Der britische Grafikdesigner Martin (Ben Whishaw) und der deutsche Arthouse-Regisseur Thomas (Franz Rogowski) leben seit 15 Jahren nicht nur gemeinsam in Paris, sondern auch in einer Ehe. Doch in dieser ist nicht mehr alles so perfekt, wie es einmal war. Neben der Beziehung lebt Martin vollkommen in seinem Beruf, während Thomas von Party zu Party hüpft. Eines Tages geschieht es, dass Thomas auf einer Party Agathe (Adèle Exarchopoulos) kennen lernt und beide sich ineinander verlieben. Es ist das aus für die homosexuelle Ehe.
Der trauernde Martin findet jedoch mit Amad (Erwan Kepoa Falé) schnell eine neue Liebe und wirkt glücklicher. Doch Thomas ist sehr egozentrisch sowie besitzergreifend und will von Martin nicht loslassen. Immer wieder besucht Thomas diesen ungefragt und unerlaubt in Wohnung und auf Arbeit. Martin und Amad wollen sich das nicht mehr bieten lassen, wodurch ein Drama unausweichlich scheint.
Review
PASSAGES wurde von dem Regisseur Ira Sachs auf der 73. Berlinale vorgestellt und behandelt moderne Beziehungen sowie das Chaos, welches mit diesen einhergeht. Thematisiert wird jedoch nicht nur die Grausamkeit von Liebe und Begehren, sondern auch charakterstarke Menschen, die vielleicht zu sehr von sich überzeugt sind und in ihrem selbstzerstörerischen Wahn alles mit sich herunterreißen.
Die gewollte Wut des Publikums
PASSAGES präsentiert dem Publikum Franz Rogowski nicht nur als Hauptdarsteller, sondern auch gezielt sowie absichtlich als moralisch abstoßend und unsympathisch. Er geht gegenüber der Beziehung mit Ben Whishaw auf Distanz, nur um im nächsten Moment bedingungslose Liebe und Hingabe einzufordern. Er ist besitzergreifend, egozentrisch, fast schon übergriffig, kleinkindisch, oberflächlich und herablassend.
Durch stark geschriebene Charaktere sowie dem überzeugenden Schauspiel gelingt es PASSAGES mehr als nur präzise, das Publikum zu emotionalisieren, Franz Rogowski unsympathisch zu finden und vereinzelt sogar auf ihn wütend zu werden. Unterstützt wird das dadurch, dass der Film charakterstarke Persönlichkeiten bietet, die sich nicht nur stark voneinander unterscheiden, sondern durch diese Unterschiede gegenseitig anziehen und abstoßen. Die Zuschauenden sind von diesem emotionalisierten Schauspiel fasziniert.
Ein überschattendes Ereignis
Nicht zuletzt überzeugt das Schauspiel mit Momenten wie den Blicken, die das Gefühl echter Liebe, echter Trauer, echter Freude und echten Schmerzes transportieren. Diese Emotionen sind ein Lichtblick. Und doch wird das Schauspiel durch die noch einmal stärkere Leistung von Ben Whishaw sowie Adèle Exarchopoulos überschattet. Beide Darstellenden stechen durch ihre Leistung noch mehr heraus, bleiben in Erinnerung und die Rezipienten erwischen sich bei dem Gedanken, lieber doch mehr von ihnen als von Franz Rogowski.
Ben Whishaw, den die Meisten wahrscheinlich zuletzt als Q in JAMES BOND 007: KEINE ZEIT ZU STERBEN kennen, präsentiert sich hier als zweiter Hauptdarsteller passend und erzeugt bei den Zuschauenden Mitleid. PASSAGES präsentiert ihn als introvertiert, ein wenig schüchtern und sehr liebevoll. Das Publikum möchte ihn schon fast tröstend in den Arm nehmen. Dabei wirkt er nicht hilflos, sondern emotional verletzt, weiß aber trotzdem, wie er sich fangen und aus dem emotionalen Tief retten kann. Er ist der emotionale Anker, eine Person, an die sich das Publikum klammern kann.
