Südkoreanische Filme werden in der westlichen Welt immer beliebter, zum einen wurde dieser Trend 2019 losgetreten, als Regisseur Bong Joon-ho mit seinem Gesellschafsdrama PARASITE den Oscar für den besten Film erhalten hat, spätestens seit der Netflix-Serie SQUID GAME haben auch Nicht-Cineasten das südasiatische Land auf dem Radar. Für mich hat sich Südkorea in den letzten Jahren als ein Land herauskristallisiert, aus dem es überdurchschnittlich viele hochqualitative Filme den weiten Weg nach Deutschland schaffen und so bin ich immer neugierig, wenn ich von neuer Kost aus Südkorea mitbekomme. In diesem Jahr habe ich mich bereits durch die Rache Trilogie von Regisseur Park Chan-wook gearbeitet, habe Filme wie OLD BOY in mein Herz geschlossen und habe Anfang des Jahres mit den Schüler*innen einer Oberschule mitgefiebert, die sich in der Serie ALL OF US ARE DEAD gegen riesige Horden Zombies verteidigen mussten.
Neulich hatte ich dann einen neuen südkoreanischen Thriller im Briefkasten. Bei THE WITNESS handelt es sich um das Spielfilmdebut von Cho Kyu-jang. Im Film selbst sieht man einige bekannte Gesichter aus dem südkoreanischen Kino, so spielt Lee Sung-min, der im Jahr 2020 erschienenen DAS ATTENTAT den Präsidenten verkörpert hat, den Namensgebenden Zeugen in THE WITNESS. Zusätzlich verkörpert Kim Sang-ho, bekannt aus der großartigen Netflix-Serie KINGDOM, einen verzweifelten Polizisten und Jin Kyung (ASSASSINATION) ist in der Rolle einer sorgsamen Mutter und Ehefrau zu sehen. Dieser Text wird euch verraten, ob THE WITNESS der nächste Eintrag auf der langen Liste der großartigen Filme aus Südkorea sein wird, oder ob der Glanz langsam verblasst.
Darum geht es…
Nach einem feuchtfröhlichen Abend mit seinen Arbeitskollegen kommt Versicherungsmitarbeiter Sang-hoon (Lee Sung-min) erst sehr spät wieder nachhause. Er ist mit seiner Frau Soo-jin (Jin Kyung) und ihrer gemeinsamen kleinen Tochter in eine neue Wohnung gezogen und wünschen sich ein gutes Leben. Es kommt widererwartend anders als Sang-hoon es sich erhofft hatte, als er sich nach seiner Ankunft zuhause noch ein Bier auf der Couch genehmigen will, hört er die Schreie einer Frau aus dem Hof. Von seiner Neugier angetrieben geht er auf den Balkon und wird Zeuge einer brutalen Tat. Er beobachtet, wie eine junge Frau brutal von einem schwarzgekleideten Mann mit dem Hammer erschlagen wird. Als er völlig erstarrt auf dem Balkon steht, dreht sich der Täter in seine Richtung. Hat er ihn in der Dunkelheit bemerkt? Ist Sang-hoon in Gefahr? Was ist mit seiner Frau und seiner Tochter. Viele Fragen gehen durch den Kopf des Mannes und er beschließt zu schweigen, weder seiner Frau noch der Polizei will er etwas erzählen und damit ist er nicht allein. Die Nachbarn beschließen Stillschweigen zu bewahren, um keine Unruhe in die gute Gegend zu bringen.
Rezension
Ähnlich wie viele Filme aus Südkorea präsentiert sich auch THE WITNESS in den ersten Minuten sehr stark und sorgt für eine beklemmende Spannung. Ein schwarzes Auto fährt an einer Tankstelle vor, der Tankstellenmitarbeiter füllt Benzin in den Wagen, hört leichte Klopfgeräusche aus dem Kofferraum, beschließt allerdings diese zu ignorieren, immerhin geht es ihn nichts an – ein Bild, dass sich noch häufiger durch den Film ziehen soll. Die Kamera schwenkt auf eine junge Frau, die gefesselt im Kofferraum des Autos liegt, sie ist ängstlich und weiß, dass sie sich auf jeden Fall befreien muss, alles andere würde ihren Tod bedeuten. Wir wissen als Zuschauer*innen in diesen ersten zwei Minuten auf welche Stimmung wir uns in den Folgenden zwei Stunden einstellen dürfen. THE WITNESS verspricht ein spannender Thriller zu werden.
