Review Fakten + Credits


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Rezension

Bailey (Nykika Adams) lebt mit ihrem Vater Bug (Barry Keoghan) und ihrem Halbbruder Hunter (Jason Buda) in einem besetzten Haus im Norden von Kent, unweit von London. Sie leben in einfachen und prekären Verhältnissen. Baileys Eltern sind geschieden, ihre Mutter lebt mit ihrem gewaltbereiten neuen Freund und ihren drei jüngeren Schwestern am anderen Ende der Stadt. Alkohol, Drogen und Geldprobleme prägen den Alltag. Mit nur 12 Jahren muss Bailey bereits erwachsen werden und eigene Entscheidungen treffen. Eines Tages taucht der mysteriöse Bird (Franz Rogowski) auf. Während sich die beiden auf unterschiedliche Art durchs Leben schlagen müssen, beginnt zwischen ihnen eine ungewöhnliche Freundschaft.

Bug (Barry Keoghan) lehnt auf einem Roller vor einer Graslandschaft

BIRD © Robbie Ryan / 2024 House Bird Limited

Denkt man an Vögel, so kommen einem unweigerlich zwei Eigenschaften in den Sinn: Ihre Fähigkeit zu fliegen, die sie mit Leichtigkeit durch die Lüfte gleiten lässt, und das Gefühl von grenzenloser Freiheit, das sie in der Weite der Welt verkörpern. Während beide Aspekte auch in Andrea Arnolds BIRD Anklang finden, ist der Charakter Bird im übertragenden Sinne so viel mehr als nur ein „freier Vogel“. Bird ist ein Freund, der zuhört, ein Retter in der Not, ein dringend benötigter Gefährte – doch ist er überhaupt real? In BIRD lässt Arnold die Grenzen zwischen Realität und Imagination nahtlos verschwimmen. Beide Ebenen werden mit großer Sorgfalt und Hingabe gestaltet. Dadurch bleibt man den Charakteren stets nah und bewahrt dennoch eine unerschütterliche Verbindung zur imaginären Welt.

Zwischen Kindheit und Chaos

Wir sehen die Welt durch Baileys Augen. Die Welt – das ist das Leben eines jungen Mädchens, welches sich selbst noch finden muss. Sie wächst in einer Lebenssituation auf, die wir hier als sozialen Brennpunkt kategorisieren würden. Ihre Eltern haben sie auf die Welt gebracht, als diese selbst noch Jugendliche waren. Vater Bug ist arbeitslos und im Moment mehr mit seiner frisch Verlobten beschäftigt, als Bailey beim Großwerden zu unterstützen. Baileys Mutter lebt außerhalb in einer neuen Beziehung, die von häuslicher Gewalt geprägt ist. Zuflucht findet die Zwölfjährige in einigen Freunden, die mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben. Zudem wählt sie einen auffallend androgynen Kleidungsstil – ein möglicher Ausdruck ihres Wunsches, den starren Regeln und vorgezeichneten Lebenswegen ihrer Welt zu entfliehen?

Eine unvergleichliche filmische Handschrift

Bird (Franz Rogowski) balanciert auf dem Geländer eines Hausdaches

BIRD © Robbie Ryan, 2024 House Bird Limited

Andrea Arnold ist kein Neuling, was das Darstellen von sozial vernachlässigten Personen und Figuren angeht. So spielen zum Beispiel ihre Filme FISH TANK und AMERICAN HONEY mit ähnlichen Themen, insbesondere dem Aufwachsen in prekären Lebenslagen. Übung darin, wie hautnah und nachfühlsam sie ihre Protagonist*innen gestaltet, hat sie also reichlich. Das merkt man auch in BIRD. Hier kollaboriert sie erneut mit Kameramann Robbie Ryan, der die meisten ihrer Filme begleitet. Dieser hat wahrlich ein Händchen dafür, wie er die Charaktere in Szene setzen muss. Fast nie werden statische Kamerabewegungen benutzt, Ryan hält die Kamera selbst in der Hand und begleitet Seite an Seite die Figuren. Währenddessen fängt er auch kleinere andere Lebewesen und Naturbelassenes ein. Dadurch entsteht ein besonders vertrauliches und inniges Bild der Protagonisten und ihrer Wahrnehmung.

Auch Arnolds eigenes Aufwachsen in ähnlichen Verhältnissen trägt unweigerlich zur Authentizität der Handlung bei. Sie wuchs tatsächlich in Kent auf, hatte viele Geschwister und ihre Eltern bekamen sie ebenfalls, als diese noch sehr jung waren. Ihre Tage verbrachte sie oftmals damit, die Felder, Wälder und Straßen in der Umgebung zu erkunden. Ganz wie Bailey also. Eines Tages trifft diese beim Umherwandern wiederum auf den titelgebenden und ominösen Bird. Er ist äußerlich deutlich älter, hat aber dennoch etwas kindlich Verspieltes an sich. Sei es der Rock, den er trägt, oder das Lispeln in seiner Stimme.

Vom Fremden zum Freund

Bird (Franz Rogowski) streift über eine Wiese auf der Pferde grasen

BIRD © Robbie Ryann/ 2024 House Bird Limited

Zunächst kann man noch annehmen, dass der Außenseiter möglicherweise sogar Böses im Sinne hat. Zu unscheinbar ist seine Figur anfangs noch. Schnell wird jedoch klar: In Bird findet Bailey einen ungleichen Freund, der ihr immer zur Seite steht, wenn sie ihn braucht. Franz Rogowski verkörpert diesen Charakter in Perfektion. Nykika Adams, die mit BIRD ihr Schauspieldebüt gibt, merkt man ihre Unerfahrenheit vor der Kamera kaum an. Vielleicht ist es aber auch genau dieses unbewanderte und unbekümmertes Auftreten, das Adams zur geeigneten Darstellerin für Bailey macht.

Fazit

BIRD ist ein Coming-of-Age Film der besonderen Art, in welchem magischer Realismus mit der ernüchternden Realität des Aufwachsens in alltäglichen Lebenssituationen gepaart wird. Einige Szenen und Momente fühlen sich wie herzerwärmende Umarmungen an, während andere an die weniger schönen Umstände der Menschen erinnern, die von der Gesellschaft oft vergessen und vernachlässigt werden. Es geht um Community, ums Erwachsenwerden und zu sich selbst finden – und vor allem darum, das Beste aus dem Schlimmsten zu machen.

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Originaltitel Bird
Kinostart 8.11.2024
Länge: 119 minuten
Produktionsland France
Genre: Drama | Fantasy
Regie Andrea Arnold
Executive Producer Claude Amadeo | Mollye Asher | Jessamine Burgum | Michael D'Alto | Kara Durrett | Randal Sandler | Chris Triana | Eva Yates | Mia Bays | Len Blavatnik
Producer Lee Groombridge | Juliette Howell | Tessa Ross | Olivier Père
Kamera Robbie Ryan
Musik William Bevan
Cast Nykiya Adams, Franz Rogowski, Barry Keoghan, Jason Buda, Jasmine Jobson, Frankie Box, James Nelson-Joyce, Jason Williamson, Rhys Yates, Joanne Matthews, Calum Speed, Sarah Beth Harber, Kirsty J. Curtis, Carlos O'Connell

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