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WO/MEN ist eine Dokumentation von den beiden deutschen Regisseurinnen Birthe Templin und Kristine Nrecaj, welche Kosovo-albanische Wurzeln hat. Der Dokumentarfilm beschäftigt sich mit den Burrnesha: Frauen in Albanien, die dem Patriachat entfliehen wollen, somit ihre Weiblichkeit aufgeben, um sozial als Männer zu leben. WO/MEN folgt dabei sechs Burrnesha, die aus ihrem Leben, dem Alltag, den Freundschaften, aber auch ihrer Geschichte erzählen. Denn es gibt viele Gründe, warum eine Frau eine Burrnesha wird und ihre weibliche Rolle ablegt.

WO/MEN zeigt auf, dass es Frauen gibt, die freiwillig zu Burrnesha werden, um bei ihren Familien zu bleiben, sich frei entfalten zu können, oder weil sie einfach nicht oder nicht schon mit 15 Jahren, wie es damals üblich war, heiraten wollen. Es gibt aber auch die Burrnesha, die keine andere Wahl hatten und von ihren Eltern von Geburt an zu diesem Leben gezwungen wurden. Dieser Hintergrund ist äußerst patriarchal geprägt. Denn gerade auf dem ländlichen Bereich genießen Familien mit männlichen Nachwuchs mehr Ansehen. Wenn es also keine (älteren) männlichen Geschwister (mehr) gibt müssen die Burrnesha der neue Mann im Haus werden.

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Ein optischer Augenschmaus

Allein das Intro von WO/MEN zieht das Publikum sofort in den Bann. Wie im Intro der MISSION-IMPOSSIBLE-Reihe kann dieses bereits Schlüsselszenen aus dem Werk erblicken, wodurch Stimmung und Tenor direkt gesetzt werden. Es ist klar, worum es geht, wer im Mittelpunkt steht und dass die Burrnesha in ihrem Alltag begleitet werden. Ein erfrischendes Intro für Dokumentationen, welches immer mal wieder zum Einsatz kommen darf. Gerade Arte dürfte mit seinen Produktionen einen Blick auf WO/MENs Kinematographie werfen.

Abseits davon ist der Dokumentarfilm sehr direkt gefilmt. Menschen sind entweder im Sitzen für Interviews oder ihrem Alltag zu sehen, es wird die Landschaft Albaniens eingefangen und hin und wieder werden Szenen aus albanischen Talkshows eingeblendet, in denen einige der sechs Protagonist/innen zu Gast sind. Damit ist WO/MEN nicht so künstlerisch wie manch Oscarnominierte Dokumentationen gefilmt, schafft es aber direkt und passend das Leben der Burrnesha in Albanien einzufangen, ohne viel Interpretationsspielraum zu geben.

Aufbrechen von Geschlechterrollen

Das Fliehen in eine männlich sozialisierte Rolle könnte einige Rezipienten an Transidentität sowie trans*Männer erinnern, doch damit haben Burrnesha nur bedingt etwas zu tun. Klar gibt es einige von ihnen, die sich selbst als trans bezeichnen und diese Identität in einem konservativ geprägten Land wie Albanien gern hinter der Rolle der Burrnesha verstecken, aber das ist offen zugegeben nur ein kleiner Teil und die Meisten von ihnen haben kein Problem mit beiden binären Pronomen angesprochen zu werden. Damit zeigen die Burrnesha etwas anderes: das Ausbrechen aus uns bekannten und immer wieder fesselnden Geschlechterrollen.

ein Platz auf dem viele rote Schuhe stehen, zwei Personen gehen von links nach rechts über den Platz auf eine Treppe zu

Wo/men ©2025 missingFILMs

Denn Burrnesha haben oft einen geschlechtslosen Blick auf Menschen. Für sie zählt nur der Charakter. Und das ist vom Vorteil, denn der Mensch ordnet andere Menschen meist auch nur unterbewusst schon in Kasten ein. Gerade durch das Patriachat werden Männer und Frauen in den meisten Gesellschaften unterschiedlicher wahrgenommen. Wenn Menschen aber aufgrund von Geschlecht, Herkunft, Religion, Sexualität oder ähnlichem in Schubladen vorsortiert werden, fällt es definitiv schwerer, die Person gegenüber kennen zu lernen. Mit dem Aufzeigen des Aufbrechens dieser Schubladen bietet WO/MEN den Rahmen zur Selbstreflektion.

Immer noch die alten Werte

Jedoch sind Burrnesha auch nicht von einer (unterbewussten) Indoktrinierung des patriarchalen Blicks befreit. Immer wieder fällt den Zuschauenden in WO/MEN auf, dass die alten Burrnesha recht verquere Ansichten auf Beziehungen haben. Obwohl einige von ihnen das Leben als Burrnesha angenommen haben, um nicht jemand wildfremden heiraten zu müssen, wollen diese jetzt nun Paaren und insbesondere jungen Frauen eigens gewählte Partnerschaften absprechen, da sich in diesen immer häufiger getrennt wird. Dass dies als Errungenschaft gefeiert wird, da Frauen nun nicht mehr im vorbestimmten Käfig der Eltern gefangen sind, sehen die jeweiligen Burrnesha nicht.

