Der junge Ethnologe Alexander Hoffmann (Leonard Scheicher) ist Doktorant bei Professor Josef Ritter von Waldstätten (Peter Simonischek) an der Friedrich-Wilhelms-Universität. Hoffmann möchte am liebsten Dozent an der Uni werden, jedoch steht seine Einstellung gegen der falschen Rassenlehre im Weg. Als eines Tages eine Delegation von Herero Berlin im Rahmen der Kolonialausstellung besucht, kommt er mit diesen ins Gespräch und interessiert sich besonders für die Dolmetscherin Kezia Kambazembi (Girley Charlene Jazama). Durch die Kultur der Herero begeistert und von der Abenteuerlust gepackt, begibt sich Alexander Hoffmann nach Deutsch-Südwestafrika, um seine zukünftige Position als Dozent an der Uni zu festigen. Aber um für die Universitäten und Museen in Berlin Kunst, Kulturgegenstände und Schädel zu sammeln, muss Hoffmann eine moralische Grenze überschreiten, die ihn nachhaltig verändern wird.
DER VERMESSENE MENSCH wurde am 07.09.2023 auf DVD sowie Blu-ray veröffentlicht und bietet neben dem gewohnten Making-Of als Extra mit UNTER HERRENMENSCHEN – DER DEUTSCHE KOLONIALISMUS IN NAMIBIA und DAS ERBE DES KOLONIALISMUS: EINE DEUTSCH-NAMBISCHE SPURENSUCHE zwei Dokumentationen, die der deutschen Geschichte und den deutschen Kriegsverbrechen auf dem Grund gehen wollen.
Review
DER VERMESSENE MENSCH ist Lars Kraumes (Regisseur) Versuch, die deutsche Geschichte des Völkermords an den Herero in Afrika aufzuarbeiten. Dabei erlebt das Publikum das Geschehen aus der Perspektive der Weißen, wodurch das Grauen nicht wirklich zur Geltung kommen kann und mit Leonard Scheicher aufgrund seiner fragwürdigen moralischen Entscheidungen keine wirkliche persönliche Bindung aufgebaut werden kann.
Eine Reise in die Zeit
Die Kostüme und das Setdesign von DER VERMESSENE MENSCH haben ein lob verdient. Diese sehen täuschend echt aus, erinnern an Farbfilmmaterial aus Dokumentationen und lassen durch ausladende sowie passend dekorierte Sets die Welt des Films lebendig wirken. Das Publikum wird, gerade nach den ersten 30 Minuten, wenn der Film in Afrika spielt, in eine Zeitreise eingeladen, um dem Geschehen zumindest von der optischen Gestaltung so nah wie möglich sein zu können.
Das Einzige, was optisch aus dem verzaubernden Sehgefühl herausreißt, sind die immer wieder vorkommenden CGI-Hintergründe, die an das durchwachsene Stagecraft von MANDALORIAN STAFFEL 3 erinnern. Das ist schade, da der Film sonst bei Feuergefechten, Wunden, Schädeln und Gebäuden versucht, durchgehend auf praktische Effekte und echte Sets zu setzen. Gerade dadurch fällt der Unterschied noch einmal mehr auf. Die Zuschauenden merken sofort den Unterschied und fühlen sich aus dem Geschehen herausgerissen.
Das Kratzen an der Oberfläche
Die Story von DER VERMESSENE MENSCH kann sich nicht ganz entscheiden, ob sie sich auf Leonard Scheichers Liebe zu Girley Charlene Jazama konzentriert oder den Fokus lieber auf den deutschen Völkermord an den Herero legen soll. Dadurch kommt beides zu kurz und die Erzählstruktur ist ein verwirrendes hin und her. In einem Moment kann das Publikum Leonard Scheichers inneren Konflikt bezüglich des Krieges gegen die Herero betrachten, während er im nächsten Moment durch ein Gefangenenlager stolziert und sich nach Girley Charlene Jazama erkundigt.
