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„Kunst kommt von Können“ – es gibt wohl kaum jemanden in Deutschland der noch nicht mit dieser Redewendung konfrontiert wurde. Üblicherweise wird sie scherzhaft eingesetzt, um mangelndes Talent hinsichtlich künstlerischer Fähigkeiten zu überspielen. Doch ist diese Redewendung tatsächlich korrekt, da „Kunst“ ein Substantivabstraktum zum Verb „können“ ist. Dass die Begriffe nicht von Natur aus in Korrelation gebracht werden liegt daran, dass in der heutigen Zeit Kunst üblicherweise mit den „schönen Künsten“ gleichgesetzt wird und viele Menschen daher nur eine eingeschränkte Definition des Begriffs vor Augen haben. Die schönen Künste umfassen alle gängigen Werke und Entstehungsprozesse rund um Musik, Theater, Tanz, Film, Literatur, Gemälde, Skulpturen, Architekturen und ähnlichen kreativen Entwicklungen. Der Kunstbegriff selbst umfasst jedoch ursprünglich alle Tätigkeiten, die nicht auf statischen und geistlosen Prozessen beruhen, sondern durch Wissen, Übung, Wahrnehmung, Vorstellung und Intuition geprägt sind.
Regisseur Vasilis Katsoupis dürfte sich mit dieser Begrifflichkeit bestens auskennen, denn im Rahmen seines Medien- und Filmwissenschaftsstudiums lernte er viel von der visuellen Künstlerin Breda Beban. Dennoch reichten seine Kenntnisse und Möglichkeiten bei weitem nicht, um die Idee von INSIDE zu realisieren. Im Schaffensprozess arbeitete das Team daher mit dem italienischen Kunstkurator Leonardo Bigazzi zusammen, der bereits die italienische Kurzdokumentation PLATEAU mitproduzierte. Für Katsoupis kam es recht überraschend, dass seine Filmidee auf internationaler Bühne großen Anklang fand und sich sogleich für einen Spielfilm-Regiedebütanten diverse Möglichkeiten eröffneten, der Umsetzung die Grundlagen zu verschaffen, die nötig waren. Insbesondere das erfolgreiche Casting vom vierfach Oscar® nominierten Willem Dafoe sorgte für Freude im Team, da er nach Ansicht von Katsoupis wie geschaffen für die Hauptrolle war.
Darum geht es
Als talentierter Einbrecher hat sich Nemo auf Kunstdiebstahl spezialisiert und steckt gerade mitten in einem neuen Auftrag. Sein Ziel ist eine luxuriöse Penthouse eines reichen Kunstsammlers, der für längere Zeit nicht in der Stadt ist. Nachdem Nemo es problemlos in das Appartement geschafft hat und die ersten Reichtümer zusammengesammelt hat, ertönt plötzlich ein Alarm und die hochmoderne technische Ausstattung beginnt den Ort automatisch zu verriegeln. Trotz aller Versuche gelingt Nemo die Flucht nicht und er ist hilflos eingesperrt. Es scheint als würde er sich mit der Situation abfinden, doch ihm ist noch nicht bewusst, welche Herausforderungen auf ihn warten. Auf sich alleingestellt wird der Dieb in einen dramatischen Kampf ums Überleben gezogen und muss sich fragen, welche Wertigkeit die teuer gehandelte Kunst wirklich hat.
Rezension
Der Titel ist hier Programm, denn tatsächlich begeben wir uns mit dem Film INSIDE auf mehreren Bedeutungsebenen in das Innere. Einerseits beschreibt es die Grundlage der Handlung dahingehend, dass Willem Dafoe in einem Penthouse eingeschlossen ist, andererseits begeben wir uns aber auch auf eine Reise in das Innere des Protagonisten sowie in die Tiefe der bedeutungsvollen Kunst und den grundlegenden Fragen des Lebens. Vasilis Katsoupis schafft hiermit ein ungewöhnliches CAST AWAY Szenario welches versehen wird mit einer unangenehmen Prise Realismus und sich in einer riesigen Kunstausstellung zuträgt. Während die ersten paar Minuten noch suggerieren, dass wir uns inmitten eines rasanten Heist-Movies befinden, schafft es Katsoupis durch eine clevere Entwicklung in kürzester Zeit das Genre zu wechseln, das Tempo rauszunehmen und uns einen abwechslungsreichen und lehrreichen Thriller aufzutischen.
Im Mittelpunkt all dessen brilliert mal wieder der unfassbare Willem Dafoe in einer Sololeistung. In seiner Filmauswahl scheint sich ein gewisses Muster zu ergeben, denn bereits mit DER LEUCHTTURM, RIVER und VAN GOGH – AN DER SCHWELLE ZUR EWIGKEIT hat er mehr oder minder filmische Monodramen abgeliefert, in denen sich der Fokus voll und ganz auf seine außergewöhnliche schauspielerische Leistung fokussiert und seine perfektionistische Interaktion mit der Umwelt einfangen wird. In INSIDE ist er nun darauf angewiesen, sich einem modernen Survivaldrama zu stellen, in welchem Zeit jegliche Relation verliert. Ein auf dem Boden kauernder Dafoe, der nach einem kleinen Tropfen Wasser ringt, ist eine fantastische Referenz auf seinen Auftritt in DER LEUCHTTURM, wo er im strömenden Regen im Matsch liegt und um sein Überleben fleht. Sein facettenreiches Spiel sorgt dafür, dass der Film zu keinem Zeitpunkt langweilig wird und ihm nicht nur der Einbrecher, sondern auch der Kunstkenner abgekauft werden kann.
