Unter 10.000 Kindern gibt es etwa 2 bis 3, die vom Asperger-Syndrom betroffen sind, wobei die Wahrscheinlichkeit für Jungs deutlich höher liegt.[1] Diese Entwicklungsstörung macht sich meist erst etwa ab dem 3. Lebensjahr bemerkbar und äußert sich durch Schwierigkeiten in der Motorik, Ungeschicklichkeit und geringe Fähigkeit zur Interaktion. Somit zählt Asperger zum Autismus und ist zwar behandelbar, kann aber nicht geheilt werden. Verschiedene Therapiemöglichkeiten wie die Verhaltenstherapie, ein Kommunikationstraining oder Ergotherapie können die Symptome jedoch lindern und die Alltagsbewältigung erleichtern. Tatsächlich jedoch wird seit diesem Jahr nicht mehr von Asperger gesprochen, sondern nur noch von einer milderen oder stärkeren Form des Autismus, da wissenschaftliche Erkenntnisse ergeben haben, dass eine Klassifizierung verschiedener Autismustypen (noch) nicht möglich ist, da die Abgrenzungen teilweise fließend verlaufen.
Der Regisseur Max Fey, welcher mit ZWISCHEN UNS sein Langfilm-Regiedebüt gibt und zuvor als Editor unter anderem bei DAS ENDE DER WAHRHEIT mitwirkte, kennt aus seinem familiären Umfeld selbst Menschen, die mit Asperger diagnostiziert wurden, und hat eine ähnliche Geschichte erlebt, wie sie hier von ihm geschildert wird. Das Menschen mit dieser Autismusform häufig als Außenseiter betrachtet werden, ist für Fey zwar verständlich, aber berührte ihn zugleich so, dass es ihm den Mut und die Kraft gab, einen solchen Film sowohl als Regisseur, Drehbuchautor als auch Editor zu entwickeln. Seine Hauptrolle hatte er dabei schon im frühen Schaffensprozess im Kopf und entwickelte die Figur Eva ganz nach Liv Lisa Fries Ebenbild. Umso begeistertet war er, als die Zusage der aufstrebenden Schauspielerin zu bekommen, die einst als Europäerin ausgezeichnet wurde, die man gesehen haben müsse. Auch Jungdarsteller Jona Eisenblätter ist mit seinen 14 Jahren kein Schauspielanfänger mehr und zeigt großes Potenzial.
Darum geht es
Als junge und alleinstehende Mutter hat es Eva nicht leicht im Alltag. Nicht nur ihr Job raubt ihr viel Energie, sondern vor allem ihr 13-jähriger Sohn, der autistisch veranlagt ist und dadurch extreme Schwierigkeiten im Alltag besitzt. Doch gemeinsam sind die beiden ein Herz und eine Seele und Eva würde alles dafür tun, damit es Felix an nichts fehlt. Doch besonders in der Schule kann der Junge sich nicht konzentrieren und neigt dazu, mit Angst- und Wutattacken eine Gefahr für seine Mitschüler*innen zu sein. In kürzester Zeit befindet er sich schon auf der dritten Schule, auf welcher er nun von Elena (Lena Urzendowsky) betreut wird, die als Pädagogin versucht, Felix im Zaum zu halten. Jeden Tag aufs Neue muss sich Eva einem Haufen von Problemen widmen, welche drohen, die liebevolle Mutter unter sich zu begraben.
Rezension
ZWISCHEN UNS ist einer der zauberhaftesten Filme des aktuellen Kalenderjahres. Max Fey zeigt deutlich, dass ein schlichtes, aber präzises Drehbuch, kombiniert mit tollen Darstellenden vollkommen ausreicht für eine wunderbare kleine Geschichte, die zudem mit weniger als 90 Minuten Spieldauer endlich einmal Abstand nimmt von den ansonsten viel zu lang gezogenen Dramen der jüngsten deutschen Filmkultur. Wer sich auf diesen hochemotionalen Film einlässt, wird schnell feststellen, dass viele Ähnlichkeiten mit dem Berlinale-Erfolg SYSTEMSPRENGER zu finden sind, auch wenn dennoch eine so klare Abgrenzung existiert, dass eine Vermischung beider nicht möglich wäre. Während nämlich der Karrieredurchbruch von Helena Zengel sich voll und ganz auf das extrovertierte und kaum zu bremsende Kind fokussiert und die Eltern fast vollkommen ignoriert, interessiert sich Fey viel mehr für die Erlebnisse und Schwierigkeiten der Mutter.
