Finale an dutzenden Ecken und Kanten brennt und die meisten dieser Szenen dann mit ausreichend Plot Armor bestanden werden.
Lauter Horror und Postermotive
Wenn Eddie Munson im Staffelfinale Metallicas „Master of Puppets“ spielt, hat die vierte Staffel STRANGER THINGS ihren wohl ikonischsten Moment erreicht. Dass die Serienmacher weniger an einer gruseligen, dafür mehr an einer episch aufgeladenen Atmosphäre interessiert sind, wird nicht nur darin deutlich. Zwar nehmen auch Bodyhorror-Elemente und die Erscheinungen der Kreaturen stetig zu, von feinsinnigen und angsteinflößenden Horrorkino ist vor allem das actiongeladene Finale weit entfernt. Wie immer wird sich ordentlich durch die Mystery- und Horrorfilmgeschichte zitiert, während der Nostalgiekick durch Hintergrunddetails, in der gleich mehrmals die Handschrift Stephen Kings erkennbar ist, angestachelt wird.
Mit dem Tumult eines Sommerblockbusters fegen die letzten Folgen über die heimischen Bildschirme und beweisen CGI-Fertigkeiten, die nur gelegentlich (wie etwa bei Vecnas Verwandlung) für Stirnrunzeln sorgen. Ansonsten skizzieren sie die im Finale marvelesken Schauplätze so inbrünstig und effektvoll, dass man sich manchmal die einfachen, sich verformenden Wände aus Staffel 1 zurückwünscht. Stimmungsvoll sind diese CGI-Welten dann, wenn sie in altbekannter Manier mit Leuchtelementen spielen, weniger, wenn sich Elf und Vecna in einfallsloser, rottöniger Kulisse gegenüberstehen.
Die neuste Staffel STRANGER THINGS beginnt mit einer gewohnt überschaubaren Einführung und erreicht in ihren Folgen „Kapitel vier: Lieber Billy“ und „Kapitel sieben: Das Massaker im Hawkins Lab“ Serienhöhepunkte. Auch schaffen es die Folgen bis dahin, ihre überlangen Spielzeiten zu kaschieren und mit allerhand Fanmomenten und Zitterpartien anzureichern. Die zweite Staffelhälfte, bestehend aus den letzten beiden Folgen, verdeutlicht jedoch, dass sich die Erfolgsformel nicht ewig ausdehnen lässt. Ausgerechnet auf der Zielgeraden verliert die Staffel ihre Wirkungskraft, weil sie zu viele Charaktere und Handlungen zu jonglieren hat. Bevor sie ihren Höhepunkt ausspielen kann, ist dieser Schall und Rauch und nur ein Appetizer für die kommende fünfte Staffel.
Fazit
Nach fast neun Folgen in Spielfilmlänge ist der Durst nach neuen Abenteuern aus Hawkins und dem Upside-Down gestillt. Zwar gelingt es vor allem in der ersten Staffelhälfte die Überlänge erfolgreich zu verschleiern, doch spätestens das Finale übersieht den richtigen Zeitpunkt, um ein Ende zu finden. Die vierte Staffel von STRANGER THINGS setzt einen neuen Superlativ sowohl innerhalb der Serie als auch innerhalb des Streamingdienstes und fegt häufig in bester Blockbuster-Manier über die Bildschirme. Unter der deutlichen Entwicklung zu der Eventserie schlechthin leiden vor allem die leisen und subtileren Töne und der Mut zu konsequenten und einschneidenden Erzählungen. Zunehmend unausgewogen und zerfasert wirkt obendrein die Handhabung etlicher Figuren und Handlungen, die vor allem Fanservice bereithalten sollen. Mit seiner Größe, seinen popkulturellen Dimensionen und seiner überragenden Fanbase lässt sich STRANGER THINGS jedoch auch noch nach Staffel 4 als Serienphänomen bezeichnen.
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