Review Kurzkritik Fakten + Credits


Häufig sehen wir in Filmen das Leben in der großen Stadt. Bei amerikanischen Produktionen sind es Städte wie Los Angeles oder New York, die uns ein Gefühl vom Leben in den Staaten vermitteln sollen. Wenn wir den Blick auf Deutschland richten, scheint es, als würden alle Deutschen in Berlin, München oder Hamburg leben. Auch wenn in Deutschland mehr als 75% der Menschen in Städten Leben, handelt es sich dabei doch eher um Kleinstädte. Wer selbst in einer Kleinstadt aufgewachsen ist, wird die Probleme kennen, die mit dem vermeintlich beschaulichen Leben verbunden sind. Es mangelt häufig an Möglichkeiten, insbesondere für Jugendliche, die sich gerade in der Identitätsbildung befinden. Häufig bleibt nichts anderes übrig, als den Weg zu gehen, den viele schon vor einem gegangen sind, oder die Heimat zu verlassen. So werden Gruppen gebildet, in denen die Jugendlichen Zugehörigkeit finden.

Arboretum Filmstill

Arboretum ©2023 Drop-Out Cinema

Im Filmdebüt von Julian Richberg handelt es sich dabei um Nazis und Punks. Die Punks halten sich dabei in einem besetzten Haus auf und die Nazis machen immer wieder Jagd auf die anderen. Wer (wie ich) selbst in den 1990ern und Anfang der 2000er aufgewachsen ist, wird diese Gruppen kennen. In linken Jugendzentren haben Teenager Konzerte organisiert und sind erstmalig in Berührung mit Politik und dem Erwachsenwerden gekommen. Regisseur Julian Richberg erzählt im Film teilweise über seine eigenen Erfahrungen. Das besondere an ARBORETUM ist, dass der Film vom Regisseur allein finanziert wurde. Gerade neue Regisseure haben es häufig schwer in Deutschland an Filmförderung zu kommen. Je spezieller die Projekte werden, desto niedriger die Wahrscheinlichkeit der Förderung. Schon deswegen sollte man hier mal einen Blick wagen, um einen aufstrebenden, mutigen Filmemacher zu unterstützen.

Darum geht es…

Erik (Oskar Bökelmann) und Sebastian (Niklas Daddo) wachsen in einem kleinen Dorf in Thüringen auf. Dieses Dorf befindet sich direkt an der ehemaligen innerdeutschen Grenze und man spürt, dass die Last der DDR immer noch auf den Schultern des Ortes liegt. Die beiden Jugendlichen wollen mehr, als jeden Tag nur rumzuhängen und Videospiele zu spielen. Sie wollen wahrgenommen werden. Da es kaum andere Möglichkeiten gibt, gehen sie zum jährlichen Schützenfest, bei dem es zu Konflikten mit Mitschülern kommt. Sebastian wurde schon immer von anderen gehänselt, bereits in der Grundschule wurde er zum Außenseiter, doch Erik war das immer egal und so hat sich eine tiefe Freundschaft zwischen den beiden Entwickelt. Die beiden machen alles zusammen. Als Elli (Anna Jung) in das Leben von Erik tritt, ist Sebastian deswegen sehr eifersüchtig und die Freundschaft wird auf die Probe gestellt. Als wäre das nicht schon schlimm genug, treibt eine düstere Gestalt ihr Unwesen in den Wäldern und interessiert sich für Erik.

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Rezension

Bevor gleich auf einige Punkte im Film eingegangen wird, die ihm leider etwas an Wirkung nehmen, sollte man ARBORETUM trotzdem eine Chance geben und aus einem anderen Blickwinkel betrachten als einen Blockbuster mit einem riesigen Budget. Wie oben bereits geschrieben, hat Regisseur Julian Richberg diesen Film aus eigener Tasche finanziert. Es ist kein gewöhnlicher Film, der eine sichere Bank gewesen wäre, sondern ein Drama, dass mit Genre-Elementen experimentiert. Wir sehen eine furchteinflößende Gestalt, vor deren visueller Umsetzung man nur den Hut ziehen kann und insgesamt ein Werk voller Kreativität. Man spürt, dass Richberg viele Ideen hat, die hier alle Einzug in den Film finden. Da wäre zum einen der Konflikt zwischen den beiden Freunden, die sich mit zunehmendem Alter voneinander entfernen. Dann wäre da die übernatürliche Komponente im Wald, die eine unheimliche Stimmung versprüht. Außerdem schwelt konstant der Konflikt zwischen Punks und Nazis. Für einen knapp 80-minütigen Film sind es etwas zu viele Handlungsstränge, die nur wenig Raum bekommen sich zu entfalten.