Jeder weiß immer, was das beste ist für Felix. Das ist wahnsinnig ermüdend.Zwischen uns
Dieser Perspektivwechsel entstand während des Schreibprozesses, denn der Drehbuchautor hatte zuerst auch im Sinn, die Welt aus den Augen eines autistischen Kindes zu skizzieren und die Gefühle eines solchen Jungen greifbar zu machen. In einem Interview verweist Fey zudem darauf, dass es verschiedene Gedankenspiele der Figurenkonstellationen gegeben hat, doch im Grunde von Anfang an klar war, dass nur Mutter und Sohn als perfektes Leinwandpaar infrage kommen, da einerseits die Bindung zu einer mütterlichen Figur deutlich größer ist und andererseits die körperlichen Entwicklungen im Verlauf der Geschichte ein wesentliches Element darstellen.
Konkurrenz für Zengel
Liv Lisa Fries liefert dabei eine wirklich fantastische Schauspielleistung ab. Teilweise wirkt sie wie eine jüngere Version von der großartigen Nora Tschirner, weiß aber zugleich ihre ganz eigene Persönlichkeit in ihrer Figur auszuleben. Es ist ihr starkes und leidenschaftliches Auftreten, welches dafür sorgt, dass ihre Rolle die nötige Souveränität im Spagat zwischen persönlicher Alltagsbewältigung und Kinderfürsorge vorweist, aber auch ihre Zerbrechlichkeit und Herzenswärme, durch welche die tragische Verzweiflung im Umgang mit ihrem Kind forciert wird. Sie bildet darüber hinaus eine tolle Einheit mit Jona Eisenblätter, welcher hoffentlich nicht mit Helena Zengel verglichen werden wird, da die Rollen vollkommen unterschiedlich angelegt sind und nur oberflächliche Gemeinsamkeiten bieten. Eisenblätter agiert stattdessen so authentisch, dass während des Films unklar war, ob er dies wirklich nur mimt oder womöglich selbst mit Asperger lebt.
Zu sehen bekommen wir den tragischen Verfall einer eigentlich starken Persönlichkeit, die im Reifeprozess des eigenen Sohnes irgendwann nicht mehr die nötigen Kräfte aufbringen kann. Dies deutet sich Stück für Stück an, indem sie zunehmend immer mehr auf Hilfestellungen durch Nachbarn und betreuende Personen angewiesen ist, die jedoch selbst oftmals an die Grenzen ihrer Möglichkeiten kommen. Tragischerweise werden hier mehrere Nebenfiguren eingeführt, die allesamt viel zu wenig Screentime bekommen und sich kaum entfalten können. Besonders die Rolle des Pelle, die von Thure Lindhardt verkörpert wird, ist äußerst sympathisch und verdient es mehr Aufmerksamkeit zu erhalten, wird jedoch in allen Belangen nur als Notnagel missbraucht. Leider geht diese Ignoranz gegenüber der verschiedenen Nebencharaktere sogar so weit, dass die Bedeutung von Elena, die von Lena Urzendowsky gespielt wird, vollkommen untergeht und unklar bleibt, wozu sie überhaupt eingeführt wurde.
Unmittelbare Angst
Zudem leidet ZWISCHEN UNS unter dem typischen deutschen Problem: unnahbare Drehbuch-Dialoge, die gerade zu Beginn für eine unschöne, steife Art sorgen. Es ist einfach unangenehm, Filme zu schauen, in denen die Interaktionen extrem gestellt sind und nicht wie spontane und ungeplante Gespräche wirken. Im Verlauf der Handlung bessert sich dies zwar merklich und sowohl Protagonistin als auch Deuteragonist scheinen davon kaum betroffen, doch ist es schlimm genug, dass alle anderen nicht oder nur wenig mit solcher Natürlichkeit glänzen können.
Was in der personellen Umsetzung etwas unglücklich scheint, wird jedoch in der Bildsprache wieder wettgemacht und Fey bedient sich zwar einer recht simplen Bildgestaltung, die oftmals von schummrigem Licht und kontrastreichen Szenen geprägt ist, gleichzeitig aber auch eine grandiose lange Schwarzblende mit einbringt, welche die pure Angst ausdrückt und das Publikum regelrecht mit in ein massives Trauma reißt. Kontrollverlust und Hilflosigkeit schafft Fries auch ohne viel Dialog und störendes Overacting tadellos zu transportieren. Die gesamte Stärke von ZWISCHEN UNS konzentriert sich vor allem auf die letzte halbe Stunde, welche sowohl mit einem unerwarteten, aber perfekt getimten Zeitsprung aufwartet als auch mit einer grandiosen Schlussszene, die so viele Möglichkeiten der individuellen Interpretation bietet.