Kathartisches Kunst Kammerspiel
Kunst ist dabei generell ein wichtiges Element in diesem Werk. Über 40 Kunstwerke der unterschiedlichsten Art, alle stammend aus Privatsammlungen, finden sich in der Handlung wieder und erzeugen damit eine Art Wimmelbild, bei welchem sowohl Laie als auch Kenner stets auf der Suche sind. Die Werke sind feinsinnig kuratiert und sowohl auf die Räumlichkeiten als auch auf die Story abgestimmt. Nicht selten verschaffen sie dem Inhalt mehr Interpretationsspielraum und Tiefe. INSIDE beschäftigt sich unter anderem auch mit der Bedeutung von Kunst und setzt sich mit der Frage auseinander, ob diese womöglich das wichtigste Gut der Menschheit ist. Während viele Repliken genutzt wurden, gibt es tatsächlich auch einige speziell in Auftrag gegebene Stücke. Beispielsweise „The Moth Costume“ vom kosovarischen Künstler Petrit Halilaj, welches zugleich einen Verweis darauf mitbringt, dass Motten sich in der Struktur eines Hauses verstecken, um einen Weg zu finden, um zu leben – ähnlich wie auch unser Protagonist.
Leben ist hier eines der kniffligsten Themen. Während der Gedanke daran, in einem Luxusappartement eingesperrt zu sein, anfangs noch recht sympathisch klingt, entwickelt sich daraus ein Kampf um die Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse. Das Publikum verliert jegliches Gefühl für Zeit und kann diese lediglich am Prozess der geistigen Verwirrung des Protagonisten, sowie an dessen zunehmender Verkümmerung ablesen. Während ein missachtender Blick auf die Bourgeoisie einer Gesellschaft fällt, indem die Absurdität von übermäßigem und sinnlosen Reichtum allgegenwärtig in Frage gestellt wird, scheint das warnende Deuten auf die Gefahren von künstlicher Intelligenz in Zeiten von ChatGPT und Lamda, wie ein Schlag in die Magengrube.
Surreale Abschweifungen
So minutiös und bedeutungsschwanger dieser Film auch ausgearbeitet ist, so sehr setzt er auch auf die willentliche Aussetzung der Ungläubigkeit. Das Publikum wird in die Verantwortung gesetzt einigen Geschehnissen blind zu vertrauen, um die gesamte Handlung als stimmiges Ganzes wahrzunehmen. So sorgen diverse Alarme in einem hoch gesicherten Penthouse, gefüllt mit teuersten Kunstwerken, nicht dafür, dass auch nur irgendeine Menschenseele sich um dieses Ereignis schert. Da die Story sich in New York zuträgt und die US-amerikanische Gesetzgebung uns immer wieder in Erstaunen versetzt, wäre es nicht einmal so abwegig, das in der Realität eine Klage wegen fahrlässiger Freiheitsberaubung und weiterer Gesetzmäßigkeiten die Folge wären.
Fazit
Sofern einige wenige Punkte der schludrigen Drehbuchgestaltung außer Acht gelassen werden, zeigt uns Spielfilmdebütant Vasilis Katsoupis ein außergewöhnliches und mitreißendes filmisches Monodram, welches nebenher auch noch als Survival-Heist-Movie kategorisiert werden kann. Willem Dafoes Oscar® Jagd geht indes weiter und könnte vielleicht in diesem Film endlich einen versöhnlichen Abschluss finden. Die schauspielerische Vielseitigkeit dieses Ausnahmetalents muss nach DER LEUCHTTURM und VAN GOGH nicht weiter ausgeführt werden und wird auch hier wieder perfektionistisch in Szene gesetzt. Kunst ist hier nicht nur Mittel zum Zweck, sondern ein zentraler Bedeutungsschwerpunkt. Durch die ausgewogene und hochwertig inszenierte Darstellung wird letztlich sogar der Film selbst zu einem Kunstwerk, welches für mich sogleich auch als besondere kleine Filmperle gewertet wird.
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Langreview English Version Fakten & Credits
Originaltitel | Inside |
Kinostart | 9.3.2023 |
Länge: | 85 minuten |
Produktionsland | Belgium |
Genre: | Thriller | Drama |
Regie | Vasilis Katsoupis |
Executive Producer | Vasilis Katsoupis | Jim Stark | Konstantinos Kontovrakis | Charles Eric Breitkreuz | Martin Lehwald | Jean-Claude Van Rijckeghem | Stephen Kelliher |
Producer | Giorgos Karnavas | Marcos Kantis | Dries Phlypo | Jens Wolf | Neshe Demir | Bastian Griese | Peter Kreutz | David Claikens | Alex Verbaere |
Kamera | Steve Annis |
Visual Effects | Martin Jurado | Αντώνης Κοτζιάς |
Musik | Frederik van de Moortel |
Cast | Willem Dafoe, Gene Bervoets, Eliza Stuyck, Andrew Blumenthal, Vincent Eaton, Daniel White, Josia Krug, Cornelia Buch, Ava von Voigt, Youl Samare, Salim Karas |
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