Arboretum Filmstill

Arboretum ©2023 Drop-Out Cinema

Eine weitere Schwierigkeit von ARBORETUM sind die Konflikte zwischen den einzelnen Figuren. Dass Nazis und Punks sich gegenseitig auf die Mütze geben ist keine große Überraschung, aber gerade der Streit, der zwischen den beiden Hauptfiguren entsteht, kommt mehr oder weniger aus dem Nichts. Als Erik und Elli beginnen sich füreinander zu interessieren, beginnt sich Sebastian plötzlich Elli niederzumachen. Zu diesem Zeitpunkt wissen wir allerdings noch nichts über die Figuren. Wir sehen zwei junge Männer, die bisher noch keinen eigenen Charakter aufgebaut haben. Mit voranschreiten der Handlung wird klar, warum sich Sebastian so verhält, wie er sich verhält, bis dahin fällt es aber sehr schwer sich in die Figur hineinzuversetzen. Insgesamt erfährt man nur sehr wenig über die beiden, obwohl es sich um sehr Interessante Figuren handelt, die von ihren Schauspielern ordentlich verkörpert werden. Bei allen anderen Figuren handelt es sich leider häufig um eindimensionale Stichwortgeber, die wirken, als wären sie nur da, um die Handlung voranzutreiben, sie sind Filmfiguren, aber keine richtigen Menschen.

Sehr viel Potenzial, trotz eines geringen Budgets

Neben den ganzen zwischenmenschlichen Konflikten, eröffnet ARBORETUM eine übernatürliche Mystery-Ebene. Im Wald scheint ein Wesen zu leben, dass Erik dazu drängt schlimme Taten zu begehen. Existiert dieses Monster, oder bildet sich Erik diesen Geist nur ein? Man denkt unweigerlich an den Hasen Frank aus DONNIE DARKO, der Jake Gyllenhaal seinen Weg vorgibt. Dass dieser Film zitiert wird, passt perfekt in die Zeit, in der ARBORETUM spielt. Wir sehen die Welt, in der der Regisseur seine Jugend verbracht hat. SCREAM– und Eminem Poster an den Wänden, es wird Playstation 2 gespielt, wir befinden uns im Jahr 2001. Auch wenn die Zeit einigermaßen stimmig dargestellt wird, fühlt sich die komplette Mystery-Horror-Ebene doch wie ein Fremdkörper an. Hätte man auf diese Elemente verzichtet und die Figuren etwas mehr auserzählt, wäre vermutlich ein spannenderer Film entstanden. Es ist trotzdem klar zu erkennen, was Richberg erzählen wollte, vermutlich ist er durch die begrenzten Mittel mit angezogener Handbremse gefahren.

Arboretum Filmstill

Arboretum ©2023 Drop-Out Cinema

Dieses Bild zeigt sich auch in der technischen Umsetzung des Films. Erstmal muss man sagen, dass bei ARBORETUM ein wahnsinnig gutes Auge für stimmungsvolle Bilder bewiesen wurde. Wenn wir eine der Figuren im Wald liegen sehen, und sich um sie herum das grüne Dickicht erstreckt, möchte man auf Pause drücken und sich das Bild einrahmen. Auf der anderen Seite verliert der Film in dynamischeren Szenen gerne mal an Übersicht. Die Stellschraube, an der am meisten gedreht werden müsste, ist vermutlich das Sounddesign. Es kommt immer wieder zu Momenten, in denen man die Figuren kaum versteht, weil die Umgebungsgeräusche viel zu laut sind. Wenn die Schauspieler*innen dann noch ihre Texte weg nuscheln, fällt es manchmal schwer dem Geschehen zu folgen. Trotzdem ist auch hier viel Potenzial erkennbar, das vermutlich an geringen Mitteln gescheitert ist.

Fazit:

Für mich lautet das große Fazit von ARBORETUM „Schade“. Allerdings nicht, weil untalentierte Leute am Werk waren, oder weil der Film schlecht ist, sondern viel mehr, weil man eine große Ambition erkennen kann und es für Filmemacher wie Julian Richberg so schwer gemacht wird an Filmförderung zu kommen. Dafür, dass hier ein Film aus eigener Tasche bezahlt wurde, ist es wirklich beeindruckend, was hier zu sehen ist. Man kann nur hoffen, dass der Film viele Leute erreicht und ein Regisseur und Drehbuchautor, mit so viel kreativer Energie und guten Ideen, es schafft seine Visionen mit mehr Mitteln umzusetzen. Deswegen ein weiteres Mal der Appell: Auch wenn ARBORETUM nicht perfekt ist und man ihm immer wieder sein niedriges Budget ansieht, gebt diesem Film eine Chance.

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