Bewertung Michel Rieck

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Originaltitel: Dronningen
Kinostart: ursprünglich 09.04.2020 – Kinostart abgesagt
Streaming – Release: 05.05.2020

FSK 16

FSK 16 ©FSK

Länge: ca. 127 Minuten
Produktionsland: Dänemark | Schweden
Regie: May el-Toukhy
Schauspieler:innen: Trine Dyrholm | Gustav Lindh | Magnus Krepper
Genre: Drama
Verleiher: SquareOne Entertainment

Königin

Königin ©2020 SquareOne Entertainment GmbH

Die vielfach talentierte Regisseurin May el-Toukhy hat sich bereits in mehreren Arbeitsbereichen ausprobiert und neben einem Versuch als Kamerafrau sowohl als Produzentin, Regieassistentin und eben auch Drehbuchautorin und Filmregisseurin ihre Fähigkeiten ausgetestet. Für KÖNIGIN sicherte sie sich das schauspielerische Talent der dänischen internationalen Schauspielerin Trine Dyrholm, die zudem schon in jungen Jahren erste Versuche einer Gesangskarriere startete, sich dann jedoch mehr auf Theater und Film konzentrierte. Zu ihren international erfolgreichsten Filmen zählen IN DEINEN HÄNDEN und IN CHINA ESSEN SIE HUNDE. Auch in deutschen Produktionen ist sie hin und wieder anzutreffen, so zum Beispiel bei 3096 TAGE und WHO AM I – KEIN SYSTEM IST SICHER. Für KÖNIGIN übernahm Mrs. Dyrholm die Hauptrolle zusammen mit Gustav Lindh, der bisher nur in kleinen schwedischen Filmen und Serien zu sehen war und mit diesem Werk nun die große Kinobühne betritt.

Darum geht es…

Anna hat alles in ihrem Leben erreicht. Sie führt eine erfolgreiche Karriere als Rechstanwältin und schützt dabei vor allem sexuell missbrauchte Mädchen und Frauen. Gleichzeitig lebt sie ein tolles und luxuriöses Leben zusammen mit ihrem Mann Peter und zwei gemeinsamen Töchtern. Doch sind die beiden Mädchen nicht Peters einzige Kinder, denn aus einer früheren Ehe hat er auch einen Sohn, der etwas auf die schiefe Bahn gelangt ist. Dennoch entscheiden die Beiden gemeinsam den 16-Jährigen bei sich aufzunehmen und Anna tut alles, um ihm eine unbeschwerte und wundervolle Jugend zu bieten. Doch aus diesen Bemühungen ihn als gleichwertiges Familienmitglied zu integrieren, wird bald mehr als nur der Versuch ein Mutterersatz zu sein. In ihr regen sich seltsame und unerwartete Regungen, die sich selbst nicht erklären kann und denen sie gleichzeitig auch nicht wiederstehen kann.

Alles soll sich für die Beiden ändern, als Gustav und Anna eine gemeinsame Nacht verbringen. Was sie dabei nicht berücksichtigt hat: die bringt all den harmonischen Frieden in ihrer Familie und Karriere ins wanken und sie bewegt sich plötzlich auf sehr schmalen Geraden zwischen der Zerstörung aller eigenen Lebensumstände und dem Nachgeben einer gefühlvollen Lust. Wird das Geheimnis der Beiden auffliegen?

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Rezension

KÖNIGIN zeigt wieder einmal welches Talent Filmemacher aus dem Norden immer wieder schaffen in die Kinos zu projizieren. Dies ist zwar nicht die Erste und nicht die letzte Geschichte seiner Art, dennoch hat May el-Toukhy hiermit einen spannenden, gefühlvollen und lustgetriebenen Spielfilm geschaffen, der alle Sinne anregt. Anfangs noch in zwei verschiedene Handlungsstränge aufgespalten, kristallisiert sich doch schnell eine wesentliche Entwicklungsrichtung heraus. Dabei entstehen immer wieder kleinere Konfliktherde, die damit eigentlich nur die Natürlichkeit eines ganz normalen Familienlebens verdeutlichen und von daher nicht unüblich sind, jedoch auch nur bedingt weitere Auswirkungen auf den zentralen Plot haben.

Königin

Königin ©2020 SquareOne Entertainment GmbH

Viel mehr entsteht dadurch sogar ein gewisser Kontrast, der auch in der Charakterisierung der Hauptdarstellerin wieder zu finden ist. So wird aus einer liebevollen, aber eben auch stocksteifen, Karrierefixierten und leicht abschweifenden aber stehts exakt kontrollierten Frau eine Person, die es schafft sich fallen zulassen, sich ihren Sinnlichkeiten und Sehnsüchten hinzugeben und befreiter aufzuleben. Dieser Prozess findet recht schnell und ohne jegliche Vorwarnung statt, so dass er doch recht überraschend erscheint, aber dennoch bestens umgesetzt ist und einen fast schon erwartbaren Verlauf nimmt. Dennoch fügen sich schrittweise in diesen klaren roten Faden auch unerwartete Entwicklungen ein, die dafür sorgen, dass der Film nicht den üblichen 0815-Mustern folgt und sich damit von vergleichbaren nervtötenden Werken abhebt. Trine Dyrholm schafft es dabei der Sinnlichkeit nachzugeben und aus der starken Frau eine schwache, zittrige und hingebungsvolle Person darzustellen, ohne jedoch gänzlich ihre Selbstbestimmung zu verlieren.