Gerade durch dieses verwirrende Hin und Her ist eine vollumfassende Betrachtung sowie Aufarbeitung des Völkermordes an den Herero nicht möglich und verkommt schon fast zu einem Beiwerk und Nebenschauplatz der Handlung. Gerade so ein wichtiges Thema, das zudem von der eigenen Regierung lieber schweigend unter den Teppich gekehrt wird, hätte eine bessere Betrachtung verdient. Vielmehr geht es dann um korrupte Offiziere, die eigene Karriere und den Drang, als Entdecker großes zu bewirken.
Eine fragwürdige Charakterentwicklung
Normalerweise legt ein Arthousefilm mit dem Fokus auf so ein wichtiges Thema wert auf eine Positive Charakterentwicklung, in die sich die Zuschauenden hineinversetzen können. Dies ist aber bei DER VERMESSENE MENSCH nicht der Fall. Vielmehr kann das Publikum Leonard Scheicher bei seinem moralischen Verfall beobachten. Während er sich am Anfang noch für die Kultur der Herero interessiert und versucht, die Rassentheorie für unnütz zu erklären, opfert er im Laufe des Films immer mehr seiner Ideale, nur um sich an die Hoffnung eines Dozententitels klammern zu können.
Dabei muss aber betont werden, dass Leonard Scheichers Schauspiel für die Zusehenden beeindruckend ist. Wir können seine Anspannung, die inneren Konflikte und Zerrissenheit so sehr aus seinem Gesicht herauslesen, dass wir diese Gefühle fast schon selbst verspüren. Gleichzeitig weiß er, wann er seinen leeren, durchbohrenden Blick perfekt getimed einsetzen muss, und schafft es dabei auch noch wie die schüchterne sowie leicht unterwürfige Assistenzkraft zu wirken.
Ein falscher Fokus
In Erinnerung bleibt jedoch das Schauspiel von Girley Charlene Jazama. Sie gibt DER VERMESSENE MENSCH mit ihrem Talent das gewisse Etwas und schafft es mehr als einmal, bei dem Publikum philosophische Denkanstöße durch ihre Betrachtung der Psyche und des Lebens hervorzurufen. Sie wird dadurch greifbar und es kann eine Bindung zu ihr aufgebaut werden. Es besteht der Drang, mehr von ihr zu erfahren und die Zuschauenden merken, dass ein Fokus auf ihren Charakter womöglich interessanter gewesen wäre.
Generell kommt die Delegation der Herero viel zu kurz. Es wird ein kurzer Abend mit dieser und Leonard Scheicher gezeigt, ehe sich der Afrika-Expedition gewidmet wird. Doch über ihre Kultur, die Lebensart, den Glauben oder die Träume der Herero lernt das Publikum nichts. Es ist zu merken, dass DER VERMESSENE MENSCH nicht zuletzt dieser Tatsache nur ein Versuch der selbstkritischen Betrachtung mit den Verbrechen des deutschen Kaiserreichs ist. Ein Versuch, der scheiterte.
Fazit
DER VERMESSENE MENSCH verspricht viel Potential, weiß es aber nicht zu nutzen. Vielleicht hätte es geholfen, den Film nicht aus einer weißen Perspektive zu erzählen, aber diese Frage bleibt dem Publikum unbeantwortet. So bleibt ein Film, der zwischen moralischen Zerfall des Protagonisten, einer Suche nach der Liebe und zu kurzfristiger Betrachtung der deutschen Verbrechen zur Kaiserzeit pendelt. Einzig durch Kostüm, Szenenbild und Schauspiel weiß der Film noch einigermaßen von sich zu überzeugen.
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Originaltitel | Der vermessene Mensch |
Kinostart | 22.2.2023 |
Länge: | 116 minuten |
Produktionsland | Germany |
Genre: | Drama |
Regie | Lars Kraume |
Producer | Thomas Kufus | Kalle Friz | Sandrine Mattes | Miriam Düssel | Susanne Freyer | Stefanie Hufschmidt | Caroline von Senden |
Kamera | Jens Harant |
Cast | Leonard Scheicher, Girley Jazama, Peter Simonischek, Corinna Kirchhoff, Anton Paulus, Leo Meier, Sven Schelker, Max Koch, Ludger Bökelmann, Alexander Radszun, Michael Schenk, Tilo Werner, Patrick Berg, Michael del Coco, Niklas Wetzel, Julia Jendroßek, Rike Eckermann |
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