Fazit
Wieder einmal beweist ein Langfilm-Regiedebütant, das frische Ideen für das deutsche Kino essenziell wichtig sind und mit Leichtigkeit die alt eingestaubten Krimis in den Schatten stellen können. Zwar ist ZWISCHEN UNS nicht frei von Ungenauigkeiten und Schwächen, doch die beiden Hauptdarstellenden liefern uns eine fabelhafte persönliche Geschichte, die den Blick nicht auf die offensichtliche Problematik legt, sondern einmal einen Dankesruf an alle Mütter richtet und zeitgleich diese verborgenen Heldinnen feiert. Doch auch ein paar wichtige Botschaften werden nicht ausgelassen, nicht zuletzt, dass es nicht schlimm ist, im Leben zu scheitern und nicht weiter zu wissen, sondern dass ein solcher Punkt durchaus auch ein neuer Anfang sein kann. Mit einem solchen Werken lohnt es sich wieder, deutsche Filme im Kino anzuschauen.
Quelle
Das insbesondere die Gesellschaft eine große Herausforderung bildet für autistisch veranlagte Menschen, ist leider immer noch bittere Realität und wird glücklicherweise immer wieder in kleineren Filmen ins Gedächtnis gerufen. Doch nicht nur die Personen selbst haben mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen. So wirft ZWISCHEN UNS einmal einen Blick auf die wohl wichtigste Person im Leben eines jeden Menschen: die immer starke Mutter, die scheinbar schafft, alle Probleme zu beseitigen. Wie es in ihr selbst jedoch aussieht und mit welchen Dämonen sie zu kämpfen hat, bleibt oftmals der Außenwelt verborgen. Dieser Film porträtiert herausragend das Schicksal einer Frau, die als Alleinerziehende eines Jungen mit Asperger-Syndrom täglich einen Weg finden muss, um das Leben zu meistern. Liv Lisa Fries wurde dabei herausragend gecastet und geht eine grandiose Symbiose mit der Rolle des Nachwuchsschauspielers Jona Eisenblätter ein, der mit seinem Auftritt wiederum auf Helena Zengels Welle schwimmt.
Kurz und bündig sehen wir ein herzzerreißendes Drama, in welchem viel mit bedeutungsvoller Bildsprache gearbeitet wird. Zeitgleich ist es etwas tragisch, dass eigentlich toll angelegte Nebenrollen lediglich als überflüssige Zubringer eingebunden werden und selbst keine Möglichkeit der Entfaltung finden, auch wenn dadurch der Fokus weiterhin auf dem Protagonisten-Duo bleibt.
Out of 10,000 children, there are about 2 to 3 who are affected by Asperger’s syndrome, with the probability being significantly higher for boys.[1] This developmental disorder usually only becomes noticeable from around the age of 3 and manifests itself through difficulties in motor skills, clumsiness and low ability to interact. Asperger’s thus counts as autism and is treatable, but cannot be cured. However, various therapies such as behavioural therapy, communication training or occupational therapy can alleviate the symptoms and make it easier to cope with everyday life. In fact, however, as of this year, people no longer speak of Asperger’s, but only of a milder or stronger form of autism, since scientific findings have shown that a classification of different types of autism is not (yet) possible, as the demarcations are sometimes fluid.
Director Max Fey, who is making his feature film directorial debut with ZWISCHEN UNS and previously worked as an editor on DAS ENDE DER WAHRHEIT, among others, knows people who have been diagnosed with Asperger’s from his family environment and has experienced a similar story to the one he describes here. The fact that people with this form of autism are often regarded as outsiders is understandable to Fey, but at the same time touched him so much that it gave him the courage and strength to develop such a film as director, screenwriter and editor. He already had his lead role in mind in the early creative process and developed the character Eva entirely in Liv Lisa Fries’ image. He was all the more thrilled when he received an acceptance letter from the up-and-coming actress, who once won an award for being a European who had to be seen to be believed. Young actor Jona Eisenblätter, too, at 14, is no longer an acting novice and shows great potential.
This is what it’s all about
As a young and single mother, Eva does not have an easy time in everyday life. Not only her job robs her of a lot of energy, but above all her 13-year-old son, who is autistic and therefore has extreme difficulties in everyday life. But together they are one heart and soul and Eva would do anything to make sure Felix wants for nothing. But especially at school, the boy cannot concentrate and tends to be a danger to his classmates with his anxiety and anger attacks. In no time at all he finds himself at the third school, where he is now looked after by Elena (Lena Urzendowsky), a teacher who tries to keep Felix in check. Every day anew, Eva has to deal with a pile of problems that threaten to bury the loving mother underneath her.