Königin

Königin ©2020 SquareOne Entertainment GmbH

Lustvolle Doppelmoral

Aus einem harmonischen Handlungsablauf entsteht dabei nicht nur ein enormes Familiendrama mit einem unfassbar guten Ende, sondern auch ein kleiner Softporno, der den Grenzen der sexuellen Darstellungen freien Lauf lässt. Nicht nur, dass hier recht explizit die Vereinigung sexueller Lüste visualisiert werden, dies geschieht auch noch zwischen einer dargestellt jugendlichen Person zusammen mit einer Erwachsenen Frau, womit das kritische Thema Jugend- und Kinderpornografie durchaus auf den Tisch kommt und somit vielleicht nicht für jeden Zuschauer angenehm anzusehen ist. Dennoch sind diese Darstellungen natürlich kaum verzichtbar, da diese großen Einfluss auf die Storyfortsetzung haben.

Die wohl spannendsten Entwicklungen finden jedoch erst nach diesen pornografisch angehauchten Inszenierungen statt, können spoilerbedingt hier jedoch nur leicht angerissen werden. Ich kann jedoch sagen, dass die charakterliche Änderung der beiden Hauptdarsteller noch nicht gänzlich vollzogen ist und Protagonist und Antagonist neu vergeben werden. Dabei wird mit teilweise recht intelligenten Dialogen gearbeitet, die eine gefährliche fast schon ekelerregende Doppelmoral präsentieren und zudem persönliche Gewissenskonflikte hervorbringen, die aus der tugendhaften Frau eine äußerst vielschichtige Person wachsen lassen und völlige Unberechenbarkeit hervorrufen. Für genau diesen Moment habe ich mir ein schönes Sinnbild während des Films notiert gehabt, welches ich nun leider nur in folgenden Spoiler packen kann:

Spoiler
Der von der Mutter denunzierte Stiefsohn, der mit all seinen ehrlichen Zügen und richtigen, wenn auch teilweise fragwürdigen Taten sich der Hoffnungslosigkeit hingeben muss, die ihm durch die jüngsten Geschehnisse entgegen gebracht wurde, kriecht i Schatten des Hauses wie ein räudiger Köter auf dem Boden, während Mutter Anna ihr Revier wie eine aufgescheuchte Hündin vor jeglicher möglich drohender Gefahr mit gefletschten Zähnen verteidigt.
Königin

Königin ©2020 SquareOne Entertainment GmbH

Typisch skandinavische Trägheit

So gut KÖNIGIN inhaltlich auch geschrieben ist und schauspielerisch fantastisch umgesetzt wurde von beiden Hauptdarstellern, so groß wirkt sich jedoch auch das Problem der Trägheit aus. Zwar schafft es der Film eine ordentliche Dramatik und damit auch Spannung aufzubauen, diese wird jedoch immer wieder gedämpft durch typisch skandinavische Gelassenheit die nur in kleinen, allmählichen Schritten zum Ziel führt. Dies wird zudem von den recht ruhigen akustischen Unterlegungen präzisiert sowie schlichten und langwierigeren Kameraeinstellungen, die zumeist eher triste und farblose Bilder zeigen. Würde hier in der Taktung noch ein wenig nachgearbeitet werden, hätte das Werk durchaus riesiges Potential für eine recht erfolgreiche internationale Bühnenpräsenz.

 

Dieses Filmdrama ist recht mutig, da es schon im Poster und den verschiedenen zur Verfügung stehenden Szenenbildern den wesentlichen Konflikt offen auf den Tisch legt und sich nicht hinter diesem versteckt. Das kann die Regisseurin May el-Toukhy jedoch auch zurecht machen, da sie es geschafft hat aus diesem vermeintlich kontroversen Handlungsschwerpunkt eine noch viel kritischere Inszenierung herauszuholen, die nicht den üblichen Konventionen von Familiendramen folgt und vor allem mit einem hervorragenden Ende aufwartet. Präsentiert in bester Schauspielmanier haben sich die beiden Hauptdarsteller gegenseitig immer wieder in ihrer Hingabe zur Rolle übertroffen und dabei den Zuschauer gleich auf mehreren emotionalen Ebenen angesprochen und auch in Schockstarre versetzt. Großes Problem des Werkes jedoch ist die recht typisch skandinavische Inszenierung, die vor allem aus den eher tristen und nicht ansprechenden Bildern, den ruhigen und nicht gänzlich ausgereizten Handlungsabläufen sowie der kaum eingebetteten musikalisch stilistischen Untermalung stammt. Genau darin hat KÖNIGIN seine Schwächen und kann diese leider auch nur ansatzweise durch das starke Drehbuch und die sehenswerte schauspielerische Darbietung wieder ausgleichen.

Königin

Königin ©2020 SquareOne Entertainment GmbH