Frauen sind jedoch damit unabhängiger und können in der eigens gewählten Partnerwahl Fehler machen. Der Diskurs erinnert an interne Machtkämpfe in queeren Communities, in denen beispielsweise ältere trans*Personen den langen sowie anstrengenden Weg über das TSG nehmen mussten und dann sauer auf das Selbstbestimmungsgesetz waren, da der Weg für weitere trans*Personen nun vereinfacht wird und unnötige sowie unwürdige Hürden wegfallen. Es ist eine Eifersucht über einen einfachen Weg junger Generationen, die damit viel leichter die Möglichkeit haben, sich zu entfalten.

eine dunkelhaarige Frau in schwarzer Lederjacke mitten auf einer kaum befahrenen der Straße

Wo/men ©2025 missingFILMs

Was der Film nicht betrachtet

Abseits davon hat WO/MEN einige Schwächen und geht auf etliche Themen nicht genug ein, oder kratzt nur an der Oberfläche. Die Dokumentation zeigt auf, dass es immer weniger Burrnesha gibt, eben weil immer weniger Mädchen sowie junge Frauen zwangsverheiratet werden und sich damit theoretisch frei entfalten können. Jedoch verschweigt der Film eine immer noch enorme Bedrohung sowie häusliche Gewalt gegenüber Frauen durch ihre (Ex-)Partner, die bis in Femiziden enden kann. An Ende zeigt WO/MEN oberflächlich ein Theaterstück gegenüber Femiziden, aber das reicht in dem Kontext einfach nicht.

Zudem verpasst der in Deutschland produzierte Dokumentarfilm auf Gemeinsamkeiten in westlich kapitalistischen Kulturen einzugehen. Denn wenn eine Frau in diesen erfolgreich werden will, muss sie wie eine Burrnesha jegliche soziale Weiblichkeit unterdrücken, um nicht als schwach zu gelten. Das kapitalistische Patriachart gaukelt Gleichheit vor, solange Frauen sich selbst maskieren und geschlechtsstereotypisch weibliche Frauen teils sogar verhöhnen. So können Frauen auf Arbeit in einer männlichen Sozialisierung Karriere machen, müssen aber zuhause dennoch die Carearbeit übernehmen, da es in patriarchal geprägten Ländern wie Deutschland immer noch die alleinige Rolle der Frau ist.

Auf eine Sache hätte WO/MEN aber definitiv eingehen können, um mehr queere Repräsentation zu zeigen. Denn immer wieder erzählen Burrnesha in dieser Dokumentation, dass sie sich noch nie zu anderen Menschen sexuell hingezogen fühlen. Sie schätzen gerne die Nähe von Menschen, aber keinen sexuellen Kontakt. Manche von ihnen sind sogar lieber in der Natur unter Pflanzen und Tieren. Damit ist ein großer Kreis der Burrnesha definitiv dem asexuellen Spektrum zuzuordnen. Eine Zuordnung, die die Dokumentation hätte thematisieren müssen, da die Repräsentation asexueller Menschen selbst in queeren Communities zu gering ist.

ein junges Mädchen und ein älterer Mann sitzen mit dem Rücken zur Kamera am Strand, vor ihnen das Meer

Wo/men ©2025 missingFILMs

Generell ist es schade, dass WO/MEN weniger auf queere Repräsentation eingegangen ist, denn zwischen Burrnesha und queeren Menschen, die aus binären Geschlechtsrollen ausbrechen, gibt es diverse Gemeinsamkeiten. Hinzu ist es definitiv interessant, dass ein erzkonservatives Land wie Albanien, in dem das Leben für queere Menschen alles andere als leicht ist, die Burrnesha problemlos akzeptiert und diese immer wieder mit männlichen Pronomen angesprochen werden. Aber die Dokumentation geht nicht darauf ein, warum die Menschen zwischen Burrnesha und queeren Menschen die Grenze ziehen und die Zuschauenden sind selbst zur Recherche gezwungen.

Fazit

WO/MEN ist eine solide Dokumentation, die für viele Menschen einen neuen Einblick in das langsam verschwindende Leben der Burrnesha gibt. Jedoch ist der Film nicht der neue Meilenstein am Dokumentationshimmel. Trotz einer Lauflänge von gut eineinhalb Stunden streift WO/MEN immer wieder nur Themen an, oder ignoriert diese sogar, obwohl diese in heutiger Zeit in den Fokus gehören. Zudem ist die Kritik über aktuellen patriarchalen Strukturen zu schwach, was in einer Dokumentation über Personen, die aus dem Zwang von einem vorbestimmten Leben fliehen wollen dünn ist. Für einen interessierten Blick auf diese Subkultur lohnt sich WO/MEN nur bedingt, das Publikum muss sich danach selbst intensiv auf Recherche begeben.

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Originaltitel wo/men
Kinostart 15.5.2025
Länge: 84 minuten
Produktionsland Germany
Genre: Dokumentarfilm
Regie Birthe Templin | Kristine Nrecaj
Cast

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