Review
ZWISCHEN UNS is one of the most enchanting films of the current calendar year. Max Fey clearly shows that a simple but precise script, combined with great actors, is perfectly sufficient for a wonderful little story, which, with a running time of less than 90 minutes, finally takes a step back from the otherwise far too drawn-out dramas of recent German film culture. Anyone who gets involved with this highly emotional film will quickly realise that there are many similarities with the Berlinale success SYSTEMSPRENGER, even if there is nevertheless such a clear demarcation that it would be impossible to mix the two. For while Helena Zengel’s career breakthrough focuses entirely on the extroverted and barely restrained child and almost completely ignores the parents, Fey is much more interested in the experiences and difficulties of the mother.
Everyone always knows what’s best for Felix. It’s insanely tiring.Between Us
This change of perspective came about during the writing process, because the screenwriter also initially had in mind sketching the world from the eyes of an autistic child and making the feelings of such a boy tangible. In an interview, Fey also points out that there were various thought experiments about the character constellations, but basically it was clear from the beginning that only mother and son would make a perfect screen couple, because on the one hand the bond with a maternal character is clearly greater and on the other hand the physical developments in the course of the story represent an essential element.
Competition for Zengel
Liv Lisa Fries delivers a truly fantastic acting performance. At times she seems like a younger version of the great Nora Tschirner, but at the same time knows how to live out her very own personality in her character. It is her strong and passionate demeanour that ensures that her role has the necessary sovereignty in the balancing act between personal everyday life and caring for children, but also her fragility and warmth of heart, through which the tragic despair in dealing with her child is forced. She also forms a great unit with Jona Eisenblätter, who will hopefully not be compared to Helena Zengel, as the roles are completely different and offer only superficial similarities. Instead, Eisenblätter acts so authentically that during the film it was unclear whether he was really just miming or possibly living with Asperger’s himself.
We get to see the tragic decline of an actually strong personality, which at some point can no longer muster the necessary strength in the maturing process of its own son. This is indicated bit by bit as she becomes increasingly dependent on help from neighbours and carers, who themselves, however, often reach the limits of their possibilities. Tragically, several secondary characters are introduced here, all of whom get far too little screentime and can hardly develop. Especially the role of Pelle, embodied by Thure Lindhardt, is extremely sympathetic and deserves to receive more attention, but in all respects is only abused as a stopgap. Unfortunately, this ignorance of the various supporting characters even goes so far that the importance of Elena, played by Lena Urzendowsky, is completely lost and it remains unclear why she was introduced in the first place.
Immediate angst
Moreover, ZWISCHEN UNS suffers from the typical German problem: unapproachable scripted dialogue that makes for an unattractive, stiff manner, especially at the beginning. It is simply unpleasant to watch films in which the interactions are extremely contrived and do not seem like spontaneous and unplanned conversations. This improves noticeably as the plot progresses and both protagonist and deuteragonist seem hardly affected by it, but it’s bad enough that everyone else fails to shine with such naturalness, if at all.
What seems a little unfortunate in the personal realisation, however, is made up for in the imagery and Fey does make use of a rather simple image design, often characterised by dim lighting and high-contrast scenes, but at the same time also includes a grandiose long black fade, which expresses pure fear and literally drags the audience along into a massive trauma. Fries manages to convey loss of control and helplessness flawlessly without much dialogue and disturbing overacting. The entire strength of ZWISCHEN UNS is concentrated above all in the last half hour, which features both an unexpected but perfectly timed time jump and a grandiose final scene that offers so many possibilities for individual interpretation.
Conclusion
Once again, a feature film director proves that fresh ideas are essential for German cinema and can easily outshine the old dusty thrillers. While ZWISCHEN UNS is not free of inaccuracies and weaknesses, the two main protagonists provide us with a fabulous personal story that does not focus on the obvious problems, but for once gives a shout-out to all mothers and at the same time celebrates these hidden heroines. But a few important messages are not left out either, not least that it is not bad to fail in life and not know how to move on, but that such a point can also be a new beginning. With a work like this, it’s worth watching German films in the cinema again.
Source
Originaltitel | Zwischen uns |
Kinostart | 16.06.2022 |
Länge | ca. 86 Minuten |
Produktionsland | Deutschland |
Genre | Drama | Familie |
Verleih | Wild Bunch |
FSK |
Regie | Max Fey |
Drehbuch | Max Fey | Michael Gutmann |
Musik | Andi Otto |
Kamera | Vasco Viana |
Schnitt | Max Fey |
Besetzung | Rolle |
Liv Lisa Fries | Eva |
Jona Eisenblätter | Felix |
Thure Lindhardt | Pelle |
Corinna Harfouch | |
Lena Urzendowsky | |
David Zimmerschied | Martin |
Max Rothbart | Paul |
Agnes Kiyomi Decker | Frau Jansen |
Gonca de Haas | Frau Anthmann |
Christian Ammermüller | Schäfer Kudelka |
Hinterlasse einen Kommentar