Rezension
Mehrere Generationen schon dauert die Suche nach dem gestohlenen Schädel des 1906 ermordeten Songea Mbano. Der rassistisch motivierte Raub dessen ist das zentrale, wenn auch nicht das einzige Beispiel deutscher Kolonialverbrechen, welches Agnes Lisa Wegner und Cece Mlay in ihrem Dokumentarfilm DAS LEERE GRAB ins Licht rücken. Sie folgen dem Fortschritt der langwierigen Suche, die mittlerweile Mbanos Urenkel obliegt, und begleiten sowohl die Nachkommen des ermordeten Anführers in Tansania als auch in Deutschland lebende Aktivist*innen, die hierzulande für eine Aufarbeitung der menschenverachtenden Kolonialvergangenheit kämpfen.
Wie vielseitig und unermüdlcih diese Bemühungen und Bestrebungen sind, zeigt der Film in schnörkel- aber niemals emotionslosen Einblicken in das Leben und den Engagement-Alltag seiner von tansanischen Perspektiven geprägten Protagonist*innen. Vom Kampf um Klarheit und Gewissheit über Kontinente hinweg, die Richtigstellung eines mehr als hunderte Jahre andauernden Unrechts, von Straßenumbenennungen über aufklärende Schulbesuche bis zu dringenden Appellen an die Politik eint die ausdauernden Bemühungen die Tatsache, dass es nicht nur um die konkreten Gegenstände, sondern auch um die grundsätzliche Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit dem Geschehenen geht.
Sind die Kolonialverbrechen im ehemaligen Deutsch-Ostafrika längst Diskussionsgegenstand tansanischen Unterrichts, hinkt die Thematisierung dessen, was in den fokussierten Erinnerung an die Kolonialzeit als grausamstes Kapitel beschrieben wird, hierzulande oft schon genau dort. Dabei zeigen auch die Einblicke in Diskussionen an deutschen Schulen das eingängige Reflexionspotential. Einfühlsam und nachdrücklich verdeutlichen die Regisseurinnen die gravierenden Lücken in der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und liefern einerseits einen wertvollen Beitrag zur Fokussierung der historischen Verantwortung und andererseits ein Mahnmal, dass jene noch längst nicht flächendeckend stattgefunden hat.
Mati Diops Gewinnerfilm der diesjährigen Berlinale DAHOMEY ließ geraubte Kunstschätze, die zurück ins Königreich Benin gebracht wurden, selbst in mystischer Gestalt auftreten, in DAS LEERE GRAB sind es persönlich-familiäre Perspektiven, die sich unter die von Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen begleiteten Interviews und gesellschaftlichen Anklagen mischen. Mühelos geht Agnes Lisa Wegners und Cece Mlays Dokumentarfilm auf, weil sie jene Emotionen und Subjektivität zulässt, die mitunter ebenso intimen Anliegen unabdingbar mit sich bringen. Jede Geschichte, jeder sehnsuchtsvolle Blick, jedes Hoffen auf einen Schritt Richtung nachhaltiger Aufarbeitung wirkt – seien es auch nur Momentaufnahmen.
Fazit
Agnes Lisa Wegners und Cece Mlays DAS LEERE GRAB benennt, reflektiert und fordert: benennt die Unmenschlichkeit, reflektiert die Vergangenheit und fordert die lang verwehrte, nachhaltige Auseinandersetzung. Aufwühlende Einblicke in den vielfältigen Aktivismus und die generationenübergreifende Suche seiner Protagonist*innen zeichnen einen nachdrückliches wie nahbares Porträt des Kampfes für die Thematisierung und Aufarbeitung deutscher Kolonialverbrechen.
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Originaltitel | Das leere Grab |
Kinostart | 23.5.2024 |
Länge: | 97 minuten |
Produktionsland | Germany |
Genre: | Dokumentarfilm |
Regie | Cece Mlay | Agnes Lisa Wegner |
Cast |
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