Die Handlung schreitet weiter voran und wir bemerken, dass Regisseur Cho Kyu-jang etwas von seinem Handwerk versteht. Mit reduzierten Geräuschkulissen erzeugt der Film eine unglaubliche Spannung, ähnlich wie die Figuren im Film lauschen wir in die Stille und versuchen herauszufinden, wo sich der brutale Killer mit seinem blutigen Hammer befindet. Dabei blicken wir auf klare, sterile und vor allem kühle Bilder, die nur dann gebrochen werden, wenn es zu einer neuen Bluttat kommt. Wir bekommen einen Blick in die Welt der Figuren, einen Blick in eine sterile Welt des Reichtums, in der alle versuchen eine möglichst tugendhafte und gute Fassade Aufrecht zu erhalten.
Südkoreanische Immobilienblase
Das große Kernthema von THE WITNESS ist die Ignoranz, die scheinbar in der Gesellschaft Südkoreas herrscht. Cho prangert mit seinem Film die Empathielosigkeit der Bürger an, jeder will nach außen möglichst Erfolgreich wirken, um gar keinen Preis darf die Fassade bröckeln. Durch den Mord befürchten die Bewohner der Nachbarschaft, dass es zu einem Wertverlust der Wohnungen kommen könnte, es ist ihnen nicht wichtig, ob der Mörder gefunden wird, solange sich das nicht auf ihr Bild in der Gesellschaft auswirkt. THE WITNESS bringt viele Zutaten mit, die ihn zu einem neuen großen Film Südkoreas machen könnte, doch leider beginnt der Film schnell in die Absurdität abzugleiten und man kann nicht mehr fassen was man da gerade sieht. Alle positiven Aspekte des Films werden durch ein völlig misslungenes Drehbuch gedämpft.
Was beim Schauen zuerst auffällt ist die Dummheit der Hauptfigur, leider kann man es nicht anders nennen. Es ist Sang-hoons Ziel seine Familie zu schützen, würde er sich nicht Stur stellen und mit der Polizei reden, wäre der Film nach einer halben Stunde vorbei, der Täter wäre im Gefängnis und alles wäre wieder gut. Stattdessen entwickelt er sich zu einem verschwiegenen Eigenbrötler, dessen Verhaltensweise zu keiner Zeit nachvollziehbar scheint. Zur Verteidigung könnte man anführen, dass er kein Vertrauen in die Polizei hat, auch in anderen südkoreanischen Filmen wird die Polizei als völlig inkompetent dargestellt, ohne dieses Wissen ergibt das Verhalten der Hauptfigur bis zum Ende keinen Sinn.
Faulheit und deus ex machina
Dabei ist die Hauptfigur noch nicht mal der schlimmste Charakter, wesentlich konfuser wird es noch einmal beim Gegenspieler. Wir werden über die Motive des Täters im Dunkeln gelassen und er scheint ein ähnlicher Psychopath zu sein, wie ein Michael Myers, allerdings erfahren wir in HALLOWEEN etwas über die Hintergründe des Killers, auch wenn es nur ein paar kleine Informationen sind. Über den Killer in THE WITNESS erfährt man nichts, gar nichts. Bis zum Ende rätselt man über die Motivation des Killers, bei dem junge Frauen scheinbar ganz oben auf der Todesliste stehen. Wurde er in der Schulzeit gemobbt? Wurde er von seiner Mutter und Schwester unterdrückt? Woher kommt der Hass auf Frauen? Man versucht den Täter zu verstehen, allerdings wird man nur mit einer frustrierend faulen Erklärung abgefrühstückt. Sowieso ist das Ende des Films voller „glücklicher Zufälle“, die die Handlung zu einem runden Ende führen sollen, uns aber ratlos zurücklassen.
