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Ach du Scheisse! Filmstill

Ach du Scheisse! ©2022 Daniel Dornhoefer

Die Kurzfilme PIZZA PANIK und 7 KÖPFE FÜR DEN HENKER lassen bereits frühzeitig erahnen, dass Regisseur Lukas Rinker in seinem nun anstehenden Langfilm Debüt nicht mit chaotischen und eigenwilligen Ideen spart. Mit Gedeon Burkhard, der in der nationalen Filmszene äußerst beliebt ist und sehr häufig mit kleineren und größeren Rollen begeistern kann, hat Rinker einen Antagonisten gefunden, der sogar schon unter Quentin Tarantino eine herausragende Klischeefigur in INGLORIOUS BASTERDS verkörpern konnte. Mit einem recht kleinen Team und sparsamen Sets ist davon auszugehen, dass es sich hierbei um eine Low-Budget-Produktion handelt.

Darum geht es

Was ist nur passiert? Alles ist schummrig und verwirrend als Frank aufwacht und sich in einer umgefallenen Baustellen Toilette wiederfindet. Nur langsam realisiert er das Geschehen und allmählich kehrt der betäubende Schmerz in seinem Arm zurück, der ihn spüren lässt, dass er regelrecht aufgespießt und eingesperrt ist. In seiner ausweglosen und misslichen Lage sucht Frank verzweifelt nach einer Möglichkeit um Hilfe zu holen oder sich eigenständig zu retten. Zu allem Überfluss erfährt er über Lautsprecherdurchsagen, dass er in noch viel größerer Gefahr steckt und ihm nur noch wenig Zeit bleibt sein Leben zu retten. Doch wie soll er sich befreien? Ein Überlebenskampf beginnt, der weitreichende Folgen mit sich bringt und ihn jegliche Grenzen überschreiten lässt.

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Rezension

Endlich zeigt das deutsche Genrekino einmal, was es draufhat. Selten war Realhorror so schmerzhaft und unterhaltsam zugleich. ACH DU SCHEISSE! ist ein Kammerspiel, welches auf lediglich einem Quadratmeter wirkt und trotzdem schafft eine kontrastreiche und unterhaltsame Atmosphäre aufrecht zu halten und dem Filmtitel alle Ehre zu machen. Mit einem Augenzwinkern erzählt Regisseur Lukas Rinker eine Survivalgeschichte, die viel Abwechslung, nette Ideen und eine Menge schwarzhumorige Satire bietet, welche die Gesellschaft nicht nur auf den Kopf stellt, sondern ähnlich wie bei der DER KÖNIG VON KÖLN dem deutschen Unternehmertum einen Spiegel vor das Gesicht hält und die hässliche Fratze der Machtausübung offenbart. Betrug und Korruption prägen nur sekundär das Thema des Films, sind jedoch zu jeder Zeit allgegenwärtig und verschaffen dem Werk auch abseits des unterhaltsamen Horrors eine Daseinsberechtigung. Insbesondere Hauptdarsteller Thomas Niehaus, der bereits in dem fantastischen Film NUR EIN AUGENBLICK mitwirkte, muss dabei lobend erwähnt werden.

Ach du Scheisse! Filmstill

Ach du Scheisse! ©2022 Daniel Dornhoefer

Kritisiert werden vor allem Immobilienspekulationen, politische Machenschaften, gnadenlose und rücksichtslose Finanzgeschäfte, sowie die Macht und Machtausübung von namhaften Persönlichkeiten. Im Grunde genau die Thematiken, die sich beispielsweise noch immer um das Kino Colosseum in Berlin ranken, wodurch ACH DU SCHEISSE! eine erschreckende Aktualität genießt. Tragischerweise decken solche Satiren lediglich die Missstände in der deutschen Gesellschaft auf, regen aber nicht zum Handeln an. Stattdessen ist das Publikum eher davon begeistert den atemraubenden, intriganten Geschehnissen der Finanzhaie zu folgen und bei all der Idiotie die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen, statt selbst aufzustehen und sich dieser dramatischen Entwicklung entgegenzustellen. Im Grunde könnte man sogar behaupten, dass solche Streifen das Publikum in eine Art gleichgültige Trance der Unterhaltung versetzen, durch welche sie geradezu handlungsunfähig werden. Doch ist dies keinerlei Kritik am Film, denn zugleich müssen solche Themen natürlich erst einmal angesprochen werden, bevor man überhaupt dagegen vorgehen kann.




