FSK 16 ©FSK

Länge: ca. 106 Minuten
Produktionsland: Österreich | Schweiz
Regie: Iliana Estañol | Johanna Lietha
Schauspieler: Kerem Abdelhamed | Raphaela Gasper | Valentin Gruber
Genre: Drama
Verleiher: Meteor Film GmbH

Lovecut – Liebe, Sex und Sehnsucht ©2020 Meteor Film GmbH

Ausgezeichnet mit dem Drehbuchpreis beim Filmfestival Max Ophüls Preis hat LOVECUT – LIEBE, SEX UND SEHNSUCHT bereits einen wichtigen Schritt getan, um nicht im Sumpf des unendlichen Filmmeers zu versinken. Und das, obwohl weder das Regieduo noch die Darsteller:innen viel Erfahrungen im Filmdreh sammeln konnten bisher. Tatsächlich haben Iliana Estañol und Johanna Lietha hiermit ihr Regiedebüt gegeben und fast der gesamte Cast war erstmalig auf der Leinwand zu sehen, abgesehen von einigen vereinzelten Nebendarstellern wie Alexander Jagsch, der aus diversen kleineren österreichischen Filmen bekannt ist. Relativ ähnlich sieht es auch bei Karola Niederhuber, Marcel Mohab und Schauspielkollege Vitus Wieser aus. Letzterer war jedoch auch international schon tätig und war unter anderem in INGLOURIOUS BASTERDS zu sehen. Hierzulande dürfte Doris Schretzmayer jedoch die bekannteste Darstellerin sein, mitunter durch den Film DIE DUNKLE SEITE DES MONDES.

Insgesamt aber ein durchaus mutiger Schritt ein solches Filmexperiment einzugehen, in dem nur die wenigsten umfassende Erfahrungen am Set einfließen lassen konnten. Doch dass dies durchaus funktioniert und manchmal sich sogar sehr positiv auswirkt haben wir bereits im vergangenen Jahr im russischen Katastrophenfilm ABGERISSEN gesehen, der zwar einer klassischen Erzählstrategie folgt und dennoch letztlich schafft durch ungewöhnliche Ideen und Entwicklungen zu überraschen. Wie die Regisseurinnen selbst sagen, war es ihnen wichtig eine authentische Handlung zeigen zu können und somit wurden die Schauspieler:innen nicht in einem großen Bühnencasting gesucht sondern auf üblichen, von Jugendlichen häufig aufgesuchten Plätzen.

Darum geht es…

Der Film besteht lose aus drei verschiedenen Geschichten, die sich immer wieder an leichten Berührungspunkten treffen, weitestgehend jedoch unabhängig voneinander erzählt und unterm Strich nur mit einer gleichen Überschrift versehen werden können. Dabei bekommen wir Einblicke in die Leben von sechs jungen Menschen, die auf der Suche nach ihrem Platz in der Gesellschaft sind und beginnen ihr Leben zu gestalten. Am schwersten von ihnen hat es wohl Alex, der an einen Rollstuhl gefesselt ist und sich nichts lieber wünscht, als seine Skype-Beziehung endlich persönlich kennen zu lernen – doch was wird sie nur sagen? Nur seine Angst verhindert ein Treffen bisher. Angst hat aber auch Luka, denn obwohl sie durchaus weiß sich im Leben durchzusetzen, fürchtet sie sich Gefühle zu ihrer neuen Bekanntschaft Ben zuzulassen, der wiederum mit der Sorge kämpft wieder ins Gefängnis zu müssen. Einzig bei Jakob und Julia scheint alles perfekt zu laufen – doch der Schein trügt.

Rezension

Der Film flackert noch gar nicht lange auf der Leinwand, da kommen schon die ersten Assoziationen hoch: ist dies YUNG Teil 2? Nein, natürlich nicht, aber der Vergleich hinkt trotzdem nicht, denn vielleicht kann LOVECUT – LIEBE, SEX UND SEHNSUCHT als der österreichisch/schweizerische Ableger dieses Films bezeichnet werden. Während wir in YUNG vier jungen Mädchen folgen, die das moderne Berlin aus allen Blickwinkeln, mit allen Katastrophen und einzigartigen Momenten kennen lernen, bekommen wir ähnliches mit drei Pärchen nun von unseren südlichen Nachbarn gezeigt. Und wer sich erinnern kann, weiß vielleicht noch, dass ich diesen recht positiv aufgefasst habe. Es ist nicht zu leugnen, dass dieses Werk nun in die gleiche Kerbe schlägt.

