Als am 20.03.2003 die ersten Bomben in Bagdad fielen, war dies der Beginn eines der schrecklichsten Kriege der jüngeren Vergangenheit, der mit der Eroberung der Hauptstadt Iraks und dem Sturz des ehemaligen Diktators Saddam Hussein für beendet erklärt wurde. Doch auch anschließend sollte ein bürgerkriegsähnlicher Zustand noch bis ins Jahr 2011 anhalten und viele hunderttausende zivile Opfer fordern. Die mutmaßlichen Beweise von Biowaffen, die der Irak unter der Leitung Husseins um die 2000er hergestellt haben sollte, dienten damals als Rechtfertigung für den Angriff auf das Land im Mittleren Osten.
Nun ist zwischenzeitlich allgemein bekannt, dass diese „Fakten“ nicht nur nicht der Wahrheit entsprachen, sondern – viel schlimmer noch – gefälscht waren. Was hingegen die Wenigsten hierzulande wissen dürften ist, was der deutsche Geheimdienst BND (Bundesnachrichtendienst) dabei für eine wichtige Rolle gespielt hat. In seiner Politsatire CURVEBALL – WIR MACHEN DIE WAHRHEIT nimmt sich Regisseur Johannes Naber (ZEIT DER KANNIBALEN, DAS KALTE HERZ) diesem unrühmlichen Stück deutscher Geschichte an und deckt dabei ein Lügenkonstrukt voller Unvermögen und Skrupellosigkeit auf, das eigentlich zu absurd ist um wahr zu sein – eigentlich!
Darum geht es…
Nach seinem Einsatz im Irak ist der Biowaffenexperte des Bundesnachrichtendienst Dr. Wolf (Sebastian Blomberg) fest davon überzeugt, dass Saddam Hussein dort trotz eines Verbots der UN immer noch Anthrax herstellt. Als der irakische Asylbewerber Rafid Alwan (Dar Salim) behauptet, er sei als Chemieingenieur an dem strenggeheimen irakischen Biowaffenprogramm beteiligt gewesen, bekommt Wolf von seinem Vorgesetzten Schatz (Thorsten Merten) die Aufgabe, wichtige Informationen aus ihm herauszubekommen, die diese Behauptung untermauern. Im Austausch gegen Schutz und einem deutschen Pass ist der freundliche Iraker gewillt auszupacken.
Er berichtet, dass Hussein in mobilen Stationen auf LKWs still und heimlich biologische Kampfstoffe herstellt und gewillt ist diese auch gegen den Westen einzusetzen. Die einzigen Beweise hierfür sind eine selbstgemalte Zeichnung der Chemie-Tanks und eine Satellitenaufnahme des mutmaßlichen Lagers. Genug für den BND um die Erkenntnisse mit der Welt zu teilen, ohne dabei zu wissen, dass sie mit diesen Informationen den späteren Beginn des Irak-Kriegs stützen werden. Das Problem bei der Sache ist nur, dass der unter dem Decknamen „Curveball“ bekannte Alwan gelogen hat und keine seiner Informationen der Wahrheit entspricht. Das scheint die CIA jedoch nicht besonders zu stören – und so nehmen die Dinge ihren schrecklichen Lauf.
Rezension
Erster! Das gab es noch nie! Der Bundesnachrichtendienst war der CIA im Jahr 2000 tatsächlich zum ersten Mal einen Schritt voraus und lieferte exklusive Beweise für biologische Kampfstoffe, die im Irak hergestellt werden – und das aus erster Hand. Es regnet Glückwünsche und Anerkennung aus allen politischen und geheimdienstlichen Ecken! Doch dann der Schock: Es war alles nur eine Lüge! Da es natürlich äußerst unangenehm wäre sich an dieser Stelle den Fehler einzugestehen, wird der Fall schnellstmöglich unter den Teppich gekehrt. Was sich wie eine überspitze Parodie liest, ist jedoch traurige Realität. CURVEBALL – DIE MACHT DER WAHRHEIT basiert auf den wahren Ereignissen die sich so zwischen 1999 und 2003 zugetragen haben – lediglich die Geschichte der fiktiven Figur des Biowaffenexperten Dr. Wolf wurde nach einem realen Vorbild hinzugedichtet.
