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Review Fakten + Credits


Mutter Filmstill

Mutter ©2022 Tom Trambow

Filme, die die Mutterrolle in Vergangenheit oder Gegenwart aufgreifen, sie erkunden und mitunter reflektieren, gibt es alle Jahre. Selten sind sie jedoch mit einem derartigen Kniff versehen, wie Carolin Schmitz neueste Regiearbeit MUTTER. Zur Sprache kommen verschiedenste Mütter, zu sehen ist jedoch nur eine Frau: Anke Engelke. Die deutsche Schauspielerin, Entertainerin und Synchronsprecherin, die erst vergangenes Jahr im Film MEIN SOHN selbst eine Mutter verkörperte, wird zur Projektionsfläche unterschiedlichster, dokumentarisch aufbereiteter Biografien. Lippensynchron performt sie Ausschnitte aus Interviews mit Müttern, die die Regisseurin im Vorfeld des Films führte. Ein spannendes, überaus gelungenes Dokumentations-Experiment.

Darum geht es

Gezeigt wird der lakonische Alltag einer namenslosen Frau. Ihre Badroutine, Autofahrten, einen Zwischenstopp an der Waschanlage, ein Reifenwechsel, ein Vorstellungsgespräch, Versammlungen und weiteres. Eingebunden werden dabei die Interviews acht verschiedener Frauen zwischen 30 und 75 Jahren: Ein Sinnieren über die zahlreichen Erfahrungen und Facetten des Mutterwerdens und Mutterseins, von belebenden, motivierenden bishin zu entkräftenden und zermürbenden Momenten …

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Rezension

Wie beiläufig und doch mit größtmöglicher Präzision Anke Engelke (EINGESCHLOSSENE GESELLSCHAFT) die Interviewsequenzen wiedergibt, während sie duscht, mit dem Auto fährt oder sich mit anderen Dingen beschäftigt, ist schlichtweg faszinierend. Nicht nur die akribische Synchronität, sondern auch das subtile Aufgreifen der Emotionen, die mimische und gestische Interpretation des Gesagten gelingt in zuweilen langen Einstellungen und bei jeder einzelnen Stimme. Engelkes nuancierte Gesichtszüge vereinfachen die Verknüpfung der unterschiedlichsten Interviewstimmen zu einer Reflektion des Mutterbegriffs.

Mutter Filmstill

Mutter ©2022 Tom Trambow

In einer grob chronologischen Anordnung, beginnend mit ersten sexuellen Erfahrungen und fortsetzend mit Schwangerschaften und Geburtsvorbereitungen, kreieren die Interviewten ein Mutter-Porträt, in welchem ungleiche Erfahrungen und Ansichten auch gern einmal kollidieren. Zum Thema werden sowohl die Rolle der Mutter als auch die Rolle der Frau als solches, sexistische Stereotype, die Entwicklung und das Aufbrechen festgesetzter Rollenverständnisse. Der Film hinterfragt traditionelle Familienbilder, (gegenwärtige) Stigmatisierungen und versucht sich an der Dekonstruktion einzelner Begrifflichkeiten, wie etwa dem „deutschen Mutterglück“. Dabei erzählen die Mütter mit großer Offenheit von ihren Schicksalen und Erinnerungen, von Kinderwünschen, Abtreibungen, der Vereinbarung mit Arbeit und dem Umgang mit eigenen Bedürfnissen.




Mutter Filmstill

Mutter ©2022 Tom Trambow

Die narrativen Interviews schürfen tief in den persönlichen Biografien und erreichen das Publikum über emotionale Schilderungen, ungeschönt ausgesprochene Erfahrungen und Kontraste in den Auffassungen und Schicksalen der Frauen. Daraus ergeben sich Denkanstöße für die Betrachtung der Mutterrolle, aber auch immer wieder eine indirekte Reflektion über ein altmodisches Väter-/Männerverständnis. All das ist eingebettet und komprimiert in einer interessanten, mitunter symbolischen Bildsprache, in der der Alltag einer Frau die Allgegenwärtigkeit vieler Themen unterstreicht. Anke Engelkes gezielte Verkörperung der vielfältigen Erfahrungsschätze hält thematischen Spannungsfeldern stand, kann jedoch auch zu einer Distanz zum gesprochenen Wort führen und diese wiederum zu kleinen Längen.

Fazit

MUTTER ist ein außergewöhnlicher Dokumentarfilm, welcher das titelgebende Thema in einer Fusion verschiedenster Stimmen beleuchtet. Das Konzept geht auf, dank akribischer Inszenierung und hervorragender Bild-, Ton- sowie Schnittarbeit und dank einer fantastischen Anke Engelke.

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