Doch der Leuchtturm des Schauspiels von PASSAGES ist Adèle Exarchopoulos. Sie überzeugt mit einem Wechselbad der Gefühle, in dem sie entweder mit liebevollen Blicken besänftigt oder mit ihren enttäuschten sowie wütenden Blicken einen durchbohrt. Sie weiß, wann sie herzlich und kühl zu sein hat und zieht die Rezipienten mit Leichtigkeit in ihren Bann. Adèle Exarchopoulos spielt mit diesen und hätte sich bei Filmpreisen mindestens eine Nominierung als beste Nebendarstellerin verdient.
Sex Sells?
Henry Cavill hat letztens in einem Interview zugegeben, dass er Sexszenen in Filmen tendenziell nicht mag, da diese inhaltsloser Kommerz sind und nur des Sexes wegen in den Filmen sind. Unrecht hat er mit seiner Aussage nicht, auch wenn Filme wie PASSAGES es tatsächlich schaffen, das Gegenteil zu beweisen. Hier geht es nicht nur darum, dass zwei Menschen miteinander intim werden, es geht um die Aussage dahinter. Die Bindung, die entsteht, Gefühle, die neu entfacht werden können oder Veränderungen bisheriger Beziehungen.
Das ist an sich ein starkes Statement, jedoch ufern diese Szenen teils komplett aus. PASSAGES bietet reichlich dieser Szenen, zum Teil dauern diese auch Minuten über Minuten an und wollen einfach nicht enden. Zwar sind diese Szenen inhaltsstark, aber ein Andeuten hätte dem Publikum hier gereicht. Das liegt nicht zuletzt daran, wie der Sex inszeniert ist. Dieser bietet kein kreatives Spiel mit Kamera, dem Fokus auf Gesichter und deren Emotionen, sondern erinnert eher an Pornofilme der billigsten Art.
Die Art der Inszenierung ist für Zuschauende enttäuschend, da die Kamera es sonst schafft, aussagekräftige Bilder einzufangen. Gerade in zwischenmenschlichen Beziehungen schafft der Kameramann Josée Deshaies es, charakterstarke Bilder abzuliefern, die mehr aussagen als tausend Worte. Diese Bilder, die PASSAGES präsentiert faszinieren, ziehen in den Bann und lassen das Publikum umso mehr rätseln, wenn die Kamera gerade in der zweiten Hälfte des Films aus diesem Muster herausbricht und unkreative Perspektiven bietet.
Fazit
PASSAGES bietet ein spannendes Charakterdrama über moderne Beziehungen und deren neu auftretenden Probleme sowie Charaktere, die aufgrund des Schauspiels das Publikum bis ins äußerste emotionalisieren können. Doch der Film wird davon überschattet, dass Ben Whishaw und Adèle Exarchopoulos die anderen Darstellenden übertreffen und dass dieser nicht konsistent genug ist. Gerade die Kamera schwankt zwischen kreativen Perspektiven sowie Bildern und Hollywoodmainstream.
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Originaltitel | Passages |
Kinostart | 28.6.2023 |
Länge: | 92 minuten |
Produktionsland | France |
Genre: | Liebesfilm | Drama |
Regie | Ira Sachs |
Executive Producer | Kevin Chneiweiss | Ali Betil | Hannah Janal |
Producer | Saïd Ben Saïd | Michel Merkt |
Kamera | Josée Deshaies |
Cast | Franz Rogowski, Ben Whishaw, Adèle Exarchopoulos, Erwan Kepoa Falé, Théo Cholbi, Arcadi Radeff, Léa Boublil, Thibault Carterot, Tony Daoud, Theo Gabilloux, Anton Salachas, Sarah Lisbonis, William Nadylam, Caroline Chaniolleau, Olivier Rabourdin, Jérôme Dauchez, François Boisrond, Kylian Moison, Chloé Granier, Juliette Mourlon |
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