Johannes Naber wandelt mit CURVEBALL – DIE MACHT DER WAHRHEIT auf den Spuren des amerikanischen Regisseurs Adam McKay, der sich in der Vergangenheit mit nicht minder unglaublichen, aber wahren realpolitischen Themen in seinen Filmen auseinandersetzte und diese in schwarzhumorige Satiren verpackte. Anders jedoch als McKay in seinem satirischen Biopic VICE über den Vizepräsidenten Dick Cheney, der während der Amtszeit von US-Präsident George W. Bush eine wichtige Rolle einnahm, fehlt es Naber‘s Film zu großen Teilen an wirklich bissigen Spitzen und cleveren inszenatorischen Kniffen. Während der Amerikaner in seiner Satire mit allerlei kreativen Regieeinfällen, wie dem plötzlich in der Hälfte des Films einsetzenden Abspann, lässt Johannes Naber derartige Raffinesse größtenteils vermissen. Einzig die schwarzhumorige Szene bei einer Gartenfeier, auf der Wolf seinem Vorgesetzten Schatz von einem möglichen Angriff mit Anthrax berichtet und die Gäste im Hintergrund langsam an den von ihm ausführlich geschilderten Symptomen zusammensacken, hebt sich als zynisches kleines Highlight nennenswert ab.
Zu wahr, um schön zu sein!
Über weite Strecken ist CURVEBALL – DIE MACHT DER WAHRHEIT sehr nüchtern erzählt, was sich auch in der, vom Einsatz von eindringlichen Streichern mal abgesehen, eher unaufgeregten Inszenierung widerspiegelt. Aufgrund der Skrupellosigkeit und der Inkompetenz der verantwortlichen Personen, sowie der grundsätzlichen Absurdität des ganzen Geschehens, die immer wieder für offene Münder sorgen dürfte, ist das schwarzhumorige Drama jedoch keinesfalls langweilig oder zäh. Um das Publikum daran zu erinnern, dass es sich hierbei immer noch um eine wahre Geschichte handelt und gleichzeitig einen realgeschichtlichen Kontext zu schaffen, blendet Naber immer wieder Originalaufnahmen in Form von Reden von George W. Bush oder den schockierenden Bildern des Terroranschlags auf das World Trade Center ein.
Fazit
Der deutsche Regisseur Johannes Naber begibt sich für CURVEBALL – DIE MACHT DER WAHRHEIT auf die filmischen Pfade eines Adam McKay’s, um ein brisantes politisches Thema satirisch aufzuarbeiten. Nur lässt er dabei leider ein wenig von dessen kreativer Finesse vermissen. So ist seine Politsatire zwar äußerst informativ und interessant, aber nicht annähernd so bissig und unterhaltsame geraten wie sie hätte sein können. “We make the facts!“ heißt es an einer Stelle in diesem ungeschönten Ausflug hinter die Kulissen eines der größten Skandale in der Geschichte des Bundesnachrichtendiensts. Nun sollt ihr euch zwar keine eigenen Fakten schaffen, aber zumindest eine eigene Meinung – denn eine Sichtung ist der deutsche Film alle Male wert!
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Originaltitel | Curveball |
Kinostart | 09.11.2021 |
DVD/Blu-ray – Release | 17.03.2021 |
Länge | ca. 108 Minuten |
Produktionsland | Deutschland |
Genre | Komödie | Krimi | Historie |
Verleih | Filmwelt |
FSK |
Regie | Johannes Naber |
Drehbuch | Johannes Naber | Oliver Keidel |
Produzierende | Uta Cappel | Cornelius Conrad | Antonio Exacoustos | Stefanie Groß | Amir Hamz | Manfred Hattendorf | Joseph M’Barek | Silke Schütze | Christian Springer | Fahri Yardim |
Kamera | Sten Mende |
Schnitt | Anne Jünemann |
Besetzung | Rolle |
Sebastian Blomberg | Dr. Wolf |
Franziska Brandmeier | Meg Wolf |
Jeff Burrell | John |
Marcus Calvin | CIA Mann |
Mike Davis | Uniformierter |
David A. Hamade | Bassam |
Simon Kerrison | BND Agent |
Virginia Kull | Leslie |
Thorsten Merten | Schatz |
Dar Salim | Rafid Alwan |
Michael Wittenborn | Retzlaff |
George W. Bush | er selbst |
Joschka Fischer | er selbst |
Colin Powell | er selbst |
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