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Zeugin der Anklage

Zeugin der Anklage ©2022 capelight pictures

Erst kürzlich veröffentlichte Kenneth Branagh seine Neuinterpretation von Agatha Christies TOD AUF DEM NIL, dessen Ursprungsfassung StudioCanal zu Beginn des Jahres ebenfalls noch einmal auf die Kinoleinwände zurückbrachte. Die Geschichten der Krimiautorin bergen bis heute ihren Reiz, da sie spannend erzählt sind und in der Regel fantastische Wendungen bieten, die das Publikum auch in der letzten Filmminute noch einmal komplett überraschen können. 1925 veröffentlichte die überaus erfolgreiche Autorin die Kurzgeschichte Traitor’s Hand, welche 1933 noch einmal überarbeitet wurde und als ZEUGIN DER ANKLAGE noch einmal ein ganz neues Ende verpasst bekam. 24 Jahre später entstand eine Filmadaption. Die Regie übernahm kein geringerer als einer der wichtigsten Filmemacher aller Zeiten, Billy Wilder. Mit 21-Oscar®-Nominierungen und rund 60 Filmproduktionen, zu denen DAS APPARTEMENT, EINS, ZWEI, DREI und EMIL UND DIE DETEKTIVE zählen, hat sich der 2002 verstorbene Deutschsprachige ein cineastisches Denkmal gesetzt.

Darum geht es

Sir Wilfried Robarts hat gerade erst eine gesundheitliche Krise hinter sich und ist den ersten Tag nach seinem Herzinfarkt wieder zu Hause. Umsorgt von der gouvernantenhaften Hausdame Miss Plimsoll, die mit Adleraugen darauf achtet, dass der bekannte Londoner Strafverteidiger sich Ruhe und seine Medizin gönnt, wird Sir Robarts unmittelbar nach seiner Ankunft in einen neuen Fall hineingezogen. Während er sich immer wieder aus den Klauen von Miss Plimsoll winden muss, beschäftigt ihn der aussichtslose Fall um Leonard Vole, der laut Anklage beschuldigt wird, die reiche Dame Emily French ermordet zu haben, nachdem sie gerade erst ihr Testament ändern lies und Vole darin großzügig bedachte. Die Indizien sprechen klar gegen ihn, und der Fall scheint verloren, als auch noch Voles vermeintliche Ehefrau Christine aussagt und ihn schwer belastet. Gibt es noch irgendeine Chance, dass der Handelsvertreter freigesprochen wird?

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Rezension

„Sie haben einen wunderbaren Job gemacht und ich bewundere diesen Film immer noch sehr. So wie die meisten anderen Menschen auch.“ Mit diesen Worten reagierte Agatha Christie auf die verzweifelte Skepsis von Wilder, der befürchtete, dass die Autorin seinen Film womöglich nicht mögen könnte. Wenn nun also die Urheberin, die generell eher skeptisch den Verfilmungen der eigenen Titel gegenübersteht, meint, dass dies die einzige Verfilmung sei, die ihr wirklich gefallen habe, dann bleibt der Kritikerhand kaum mehr Raum, Angriffspunkte zu finden, die eine ungenügende Inszenierung deutlich machen könnten. Doch dies ist auch nicht immer nötig, denn es ist durchaus angebracht, zeitlose Meisterwerke auch als solche zu würdigen, weshalb es umso fantastischer ist, das capelight pictures ein solches altehrwürdiges Justizdrama wieder aus der Mottenkiste holt und nun in Blu-ray-Fassung noch einmal veröffentlicht.

Zeugin der Anklage

Zeugin der Anklage ©2022 capelight pictures

Wilder, der sich vor allem im Bereich der Komödien einen Namen gemacht hat, zeigt überragend gutes Feingefühl in der Gestaltung und Taktung seines Films. Er selbst hat einmal zehn Regeln für das „gute Filmemachen“ postuliert, die für die Betrachtung des eigenen Werks hervorragend geeignet sind. Tatsächlich schafft er es, diese Punkte nahezu alle in Perfektion abzuhaken, ohne dabei ein Werk zu produzieren, welches schlicht nach Checkliste gestrickt ist. ZEUGIN DER ANKLAGE ist ein schlichter Film, der im Wesentlichen nur an zwei Schauplätzen, dem Büro des Strafverteidigers sowie dem Gerichtssaal stattfindet und sich somit, wie bei Justizdramen üblich nur wenig auf visuelle und akustische Elemente stützt, sondern fast ausschließlich vom Dialog lebt. Das Publikum ist Zeuge eines Krimis und fungiert ähnlich wie die Jury im US-Justiz-System, nur das dieses deutlich mehr Informationen bekommt. Dennoch werden die Zuschauenden mittels der Beeinflussung des Verteidigers zu einem Urteil gezwungen.




