Rezension
Im Mai 1988 verabschiedete das britische Parlament eine Gesetzeserweiterung des Local Government Act, die nicht nur die Unterstützung und Begünstigung von Homosexualität durch Kommunalbehörden, sondern auch die positive Thematisierung dessen im Schulkontext verbot. Zur selben Zeit setzt Georgia Oakleys Spielfilmdebüt um eine junge Sportlehrerin ein, die ihre Sexualität nur im Verborgenen ausleben kann und daraufhin vor schwierige Entscheidungen gestellt wird. Die Verabschiedung der homophoben und erst 2003 wieder abgeschafften Gesetzeserweiterung, die diskriminierende Berichterstattungen im Radio und im Fernsehen sowie misstrauische Blicke von Nachbarn und Familie zementieren in BLUE JEAN wiederholt die restriktive Lebensrealität der Protagonistin.
Von ihrem Weg zur Arbeit über den Lehralltag bis zu nächtlichen Clubbesuchen folgt der Film seiner eigensinnigen Hauptfigur durch ein unruhiges Leben. In nahbaren Bildern offenbaren sich komplexe Spannungsverhältnisse, die das angenehm kantige, keineswegs fehlerfreie und von Rosy McEwen authentisch zum Leben erweckte Figurenporträt wirkungsvoll verdichten. Mit dem Schüren von kruden konservativen Ängsten und dem damit einhergehenden Bangen Jeans um ihre berufliche Reputation auf der einen und der heimlichen Beziehung zu einer Frau sowie der Begegnung mit einer neuen Schülerin auf der anderen Seite verknüpfen sich gesellschaftliche und private Facetten zu einem in erster Linie schauspielerisch überzeugenden Zeit- und Personenabriss.
Porträt einer jungen Frau
Ohne sentimentale Überhöhungen entwickeln sich lebendige Figurendynamiken, in denen allen voran Jean und die von Kerrie Hayes ebenfalls einprägsam dargestellte Nebenfigur Viv unverstellt und glaubhaft miteinander agieren. Jeans Eigensinn wirkt dabei nie konstruiert, Geduldsverluste nie aufgesetzt und fragwürdige Entscheidungen nie vereinfacht dargestellt. Die Grauzonen ihres Charakters und die Folgen einzelner Entschlüsse sorgen für reizvolle Figureneinsichten. Auch die Einblicke ins Schulleben, in welchem sich diskriminierende Debatten rekonstruieren, bewahren sich vor simplen Konfliktzeichnungen, sind jedoch wie die am Rande porträtierten Schülerinnen und deren Hintergründe schematischer entworfen als die Dilemmata der Hauptfigur.
Diese werden in eine stimmungsvolle, mitunter einengende Atmosphäre und geerdete Bilder gebettet, die die gelegentlich gemächlich erzählte Handlung mittels variierenden Farbeinsatzes und aussagekräftiger Bildaufteilung um Tiefe ergänzen. Einen nostalgisch verklärten 80er-Jahre-Flair nehmen hingegen weder die Aufnahmen von Victor Seguin noch die Geschichte selbst an, die oft stringent und unverschnörkelt geschildert und durch die Parallelen zu bedenklichen Entwicklungen unserer Gegenwart in ihrer Aussagekraft bestärkt wird. Die denunzierenden Märchen vom schlechten Einfluss queerer Menschen auf Kinder und die Abwertung queerer Lebensmodelle zugunsten der heteronormativen Kernfamilie bestehen nach wie vor. BLUE JEAN setzt als historisches Filmdrama ein weiteres wirksames Zeichen dagegen.
Fazit
Mit geerdeter Erzählweise skizziert Georgia Oakley ein stimmungsvolles Charakterporträt und mahnende Zeiteinblicke. BLUE JEAN sticht dabei zwar selten inszenatorisch heraus, dafür mit seinen lebhaften und packenden Darstellerinnen.
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Originaltitel | Blue Jean |
Kinostart | 10.2.2023 |
Länge: | 97 minuten |
Produktionsland | United Kingdom |
Genre: | Drama |
Regie | Georgia Oakley |
Executive Producer | Jim Reeve | Eva Yates | Louise Ortega |
Producer | Hélène Sifre | Marie-Elena Dyche |
Kamera | Victor Seguin |
Visual Effects | Jonathan Alenskas |
Musik | Chris Roe |
Cast | Rosy McEwen, Kerrie Hayes, Lucy Halliday, Lydia Page, Becky Lindsay, Maya Torres, Ellen Gowland, Amy Booth-Steel, Stacy Abalogun, Izzy Neish, Kate Soulsby, Lainey Shaw, Farrah Cave, Deka Walmsley, Gavin Kitchen, Emily Fairweather, Aoife Kennan, Scott Turnbull, Dexter Heads, Kylie Ann Ford |
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