Lovecut – Liebe, Sex und Sehnsucht ©2020 Meteor Film GmbH

Doch was macht den Film so besonders? Vor allem dieses Gefühl von Ehrlichkeit und Natürlichkeit. Wer meine Rezensionen kennt, weiß ich das ich durchaus viel Wert darauflege, denn oftmals wirken Filme steif oder gar lustlos gespielt (gerade im deutschen Spektrum erleben wir dies immer wieder). Genau dadurch wird den Zuschauenden immer wieder die Lust am Film vermiest. Wie es aber schon INTO THE BEAT zuletzt beweisen konnte, sorgen wahre Lust fürs Schauspiel und gute Stimmung am Set immer wieder für kleine Sensationsfilme, die vielleicht nicht bis ins kleinste Detail durchdacht und ausgearbeitet sind, aber dennoch einfach Lust und Laune machen sie zu genießen. Auch hier nehme ich jeder Figur ihre Rolle vollkommen ab und es kommt nicht das Gefühl auf, dass hier jemand in eine Rolle reingedrängt wurde, die ihr oder ihm nicht stünde.

Lovecut – Liebe, Sex und Sehnsucht ©2020 Meteor Film GmbH

Jugendliche Vorstellungen gegen die Realität

Daneben ist natürlich auch ein wesentlicher Erfolgsfaktor die Handlung, die uns an vielen Stellen auf den Boden der Tatsachen zurückholt und zeigt, wie das Jugendleben der heutigen Zeit aussieht, welche Gefahren und Freuden es bietet und mit welchen Sorgen die Menschen heute zu kämpfen haben. Darüber hinaus werden uns Probleme aufgezeigt, die gewisse Menschen oder Menschengruppen beschäftigen, mit denen wir im Alltag sonst fast nie konfrontiert werden, die deswegen aber nicht weniger wichtig sind. An dieser Stelle gebe ich gerne zu, dass der Film ein wenig oberflächlich mit der entsprechenden Auswertung und der letztendlichen Konsequenz dahinter umgeht, das hat jedoch das Filmerlebnis nicht wesentlich getrübt. Im Gegenteil, vermutlich ist genau dadurch auch eine gewisse Leichtigkeit aufgekommen, die der Film durchaus benötigte. Oftmals werden zwanghaft solch kritische Themen durchgepeitscht, wodurch die Werke sehr verkopft scheinen – die Gefahr bestand hier nicht.

Während die Geschichte um den jungen Straftäter und sein Tinderdate etwas stupide und uninteressant wirkt, einfach weil sie unter der Überschrift „Rebellierend“ laufen könnte, zeigen uns die anderen beiden Storys zwei recht interessante Entwicklungen. Zum einen sehen wir, wie moderne Medien ein Wunschbild von uns erzeugen können, welches jedoch nicht der Realität entspricht, in welcher wir wiederum mit eben diesem Bildnis arg zu kämpfen haben. Hier auch eine dringende Empfehlung einmal den Film #ZEITGEIST zu schauen. Auf der anderen Seite erleben wir ein junges Pärchen, dass gnadenlos von der kapitalistischen Ideologie eingefangen wird angesichts der scheinbar leichten Möglichkeit an unfassbar viel Geld zu gelangen. Tatsächlich gibt es solche Entwicklungen immer wieder in der Realität, in welcher eine gewisse Popularität für enorme Glücksgefühle sorgen kann, die Folgen jedoch erst deutlich später auftreten (nicht immer natürlich).