Niehaus im WC (Worst Case)

Tragischerweise passiert dies nur recht oberflächlich und beiläufig, wodurch das Werk viel zu harmlos mit der Gesellschaftskritik umgeht. Der wesentliche Fokus liegt stattdessen noch immer auf einer ziemlich dreckigen und stinkenden Survivalgeschichte, welche nicht nur die Leinwand zum Strahlen bringt, sondern auch das Kopfkino in den seltsamsten Farben leuchten lässt. Ekel spielt dabei in verschiedensten Formen eine zentrale Rolle. Dabei sei bemerkt, dass wir uns dennoch auf einer akzeptablen Ebene des Ekels bewegen, denn statt das die Figuren sich sinnlos in der Gegend übergeben oder Fäkalhumor nutzen oder die vielen anderen, leider mittlerweile selbstverständlichen, Abstrusitäten der deutschen Comedy auskosten, werden wir hier in eine vergleichsweise natürliche Umgebung dieses Gefühls versetzt, welche zudem für das Publikum nachvollziehbar wird.

Ach du Scheisse! Filmstill

Ach du Scheisse! ©2022 Daniel Dornhoefer

Nicht selten steht die Frage unausgesprochen im Raum: Was wäre, wenn ich in eben jener Situation wäre? Und glücklicherweise kann diese oftmals mit folgenden Worten beantwortet werden: Ich würde exakt das Gleiche tun. Es ist geradezu erfrischend, sofern dieses Wort im Zusammenhang mit ACH DU SCHEISSE! überhaupt verwendet werden darf, wie sinnig Entscheidungsprozesse teilweise getroffen wurden, auch wenn nicht selten der Zufall und das Glück wieder einmal die besten Helfer sind. Wohlgemerkt sollten die Zuschauenden die Prämisse wortlos akzeptieren, denn sobald der Grundgedanke in Frage gestellt wird, funktioniert der ganze Film nicht mehr. Denn sind wir einmal ehrlich: Wenn der massive Blutverlust nicht eigentlich schon hätte zum Tode führen müssen, dann hätte mindestens eine Blutvergiftung dieses Urteil über den Protagonisten fällen müssen. Wer schwache Nerven hat, sollte in jedem Fall diesen Film meiden, denn so einige Szenen bieten einen hohen Schmerzfaktor.

You urined my life!

Abseits davon sehen wir einen überraschend wertig produzierten Film, der ein wenig dem bayrischen Klischee entspricht und fast schon genauso Comichaft wie das zugehörige Poster wirkt. Ein wenig erinnert dies sogar an die Karikaturen von Manfred Deix, die in diesem Jahr ebenfalls ihren Weg auf die Leinwand mit dem Film WILLKOMMEN IN SIEGHEILKIRCHEN gefunden haben, auch wenn wir uns in einer Realverfilmung wiederfinden. Mit der Unterstützung der beiden bekanntesten Hersteller für mobile Toiletten DIXI und TOI TOI erhielt das Filmteam vier solcher Kabinen, die nach Lust und Laune für die Umsetzung des Films missbraucht werden konnten und schließlich auch wurden. Tatsächlich wurde nämlich in chronologischer Reihenfolge gedreht, wodurch eine wesentliche Kabine Stück für Stück dem Zerstörungsprozess zum Opfer fiel.

Ach du Scheisse! Filmstill

Ach du Scheisse! ©2022 Daniel Dornhoefer

Nicht vergessen werden sollte allerdings, dass selbst die eigentlich kurzen 90 Minuten Laufzeit noch ein wenig zu lang sind und die Story, bedingt durch die wenigen Entwicklungsmöglichkeiten, sich leider viel zu sehr im Kreis dreht. Teilweise, gerade gen Ende hin, werden die Ideen so abgedreht und durchgeknallt, dass der Eindruck entsteht, Rinker wolle um jeden Preis den verrücktesten Film drehen, der nur möglich ist, auch wenn dabei jede tiefsinnigere Message verloren geht (es wäre wohl nicht schwer gewesen diesen Wahnsinn und die Kritik gleichzeitig sich entwickeln und für sich sprechen zu lassen). Zudem muss dem Publikum bewusst sein, dass es sich hierbei nicht um einen gängigen Unterhaltungsfilm handelt, was schon daran deutlich wird, dass ACH DU SCHEISSE! der Gewinner des diesjährigen Audience Awards beim HARD:LINE Filmfestivals war.

Fazit

So ungewöhnlich ein Horror-Survival-Splatter-Comedy-Kammerspiel, welches mit bayrischem Hintergrund verwurzelt ist, auch sein mag, so schräg und mitreißend erscheint das Szenario letztlich. Nur hartgesottene Kinoliebhabende werden keine Miene angesichts makaberster Verletzungen und widerlichster Handlungen verziehen. Der schwarzhumorige Anteil bringt besten Spaß und brennt den Film ins Gedächtnis ein, obwohl es immer wieder so scheint, als wäre nun der gesamte Erzählstoff aufgebraucht, wodurch die Story unnötige Spiralen dreht, die den Kinogenuss etwas schmälern. Auch wenn der Film gnadenlos überzeichnet ist, geschieht all dies mit einem charmanten Augenzwinkern aus der Regie, wodurch eine Sichtung durchaus lohnenswert wird und obendrein das deutsche Unternehmertum ein wenig in seinen Grundfesten dekonstruiert.

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