Aus den Anfängen als Drehbuchautor für Fernsehserien und kleinere Filme entwickelte sich mit bereits mit dem Debütfilm AS TEARS GO BY spätestens aber mit seinem internationalen Durchbruch CHUNGKING EXPRESS einer der einprägsamsten Filmemacher seiner Generation. Bekannt sind die Filme von Wong Kar-wai allem voran für ihren herausstechenden Stil, ihre eigenwillige Ästhetik, vor der sich zuletzt der A24-Sleeperhit EVERYTHING, EVERYWHERE ALL AT ONCE in einem seiner zahlreichen Paralleluniversen gebührend verbeugte. Nun gibt es die Gelegenheit, den Film sowie andere seiner Werke wie FALLEN ANGELS und IN THE MOOD FOR LOVE (erschien bereits im vergangenen Jahr) in der Veröffentlichung einer Special-Edition (wieder) zu erleben.
Darum geht es
In der zweiteiligen Erzählung verweben sich verschiedenste Romanzen und Schicksale. Eines davon ist die Geschichte des jungen Polizisten 223, der die Trennung von seiner Freundin verarbeiten muss. Nach längerer Zeit trifft er auf eine zwielichtige Frau, die zuvor in ein misslungenes Drogengeschäft verwickelt war und will mit ihr eine Beziehung eingehen. Die zweite Geschichte widmet sich dem Polizisten 663, der seit einer Trennung ebenfalls in Einsamkeit lebt. Zunächst unbemerkt hat sich die Imbissmitarbeiterin Faye in ihn verliebt, die sich durch einen Zufall Zugang zur Wohnung des Mannes verschaffen kann …
Rezension
Mit den Klängen Michael Galassos „Baroque“ (1992) gelingt gleich zu Beginn eine der eigenwilligsten und zugleich eindringlichsten Eröffnungssequenzen der moderneren Filmgeschichte. Ein zwielichtiger Plan, eine Verfolgungsjagd, eine flüchtige Begegnung im nächtlichen Hongkong, bei der sich die Figuren der ersten Geschichte auf 0,01 cm nahe kommen. Es ist zugleich die erste und sehr direkte Vermittlung des außergewöhnlichen Stils, der nicht nur dieses Werk von Kar-wai durchzieht. Hektisch, verschwommen, hypnotisch, schräg – die (emotionale) Orientierungslosigkeit seiner Figuren visuell zu eigen gemacht. Ohne die sonderbare Ästhetik bliebe nicht viel von den gezeigten Romanzen, welche mit ihrer eigenwilligen Inszenierung jene Frische, Unverwechselbarkeit und visuelle Identität erhalten, die vielen anderen Genrebeiträgen damals wie heute fehlt.
Mögen Sie Ananas?
Beide Geschichten verbinden, abgesehen von der lokalen Verknüpfung durch den Schnellimbiss Midnight Express, die Themen, die CHUNGKING EXPRESS in seiner stilisierten, aber niemals polierten Inszenierung wiederholt aufgreift. Mögen die Figuren und deren Hintergründe unterschiedlicher und eigenwilliger nicht sein können, ihre Einsamkeit und Sehnsüchte ähneln sich ohne Zweifel. Ihre Charakterisierungen bleiben überwiegend schemenhaft, obwohl gegenwärtige Gefühlszustände eingehend bebildert und musikalisch unterlegt werden. Doch auch der zuweilen traum- und rauschartige Zustand des Films kann einzelne schablonisierte Handlungselementen und Verkürzungen nicht verbergen. Als eigenständige Filme hätten sich beide Kapitel zwar von ihren unmittelbaren Verknüpfungen und Spiegelungen lösen müssen, die Figuren und deren reizvollen Mikrokosmen jedoch noch weiter erkunden können. So wie in FALLEN ANGELS, der dritten für CHUNGKING EXPRESS angedachten Geschichte, die Kar-wai schließlich als eigenen, ungemein sehenswerten Film inszenierte.
Die zuvor angesprochenen Verknüpfungen der Geschichte ist nicht nur thematischer und ästhetischer Natur, sondern lässt sich auch aus den Details des oft nächtlich eingefangenen Hongkongs herauslesen. Leuchtende Coca-Cola-Reklame, eine Garfield-Plüschfigur oder die prägende Wiederholung des 1965 erschienenen Folk-Pop-Songs California Dreamin’ – die Einflüsse des Westens sind unumgänglich. Einhergehend schimmert die Gesellschaftskritik zwischen den blinkenden Werbeschildern hervor, wird von der stroboskopartige Bebilderung jedoch häufig erdrückt. CHUNGKING EXPRESS setzt auf die Vereinnahmung durch einen hypnotisierenden Inszenierungsstil, auf Sogkraft durch Handkameras, auf Authentizität durch den überwiegenden Verzicht auf zusätzliches Licht, durch Dutch Angles. Eine Formel, die bei Kar-wai-Enthusiast*innen sowieso, aber auch bei unvoreingenommenen Zuschauer*innen aufgehen kann.
Fazit
Ungewöhnliche Begegnungen in einem hypnotisierenden wie melancholischen, elektrisierenden nächtlichen Bilderbogen. Wong Kar-wais viel gelobter CHUNGKING EXPRESS ist ein Film mit unverwechselbarer Gestalt ohne ausgesprochen komplexe Geschichte(n), dafür mit prägender, stilvoller Inszenierung. Nachdenklich und eigenartig, facettenreich und gleichermaßen skizzenhaft.
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