Fazit
THE WITNESS fängt sehr stark an und schafft es mit seiner Thematik und den stimmungsvollen Bildern an die überragenden Thriller David Finchers zu erinnern. Was dem Film handwerklich gelingt fehlt dann allerdings in der Sinnhaftigkeit der Geschichte. Obwohl man merkt auf welche Missstände der Film hinweisen wollte, fehlt es doch an der Fähigkeit eine kohärente Geschichte zu erzählen. Stattdessen wirkt der Film als hätte man zu Beginn noch große Lust auf das Projekt THE WITNESS gehabt, mit fortschreiten des Films allerdings bemerkt, was für einen Nonsens man da gerade dreht. So viel Potential THE WITNESS mitgebracht hat, so sehr ist er dann in die völlige Absurdität abgeglitten.
Versicherungsmitarbeiter Sang-hoon (Lee Sung-min) ist mit seiner Frau gerade in eine neue Wohnung gezogen, die sich in einer guten Gegend befindet. Eines Abends, als er etwas später nachhause kommt hört er die Schreie einer Frau aus dem Hof und wird Zeuge eines brutalen Mordes. Der Täter scheint ihn gesehen zu haben und um seine Familie nicht in Gefahr zu bringen, beschließt er zu schweigen.
In den ersten Momenten des Films könnte man denken, dass es sich bei THE WITNESS um den nächsten großen Film aus Südkorea handeln könnte. Durch den sehr geschickten Einsatz von Bild und Ton schafft es der Regisseur innerhalb weniger Minuten eine dichte Atmosphäre zu erzeugen, die uns sofort in den Film zieht. Auf rein handwerklicher Ebene braucht sich dieser Film nicht vor den großen Filmen Südkoreas zu verstecken.
Dann wäre da aber das Drehbuch, bzw. die Handlung des Films. Erstmal scheint hier ein spannender Thriller erzählt zu werden, wenn man dann aber bemerkt, dass der Film zwei Stunden dauert, weil sich die Hauptfigur weigert mit der Polizei zu sprechen, beginnt der Frust. Tatsächlich kommt es zu einigen Situationen, in denen Sang-hoon seine Familie, die er mit seinem verbissenen Schweigen Schützen möchte, retten könnte, indem er einfach einen kurzen Hinweis an einen Polizisten gibt. Obwohl die Hauptfigur bereits frustrierend nervig ist, legt der Gegenspieler nochmal eine Schippe drauf. Man versucht den Killer zu ergründen, doch die Antwort, die der Film am Ende liefert ist ein schlechter Witz. So schafft es THE WITNESS leider nicht auf die Liste der großartigen Filme aus Südkorea zu kommen und wird vermutlich schnell wieder vergessen sein.
Originaltitel | Mok-gyeok-ja |
DVD/Blu-ray – Release | 13.05.2022 |
Länge | ca. 111 Minuten |
Produktionsland | Südkorea |
Genre | Krimi | Thriller |
Verleih | Busch Media Group |
FSK |
Regie | Kyu-Jang Cho |
Drehbuch | Jo Kyu-Jang | Young-jong Lee |
Produzierende | Jeong-Hyun Oh |
Besetzung | Rolle |
Lee Sung-min | Sang-hoon |
Kim Sang-Ho | Jae-yeop |
Jin Kyung | Soo-jin |
Junghwa Bae | Seo-Yeon |
Jung-in Choi | So-Yeon’s Mutter |
Kim Ja-yeong | Handcart woman |
Jeong Jaekwang | Guy at the store |
Son Jong-hak | Squad chief Choi |
Hyun-Sook Jun | Cart woman |
Hak-seon Kim | Team Leader |
Si-Yang Kwak | Tae-Ho |
Jae Woo Lee | Detective Jo |
Minwoong Lee | Woo-Min |
Sang-hee Lee | Janitor |
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