Rezension
Es ist alles eine Frage der Perspektive. Diese simple, aber elementare Erkenntnis eint Jan Kounens respektvolles Remake DER MANN, DER IMMER KLEINER WURDE mit Jack Arnolds klassischer Adaption Richard Mathesons gleichnamiger Novelle. Jene ist vorrangig eine existenzialistische Reflexion über die relative Nichtigkeit des menschlichen Seins in einem überwältigendem Universum sowie die faszinierende Komplexität der kleinsten Geschöpfe. Erst danach kommen die spektakulären Szenarien, in denen der zu immer winzigeren Maßen schrumpfende Protagonist sich wiederfindet. Im Geiste von Arnolds spät anerkannter Version strebt Kounens Neuauflage nach einer Balance zwischen beiden Aspekten der Vorlage, statt nach einem bloßen Reigen der Effekte. Letzte sind nichtsdestotrotz fast ebenso beeindruckend wie in der Originalversion.
Letzte funktionierte ausschließlich mit Kameratechnik und überlebensgroßen Modellen, die den Hauptdarsteller perspektivisch schrumpfen ließen. Kounen setzt nun auf einen Mix aus CGI und plastischen Effekten. Die mysteriöse Wolke, die den glücklich verheirateten Familienvater Paul (Jean Dujardin) unerklärlich kleiner werden lässt, ist nun nicht mehr radioaktiv (wie so ziemlich alles, was im Sci-Fi-Kino der 50er Unerklärliches auslöste). Die Medienhetze und der buchstäbliche Verlust an gesellschaftlicher Statur ersetzen die Veränderungen in der familiären Struktur. Paul zieht zeitweise in das Puppenhaus seiner kleinen Tochter Mia (Daphné Richard), die nicht mehr zu ihm auf, sondern herabblickt. Bald sieht ihn auch der Hauskater nur noch als Beute.
Das vertraute Zuhause, das Paul selbst mitbaute, nimmt zunehmend bedrohliche Dimensionen an. Gegenüber dem sozialen Aspekt, den Arnolds Interpretation in den Vordergrund stellte, konzentriert sich Kounen auf die individuelle Identitätskrise. Während Alltagsgegenstände um ihn herum zur gigantischen Topographie heranwachsen, durchlebt Paul Selbstzweifel, aber auch Momente archaischen Stärkegefühls. Die kleinen Dinge wortwörtlich in Großaufnahme zu sehen, bringt ihm neue Achtung vor vermeintlich niederen Lebensformen. Allerdings lauern auch Schrecken wie das Duell mit der Spinne, die im Kellergefängnis seines Hauses zum riesigen Raubtier wird. Detailreichtum und Plastizität der Kulisse verleihen dem kontemplativen Fantasy-Abenteuer ebenso Dynamik wie das überzeugende Schauspiel – insbesondere Dujardins Überlebenskampf auf Miniatur-Maß.

Der Mann, der immer kleiner wurde – Die unglaubliche Geschichte des Mr. C ©2025 Leonine Studios
Fazit
Der Wechsel in Farbdramaturgie sowie von geschlossenen Räumen zu sich schrittweise öffnenden Szenen unterstreichen auf visueller Ebene die beengende Wirkung der früheren Facetten der titelgebenden Identität. Die kann der Protagonist ebenso wenig mit seinem Ich-Ideal vereinen wie Regisseur Stefan Haupt mit Albrecht Schuchs Leinwand-Persona. Somit ist das Gefängnis, in dem Stiller scheinbar als einziger Häftling mit großzügigen Freigängen verweilt, mehr ein sozialpsychologischer Symbolraum der Selbstreflexion. Dass jene tatsächlich existenzielle Erkenntnis bringt, führt die stagnierende Story zu einem ideellen Fazit in eigenwilligem Kontrast zur realistischen Romanvorlage. Deren Vielschichtigkeit verliert sich in dem glatten Schauspielkino, dessen namhafter Cast die strukturellen Brüche nicht kitten kann.
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| Originaltitel | L'Homme qui rétrécit |
| Kinostart | 22.10.2025 |
| Länge: | 99 minuten |
| Produktionsland | France |
| Genre: | Abenteuer | Science Fiction |
| Regie | Jan Kounen |
| Executive Producer | Axel Décis | Alan Gasmer | Richard Christian Matheson |
| Producer | Patrick Wachsberger | Alain Goldman |
| Kamera | Christophe Nuyens |
| Cast | Jean Dujardin, Marie-Josée Croze, Daphné Richard, Serge Swysen, Salim Talbi, Miranda Raison |
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