Langreview Kurzkritik English Version Fakten + Credits
Delia Owens ist Zoologin und hat im Fach Verhaltenswissenschaften der Tiere promoviert. Große Teile ihres Lebens verbrachte sie mit der Erforschung der Natur, insbesondere der Kalahari Wüste. Zusammen mit ihrem Ehemann Mark Owens wurden mehrere wissenschaftliche Publikationen sowie auch Forschungen veröffentlicht. Im Alter von 68 Jahren schlug Delia Owens jedoch noch einmal einen neuen Karriereweg ein und veröffentlichte ihren ersten Roman mit dem Titel DER GESANG DER FLUSSKREBSE welcher sogleich zum riesigen Welterfolg wurde. Nachdem Schauspielerin und Produzentin Reese Witherspoon, die unter anderem auch für die Produktion des gleichnamigen Films verantwortlich ist, das Buch in ihrer Show „Hello Sunshine“ präsentierte, entwickelte sich das Werk zu einem regelrechten Verkaufsschlager. Ganze 12 Millionen Exemplare wurden insgesamt unter die Leute gebracht. Zudem konnte die Newcomer-Autorin einen neuen Nummer 1 Rekord bei der New York Times im Bereich fiktionaler Hardcover Bestseller aufstellen. Laut Produzentin Elizabeth Gabler ist sie zudem auch im Film zu sehen.
Darum geht es
Mitten im Schwemmland von North Carolina, unweit des Ortes Barkley Cove wird Chase unterhalb eines Feuerwachturm tot aufgefunden. Während die Behörden ermitteln, ist anfangs unklar, ob es sich um einen Unfall oder einen Mord handelt, doch schnell gerät das Marschmädchen Catherine „Kya“ Clark ins Visier der Bevölkerung und wird von der Polizei in Gewahrsam genommen. Die junge Frau beteuert ihre Unschuld, doch wird ein Prozess über sie richten und es steht nichts Geringeres als ihr eigenes Leben auf dem Spiel. Um einer Hinrichtung zu entgehen, muss sie sich ihrem Anwalt öffnen und erzählt ihm ihre Geschichte, die voll ist von Liebe, Hass, Einsamkeit, Zweifel und Angst.
Rezension
Lange war Kino nicht mehr so leicht verdaulich wie bei DER GESANG DER FLUSSKREBSE. Präsentiert wird uns ein verschachtelter Film, der sich recht nah an der Romanvorlage orientiert und in mehreren Zeitebenen stattfindet. Immer wieder springt die Handlung zwischen den 50er, 60er und 70er Jahren hin und her und es dauert eine Weile, bis das Publikum einen Überblick über die ganzen Verknüpfungen erhält, die trotz dessen recht einfach gestrickt sind. Justizdrama trifft auf Romanze, Krimi trifft auf Mystery. Erzählt wird eine atmosphärische Geschichte, die sich im Grunde nur um die Belange der Hauptfigur dreht und ihren aufgezwungenen Wunsch nach Einsamkeit, ihre Liebe zur Natur, ihre persönliche Entwicklung vom eingeschüchterten Kind zur selbstbewussten Frau sowie ihre Sehnsüchte thematisiert. Umschlossen wird dies von der oftmals viel zu kurz kommenden Rahmenhandlung der bereits angedeuteten Mordermittlungen.
Recht schnell entsteht der Eindruck, dass wir uns mitten in einer Nicholas Sparks Verfilmung befinden. Ruhige Szenerien mit sanfter Musik, unzählige Sonnenuntergänge am Wasser, eine auserzählte und intensive Liebschaft sowie natürlich ein paar emotionale Konflikte zeigen, dass Regisseurin Olivia Newman die volle Bandbreite der schnulzenhaften Erzählung auskostet. Abgesehen davon, dass dieser Part viel zu umfangreich ist und es an vielen Stellen gut getan hätte ein wenig zu kürzen, werden die laut pochenden Herzen des Publikums in ihrer Erwartung vollkommen zufrieden gestellt. Darunter leidet jedoch das ergänzte Justizdrama, welches in seiner Grundstruktur einen interessanten Kontrast bildet und daher auch für Nichtromantiker eine wunderbare Abwechslung bietet, dabei aber zahnlos und oberflächlich bleibt. Statt eines mitreißenden Gerichtsprozesses sehen wir immer wieder nur kleine und harmlose Anwaltsduelle, die das Finale schon frühzeitig erahnen lassen und daher jeglicher Spannung beraubt sind. Es hätte gut getan sich ein wenig bei Billy Wilders ZEUGIN DER ANKLAGE abzugucken.
