Noch bevor der große Hype um das südkoreanische Kino mit dem Oscar®-prämierten PARASITE im westlichen Mainstream befeuert wurde, konnte das Produktionsland in Ostasien in fachkundigen Kreisen schon viele Jahre mit allerhand spektakulären Filmen auf sich aufmerksam machen. Dabei ist es vor allem ein ganz bestimmtes Subgenre, auf das man immer wieder stößt, wenn man sich mit den großen Ausnahmefilmen des Landes beschäftigt. Die Rede ist natürlich vom Serienkiller-Thriller! Egal ob Bong Joon-hos MEMORIES OF MURDER, I SAW THE DEVIL von Kim Jee-woon oder auch MEMOIR OF A MURDERER aus dem Jahr 2017 – wenn es um düsteren, beklemmende Stoff geht, ist Südkorea grundsätzlich eine perfekte Anlaufstelle für Filmfans.
Beflügelt durch den Achtungserfolg des Netflix-Hits SQUID GAME dürfte die Auswertung von südkoreanischen Genrefilmen auch in Zukunft gesichert sein – als Verkaufsargument darf die erfolgreiche Serie des Streaming-Giganten jedenfalls jetzt schon herhalten. Der neuste Asia-Import MIDNIGHT kombiniert zwei werbeträchtige Eigenschaften, indem er sich zum einen der beliebten Serienmörder-Thematik annimmt und zum anderen groß mit der Beteiligung des SQUID GAME Darstellers Wi Ha-joon auf dem Cover der deutschen Blu-ray wirbt. Kwon Oh-seung, der sich sowohl für das Drehbuch als auch für die Regie verantwortlich zeigt, inszeniert sein Spielfilmdebüt als schnörkellosen Thriller in der Tradition der oben genannten Filme, lässt dabei aber trotz handwerklichem Geschick ein wenig die Raffinesse seiner großen Vorbilder vermissen.
Darum geht es…
Es ist eine klare Nacht in Seoul. Der skrupellose Serienmörder Do-sik (Wi Ha-joon) fährt mit seinem schwarzen Van durch die düsteren Seitenstraßen der Millionen-Metropole, immer auf der Suche nach einem neuen hilflosen Opfer. Während die Gehörlose Kyeong-mi (Jin Ki-joo) nach der Arbeit als Kundenberaterin in einem Callcenter, ihre ebenfalls taube Mutter (Kil Hae-yeon) auf dem Weg nach Hause abholt, macht sich Jong Tak (Park Hoon) nicht unweit davon entfernt Sorgen um seine kleine Schwester So Jung-eun (Kim Hye-Yoon). Als die junge Frau nach einem Blinddate trotz eines Anrufs kurz vor der Haustüre dort immer noch nicht angekommen ist, macht sich ihr überfürsorglicher Bruder auf die Suche nach ihr. Als sich dann die Wege der fünf Personen kreuzen, ist dies der Startschuss für ein perfides Psychospielchen, dessen Ende nur blutig ausgehen kann!
Rezension
Auf den ersten Blick bringt MIDNIGHT alle für ein fesselndes Thriller-Erlebnis essenziellen Zutaten mit. Das Kwon Oh-seung sein Handwerk als Regisseur trotz fehlender Erfahrung hinter der Kamera versteht, ist stets spürbar. So schafft er es von der ersten Szene an eine Bedrohlichkeit zu etablieren, die sich mit der gemächlich anziehenden Spannungsschraube immer weiter ausbreiten kann. Gerade in der stärkeren ersten Hälfte besticht sein Thriller vor allem mit einer atmosphärischen Inszenierung. Kameramann Cha Taek-gyun fängt die Nacht Seouls in kräftigen, satten Farben ein und taucht die düsteren Bilder immer wieder in den bunten Schein unterschiedlichster Lichtquellen wie das flackernde Blau der Polizeisirenen oder die strahlenden Leuchtreklamen der Stadt. Leider lässt Kwon Oh-seung dieses inszenatorische Geschick als Autor ein wenig vermissen. Abgesehen von der Sorgfalt, die er für die Charakterisierung seiner Figuren an den Tag legt, biegt er sich sein Drehbuch in den entscheidenden Stellen immer so zurecht, wie er es gerade für notwendig hält.