Scharfzüngiger Humor

Das Schauspiel der diversen Darstellenden ist fantastisch, auch wenn dieses eher einer Theaterdarstellung gleicht. Allesamt bringen sie etwas zu viel Körpersprache und Einsatz in die Geschichte hinein, wodurch eine gewisse Distanz zwischen Publikum und Bildgeschehen aufgebaut wird. Da dies jedoch nicht untypisch für das Filmemachen in der Zeit der 50er Jahre ist, ist es nur schwer, hier drin einen Kritikpunkt zu finden. Stattdessen ist vor allem Charles Laughton eine Koryphäe, die von der ersten Minute an fesselt. Als Sir Wilfried Robarts war es ihm möglich, seine eigene, exzentrische und launige Art in einer Rolle zu verarbeiten. Dadurch erhalten wir eine griesgrämige und schlagfertige Hauptfigur, die schon vom ersten Moment an fesselnd wirkt. Im Zusammenspiel des echten Ehepaars Charles Laughton und Elsa Lanchester erhalten wir zudem einige sehr harsche Schlagabtäusche, bei denen oftmals ganz schön ausgeteilt wird.

Wir sind bemüht es nicht zur Regel werden zu lassen.Zeugin der Anklage

Zeugin der Anklage

Zeugin der Anklage ©2022 capelight pictures

Marlene Dietrich wirkt in ihrer kleinen Nebenrolle nicht weniger exzentrisch und reizt ihre Figur etwas zu sehr aus. Während wir bei der ersten Vorstellung noch mit leichten mimischen Aussagen konfrontiert werden, steigert sich dies immer weiter zu einer ungehaltenen Darstellung, die nicht mehr realen Reaktionen entsprechen. Nicht viel anders entwickelt es sich auch bei Tyrone Power, dem Anfang noch die Opferrolle ganz klar abgekauft werden kann, der aber mit der Zeit Eigenarten präsentiert, die sich von jeder menschlichen Interaktion abheben. An dieser Stelle sei jedoch vermerkt, dass eine Beurteilung aus heutiger Perspektive nur schwer möglich ist, da das menschliche Miteinander sich in den vergangenen 70 Jahren selbstverständlich ebenfalls sehr entwickelt hat. Die Figurenzeichnung entspricht in jedem Fall dem üblichen Bild, welches wir aus anderen Filmen der angesprochenen Zeit auch kennen.

Zeugin der Anklage

Zeugin der Anklage ©2022 capelight pictures

Unerwartet

Die Handlung selbst bleibt lange Zeit unspektakulär und folgt den klassischen Gesetzen einer Justiz-Szenerie. Es gibt das erste Kennenlernen der einzelnen Figuren, gefolgt von einer ersten Anhörung, der Beweissammlung, Rückschlägen und kleineren Raumgewinnen. Was ZEUGIN DER ANKLAGE jedoch vor allem auszeichnet, ist der hervorragende Schluss, der gleich mehrere Wendungen offenbart, die nur schwer vorab zu erkennen sind. Jedes Element, jeder Satz und jede Tat sind genau durchgeplant und passen perfekt in das Gesamtbild, so dass sich Wilder nicht die Blöße gibt, eine Kleinigkeit zu übersehen.

Bewertung Michel RieckFazit

ZEUGIN DER ANKLAGE macht in allen Belangen Spaß und ist ein fabelhaftes Werk seiner Zeit. Die scharfzüngigen Dialoge fangen die Aufmerksamkeit ein, die notwendig ist, um das Publikum für das Gerichtsgeschehen zu begeistern und auf den Pfad der Selbsterkenntnis zu bugsieren. Statt auf optische Genialität zu setzen, präsentiert uns Wilder ein tolles Zusammenspiel verschiedenster Charaktere, angeführt von einem grandiosen Charles Laughton. Mit wunderbarem Timing verbindet Wilder Humor mit Dramatik und krönt das ganze mit einem wendungsreichen Finale, welches unerwartet und dennoch smart in all seinen Zügen ist.

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