Harmlose Naturdoku
Doch das ist nicht das einzige Problem dieser Rahmenhandlung. Mehrere Parallelen zur fantastischen Tragikomödie GRÜNE TOMATEN sind eindeutig erkennbar, doch vernachlässigt die Regisseurin diesen Part so sehr, dass sogar mehrere unerwartete Andeutungen nicht ausgenutzt und ordentlich verarbeitet werden. Statt eines differenzierten Gerichtsprozesses, der tatsächlich die Schuldfrage untersucht und damit auf mehr als nur eine verdächtige Person blickt, obwohl wir sogar weitere potentielle Täter gezeigt bekommen, die ein starkes Motiv haben und bei denen der Mord ebenfalls als empathischer Akt betrachtet werden würde, geht man lieber den einfachen und unkomplizierten Weg und erweckt damit den Eindruck, dass man das sanfte Gemüt des Publikums bloß nicht strapazieren möchte.
Liebhaber der amerikanischen Flusslandschaften werden hier ähnlich tolle Bilder zu sehen bekommen, wie wir sie beispielsweise aus THE PEANUT BUTTER FALCON kennen gelernt haben. Gleichzeitig wird dadurch aber auch ein Weg beschritten, der nicht untypisch für Romanzen ist und wodurch dieses Genre immer wieder in ein schlechtes Licht gerückt wird. Perfektionistische Darstellungen zeigen uns eine Welt, die fern ab der eigentlichen Realität zu spielen scheint. Selbst die Unordnung unterliegt offenbar einer klaren Ordnung und auch die schlammigen Landschaften erscheinen nicht wirklich abstoßend schmutzig, so wie es jüngst in PREY zu sehen war. Es wird uns regelrecht vorgeschwärmt, wie schön das Leben als Außenseiterin doch sein kann, wenn man sich frei macht, von allen Konventionen und seinen eigenen Träumen und Leidenschaften folgt. Dieser Punkt ist ganz klar inspiriert von Delia Owens eigenem Leben.
Freshes Spiel von Daisy
Auch die Rolle von Hauptdarstellerin Daisy Edgar-Jones, die den Film nahezu im Alleingang prägt, weist keine Ansätze einer verwilderten Außenseiterin auf, als welche sie mehrfach tituliert wird. Ironischerweise wird stattdessen ihre Figur zunehmend einem gesellschaftlich anerkannten Schönheitsideal unterworfen, welches angesichts ihrer Umstände und dem Wunsch eines distanzierten Lebens zur Zivilisation gar keinen Sinn macht. Nichtsdestotrotz liefert sie ähnlich wie in FRESH eine sehenswerte Schauspielleistung ab, die sich besonders durch ihre präzise Mimik zeigt und es den Zuschauenden leicht macht, sich in die Person hineinzufühlen. Abseits von ihr, sind es vor allem Sterling Macer Jr. und Michael Hyatt, die ins Auge fallen und deren Nebenrollen als einfach Geschäftsleute, die der massiven Diskriminierung (die leider ebenfalls viel zu kurz kommt) als BPoC im Südosten der USA unterliegen, eine familiäre und liebenswerte Komponente ergänzen.
Fazit
DER GESANG DER FLUSSKREBSE zeigt uns einige tolle Ansätze und lässt nur die wenigsten Menschen versteinert und gefühllos zurück. Es ist der emotionale und leidenschaftliche Film, auf den wir seit Aufhebung des letzten Lockdowns warten. Dennoch ist es ein Werk, welches harmloser und unspektakulärer kaum sein könnte und aussieht, als wäre es durch eine rosarote Brille betrachtet. Viel zu lange expositorische Anteile lassen uns ungeduldig darauf warten, dass Romanze, Drama und Krimi endlich zueinander finden und eine harmonische Einheit bilden. Schlussendlich müssen wir auf diesen Moment jedoch verzichten und uns damit begnügen von tollen Natur- und Tieraufnahmen eingelullt zu werden. Sicherheits- und Wohlfühlkino vom feinsten, bei dem leider jede erinnerungswürdige Entwicklung übersprungen wird, weshalb das Werk großes Potential hat im Nichts der riesigen Filmlandschaft zu verschwinden.
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