Lovecut – Liebe, Sex und Sehnsucht ©2020 Meteor Film GmbH

Es kann halt nicht alles perfekt sein

Leider muss jedoch auch gesagt werden, dass eben jene Folgen im hiesigen Beispiel etwas seltsam in LOVECUT – LIEBE, SEX UND SEHNSUCHT aufgelöst werden und mir etwas drastisch oder vielleicht eher konstruiert erscheinen. Leider war es nicht möglich die Auflösung der Handlung in dieser Weise zu akzeptieren. Vielmehr wirkte dies wie ein unsympathischer Fingerzeig von Eltern im Sinne von: Guck mal was die Böses machen – wenn du das tust, mein Kind, dann werden ganz schlimme Dinge geschehen. Dabei stelle ich nicht in Frage, dass gewisse Handlungen Konsequenzen mit sich bringen, die auch gezeigt werden können, dann doch aber bitte in einem nachvollziehbaren und realistischen Maße – dies hat doch zuvor auch so wunderbar leicht funktioniert! Dieses Ende, aber auch die der anderen Episoden lässt abschließend ein ziemlich flaues Gefühl im Magen zurück, bei welchem noch immer nicht klar ist, ob es positiv zu bewerten ist oder doch einem kleinen finalen Ärgernis gleicht.

Lovecut – Liebe, Sex und Sehnsucht ©2020 Meteor Film GmbH

Fazit

Insgesamt schafft es LOVECUT – LIEBE, SEX UND SEHNSUCHT jedoch vollkommen zu überzeugen und wird Liebhaber der zuvor genannten Filme sicherlich wieder gut in seinen Bann ziehen können. Nicht nur die Leidenschaft und Lust für diesen Film ist bei allen Darsteller:innen hervorragend zu spüren, auch sorgen sie dafür, dass uns ein kleiner Ausschnitt aus einer Entwicklungsphase der heutigen Jugend gezeigt wird, für die die meisten Menschen kein Verständnis mehr entwickeln. Vermutlich aber auch, weil sie es nicht entwickeln können, da sie einfach nie in einer entsprechend vergleichbaren Umgebung groß geworden sind. Das Werk beschäftigt sich mit modernen Problemen, die weitestgehend gerne als banal abgestempelt werden, letztlich aber alles andere als das sind. All dies wird zudem unterlegt von sanfter und dynamischer Musik, die das Publikum ein wenig auf einer leichten Wolke schweben und beobachten lässt. Ein Blick in diesen Film lohnt sich auf jeden Fall!

Sex sells – diesen Ausspruch hat wohl schon jeder einmal in seinem Leben gehört und wie immer wieder bewiesen wird, steckt darin auch viel Wahres. Schade ist es jedoch, dass eben jene Methode auch ein wenig auf den hiesigen Film angewandt wurde. Angesichts des Filmtitels und dem zugehörigen Disccover, zudem versehen mit einer FSK 16, kommt doch schnell die Assoziation an einen recht unanständigen Film auf, der sich dahinter verbergen könnte. Doch Lovecut – Liebe, Sex und Sehnsucht ist alles andere als das. Vielmehr ist es ein Abbild des deutschen, diesjährig erschienenen Films Yung, der es bereits schafft einen tollen Einblick in die Entwicklung heutiger jüngerer Generationen zu bekommen und damit ein Verständnis aufbaute, mit welchen modernen Krisen und Problemen sich die Menschen beschäftigen müssen. Diese sind schließlich nur noch schwer nachvollziehbar für uns früher geborene. Mit einem auf der Straße zusammengestellten Cast und zwei Regiedebütantinnen wird uns wieder einmal bewiesen, dass es nicht immer auf viel Erfahrung ankommt, sondern auch Leidenschaft, tolle Ideen und ein Blick für ehrliche und bodenständige Filmgestaltung. Ich bin zufrieden und in der Tat positiv überrascht, weshalb ich durchaus eine kleine Empfehlung aussprechen möchte, insbesondere da der Film dieses Jahr doch sehr durchs Raster gefallen ist und nur den wenigsten aufgefallen sein dürfte.

Lovecut – Liebe, Sex und Sehnsucht ©2020 Meteor Film GmbH

5,1 von 10 (Stand: 16.12.2020)