Wir haben SOFT & QUITE im Rahmen des 10. HARD:LINE Film Festivals gesichtet.
Dass sich einfühlsame Geschichten über das Erwachsenwerden und das Horror-Genre trotz der auf den ersten Blick durchaus vorhandenen Diskrepanzen alles andere als ausschließen müssen, haben experimentierfreudige Genre-Hybride wie das französische Kannibalendrama RAW oder der finnische Coming-of-Age-Horror HATCHING unlängst bewiesen. Meist bieten sich die, in viszeralem Horror entladenden, übernatürlichen oder fantastischen Elemente sogar förmlich an, um den oft erschreckenden Hürden des Erwachsenwerdens ein Gesicht zu verleihen. Ob unbändige Fleischeslust als Symbol des sexuellen Erwachens oder schmerzhafte Metamorphosen als Visualisierung der körperlichen Veränderungen – die Welt des Horrors bietet eine Vielzahl an passenden Metaphern. Auch wenn der Horror in Del Kathryn Bartons surrealem Verdrängungsprozess BLAZE eine weitaus kleinere Rolle einnimmt, als die Veröffentlichung im Rahmen des HARD:LINE Film Festivals vermuten lässt, kommt er trotz geringer Dosierung effektiv als bildliche Manifestierung des Traumas seiner Protagonistin zum Einsatz.
Darum geht es
Als die 13-jahrige Blaze (Julia Savage) gedankenverloren in eine schmale, lange Seitengasse abbiegt, nimmt sie einige Meter vor sich eine Frau (Yael Stone) und einen Mann (Josh Lawson) war. Noch bevor die Situation eskaliert, wird ihr klar, dass sie gleich Zeugin eines Gewaltverbrechens wird und kann sich noch rechtzeitig hinter einem dichten Gebüsch verstecken, durch dessen Blätter sie mitansehen muss wie die hilflose Frau von ihrem Angreifer vergewaltigt wird. Ohnmächtig dessen, was sie mit ansehen musste, versucht Blaze wieder ihrem Leben nachzugehen, doch die schrecklichen Bilder begleiten sie auf Schritt und Tritt. Trotz ihres sensiblen Vaters Luke (Simon Baker) und die Aussicht auf eine schnelle Verurteilung des Täters durch ihre Aussage bei der Polizei, zieht sich das überforderte Mädchen mehr und mehr zurück in eine Welt, in der ein Drache ihr einziger Verbündeter ist und ihr Trost und Schutz gibt. Doch ihre Wunden wollen einfach nicht heilen…
Rezension
Dass ihre Wurzeln tief in der Welt der schönen Künste verankert sind, ist der inszenatorischen Handschrift der australische Malerin Del Kathryn Barton stets anzusehen. Für ihr Langfilmdebüt BLAZE lässt die Künstlerin mit ihrer jungen, überforderten Protagonistin Blaze auch ihr Publikum in eine fantasiereiche Welt eintauchen, die mit ihrer verspielten Bildgestaltung und der mitreißenden Soundkulisse ein Genuss für alle Sinne bietet. Die praktischen Effekte in Form von aufwendigen Puppen und Stop-Motion-Aufnahmen bieten ein ganz neues Level an visueller Kreativität und verschmelzen sich dabei organisch mit mal wunderschönen, dann wieder albtraumhaften CGI-Sequenzen. Wer sich bereits vom einprägsamen Poster-Artwork verzaubern lassen hat – welches übrigens eins zu eins einer der niederschmetterndsten Szenen des Films entliehen ist und sich zweifelsohne zur Wahl des besten Filmposters der vergangenen Jahre qualifiziert – darf sich während den berauschenden 100 Minuten auf weitere, sich in die Netzhaut brennende Einstellungen freuen.
Mit der Flucht in einen selbstgeschaffenen, flauschig-pinken Glitzertraum steckt Del Kathryn Barton klar die Grenzen der kindlichen Auffassungsgabe ihrer traumatisierten Titelfigur ab und visualisiert ihren zweckgebundenen Eskapismus im farbenfrohen, surrealen Gewand. Dabei ist das Motiv eines alleine durch die Kraft der Fantasie erschaffenen Rückzugsorts grundsätzlich alles andere als neu und fand bereits in Filmen wie SIEBEN MINUTEN NACH MITTERNACHT oder I KILL GIANTS seinen Einsatz, lässt in BLAZE aber deutlich mehr Raum für Interpretationen und bieder sich dabei kein Stück den Sehgewohnheiten des Mainstreams an. Dadurch erweist sich das Drama auch abseits der abgebildeten sexuellen Gewalt als schwere und vor allem sperrige Kost, auf die man sich erst einmal voll und ganz einlassen muss, damit sie ihre volle Wirkung erzielen kann.
Farbenfroher Eskapismus einer 13-Jährigen
Obgleich es sich bei BLAZE um einen erzählerisch nicht immer leicht zugänglichen Film handelt, gelingt es den Darsteller*innen, das Publikum auf der emotionalen Ebene uneingeschränkt zu involvieren. Die junge Australierin Julia Savage stellt sich dabei als begnadet-talentierte Neuentdeckung heraus, die das unaufgeräumte Innenleben, der von ihr verkörperten Blaze, in einem unbändigen Sturm aus Wut, Angst und Verletzlichkeit nach außen trägt. Trost findet sie lediglich in ihren fantastischen Träumereien, während sie sich von ihrem familiären wie auch institutionellen Umfeld missverstanden oder gar nicht erst gehört fühlt. Eine großartige Performance in einem visuell berauschenden Film!
Fazit
Mit ihrem Erstlingsfilm BLAZE entfesselt die australische Künstlerin Del Kathryn Barton einen poetisch-surrealen Rausch im Rahmen einer kraftvollen Coming-of–Age-Geschichte, der die Zuschauer*innen mit in die komplexe Gedankenwelt einer traumatisierten 13-Jährigen entführt. Dass die Malerin bei der Gestaltung ihrer psychedelischen Welt auf eine lange Karriere als kreative Kunstschaffende zurückgreifen kann, muss man in Anbetracht der, vor Fantasie nur so strotzenden Kinematografie gar nicht erst hervorheben.
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Originaltitel | Blaze |
Kinostart | 25.8.2022 |
Länge: | 101 minuten |
Produktionsland | Australia |
Genre: | Drama | Fantasy | Krimi |
Regie | Del Kathryn Barton |
Executive Producer | Boris Tosic | Daniel Besen | Simon Baker | Chris Plater | Deanne Weir | Kristina Ceyton |
Producer | Alexis Perrin | Samantha Jennings |
Visual Effects | Chris Spry |
Cast | Julia Savage, Simon Baker, Yael Stone, Josh Lawson, Remy Hii, John Waters, Heather Mitchell, Morgan Davies, Rebecca Massey, Kristy Wordsworth, Bernie Van Tiel, Will McDonald, Ryan Hedges, Eric So, Stephen James King, Neal Horton, Sebastian Alanis Alvarez, Theo Masters, Sofia Hampson, Faine Mesquita |
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