Die südkoreanische Hauptstadt Seoul gehört mit knapp 10 Millionen Einwohner*innen zu den größten Städten der Welt. Und doch wirkt die Metropole mit ihren menschenleeren Seitenstraßen, in denen sich MIDNIGHT die meiste Zeit aufhält, wie eine Geisterstadt. Wenn Do-sik seine Opfer minutenlang durch leere Gassen hetzt, ohne dabei auch nur einer Menschenseele über den Weg zu laufen, macht das absolut keinen Sinn und dient einzig und allein dem Zweck des Spannungsaufbaus. Für das Finale lässt Kwon Oh-seung seine Figuren dann doch noch im stark frequentierten Zentrum der Stadt auf eine Vielzahl von Passanten treffen – eine Entscheidung, die das Gefühl, das Drehbuch drehe sich die Dinge einfach so hin wie es dem Plot gerade dienlich ist, jedoch noch bestärkt.
Die Gehörlose und der Killer
Um sich von gängigen Genrefilmen abzuheben, hat sich Kwon Oh-seung einen besonderen Kniff überlegt. Mit Kyeong-mi steht eine gehörlose Frau im Fokus der Geschichte, deren Handicap aber anders als bei thematisch verwandten Filmen zum Vorschein kommt. Durch den Einsatz diverser elektronischer Hilfsmittel, mit denen die junge Frau Geräusche in ihrer Umgebung wahrnehmen kann, ist es nicht etwa das Nichthören, sondern die limitierte Möglichkeit mit ihrer Umwelt zu kommunizieren, die ihr ein Entkommen vor ihrem Verfolger fast unmöglich erscheinen lässt. Durch das Wegfallen ihrer gewohnten Kommunikation in Form von Gebärdensprache – weder die Polizei, noch die Passanten wissen mit den Zeichen etwas anzufangen – hat sie kaum eine Chance mit ihrer Umgebung zu interagieren. Dies sorgt immer wieder für Missverständnisse und bringt sie in ausweglose Situationen. So verkommt ihre Taubheit nicht nur zum Gimmick, sondern zieht sich durch das gesamte Skript und sorgt dabei für einen großen Teil der Spannung.
Der wahre Gewinn für MIDNIGHT ist jedoch der für seine Rolle in SQUID GAME bekannte Darsteller Wi Ha-joon. Mit seiner schmächtigen Präsenz und seinen braven Gesichtszügen strahlt er auf den ersten Blick eine natürliche Sicherheit aus. Dabei hat es der Mörder Do-sik faustdick hinter den Ohren. Mit einer ansteckenden Spielfreude mimt er den psychopathischen Serienkiller im einen Moment als diabolischen Teufel, um im nächsten Moment wieder glaubhaft in die Opferrolle zu schlüpfen, um sein Umfeld zu täuschen. Die Figur des charismatischen, cleveren und höchst manipulativen Psychopathen scheint ihm wie auf den Leib geschrieben zu sein. Umso ärgerlicher ist es natürlich, wenn das Skript an anderen Stellen immer wieder überaus schlampig und zweckdienlich daherkommt. So lässt sich die blanke Unfähigkeit der Polizei zwar einfach als Kritik an der Arbeit der lokalen Gesetzeshüter deuten, ist bei näherer Betrachtung aber nichts anderes als „lazy writing“.
Fazit
Südkorea und die Serienkillerfilme! MIDNIGHT wandelt auf den Pfaden seiner großen Vorbilder MEMORIES OF MURDER und I SAW THE DEVIL, ohne dabei jedoch an deren Qualität heranzukommen. Die interessanten Figuren, das hohe Spannungslevel und die starke Inszenierung können über den einen oder anderen Makel im Drehbuch leider nicht komplett hinwegtäuschen. Kwon Oh-seungs Regiedebüt hätte mit etwas mehr Feinschliff am Skript eigentlich das Zeug zum nächsten großen Thriller-Highlight gehabt. Als spannendes Katz-und-Maus-Spiel mit einem diabolischen Antagonisten funktioniert der südkoreanische Genrefilm trotzdem!
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Originaltitel | Midnight |
DVD/Blu-ray – Release | 29.04.2022 |
Länge | ca. 103 Minuten |
Produktionsland | Südkorea |
Genre | Krimi | Thriller |
Verleih | Busch Media Group |
FSK |
Regie | Oh-Seung Kwon |
Drehbuch | Oh-Seung Kwon |
Besetzung | Rolle |
Wi Ha-Joon | Do Shik |
Park Hoon | Jong Tak So Jungs älterer Bruder |
Ki-joo Jin | Kyung Mi |
Kim Hye-Yoon | So Jung |
Eun-Woo Bae | Polizei |
Min-woo Choi | Office worker |
Oh Ji-Young | Jin Sang Nyeo |
Won-Chang Jung | Polizei |
Hae-yeon Kil | Kyung Mis Mutter |
Sang-hee Lee | Drunk |
Im Sung Mi | Industrial complex woman |
Noh Su Min | Couple man |
Na Eun Saem | Couple woman |
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