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Es zieht sie umher, die Figuren Levan Akins neusten Spielfilms. Von ihrer Heimat in Georgien ins türkische Istanbul, von einer kleinen Familie und Nachbarschaft ins Herz einer Großstadt, von dunklen Hotelzimmern hinaus auf die nächtlichen Straßen. Genauer noch zieht es die pensionierte Geschichtslehrerin Lia (Mzia Arabuli) auf die Suche nach Thekla, der erwachsenen Tochter ihrer Schwester. Im Schlepptau: einen jungen Nachbarn namens Achi (Lukas Kankava), der dem Leben mit der Familie seines älteren Bruder entfliehen will. Es zieht sie auf eine ungewisse Reise, leisen Fährten der verschollenen Nichte folgend und zugleich immer einen Schritt weiter ins eigene Innere.
Dorthin, wo es unter den unaufgeregten Bildern der europäischen Koproduktion tobt, wo sich Sehnsucht und Reue vermischen und die Vergangenheit die Figuren fest umklammert. Ein loser Roadtrip driftet in ein lebendiges Figuren- und Stimmungsbild, ähnlich der Umherziehenden, die sich in den Sequenzen des Nachtlebens regelrecht treiben lassen. Akin folgt den Stationen ihrer Reise in eindringlichen, nach Freiheit sehnenden Aufnahmen und schafft eine Handvoll loser, aber authentischer Szenerien, die den Figuren abseits der Spurensuche Raum zur Entfaltung geben. Beinah nahtlos mischt sich die Handlung rundum Thekla nach ihrer Transition zur Frau unter die Gegenwart der ungleichen Hauptpersonen und skizziert ausschnitthafte Kontraste, aber auch Parallelen zur Suche ihrer Tante.
Fährtenlese in Istanbul
Mehrdeutig entfaltet sich das Motiv der Suche, welches jene nach Thekla, wie es der deutsche Untertitel zentriert, um jene nach der eigenen Identität, nach Heimat, Sicher- und Geborgenheit ergänzt. Aus zwischenmenschlichen Storybits, klassischer türkischer Musik, den Lebensausschnitten und queeren Milieuskizzen setzt sich ein bewegungsvolles Mosaik aus Lebensgefühlen zusammen, welches sich seinen Außenseiterperspektiven niemals überhastet annähert. Tief durchdrungen sind hingegen nicht alle von ihnen. Unentschlossen wendet sich der Fokus zwischen den Suchenden und bietet Nebenhandlungen und Randkonflikten den Raum, der Einblicke in Theklas durch Diskriminierungen und Emanzipationskämpfe geprägten Alltag hätte vertiefen können.
In seinem vielfach ausgezeichneten Film ALS WIR TANZTEN begleitete Akin einen jungen Studenten an der Akademie des georgischen Nationalballet in Tiflis, fünf Jahre später werden die Figuren von CROSSING abseits großer Bühnen zu Tanzenden. Wiederholt sind es Szenen ohne Worte, die den Figuren ihren wirkungsvollsten Ausdruck ermöglichen. Momente, in denen das Übertreten von Ländergrenzen, Sprachbarrieren, Kulturräumen und inneren Hemmschwellen spielerisch einfach zu sein scheint. Doch es bleibt bei jenen kurzen Momenten, die den authentischen Schilderungen der ungewissen Reise keine einfachen Lösungen oder dauerhafte Wunschvorstellungen vorsetzen. Am Ende ist nicht jede Suche und jeder Kreuzweg von Erfolg gekrönt, aber stimmungsvolles, menschliches Kino geschaffen.
Fazit
Fünf Jahre nach seinem letzten eingängigen Spielfilm begibt sich Levan Akin auf eindringliche Spurenlese. Auf eine Suche nach Menschen, Antworten und einem Platz in der Zukunft, deren filmische Fährte sich entschleunigt und nahbar dahinzieht. Vor sich hin treibendes, zuweilen unentschlossenes, aber stets lebendig pulsierendes Kino.
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Originaltitel | გადასვლა |
Kinostart | 22.3.2024 |
Länge: | 106 minuten |
Produktionsland | Denmark |
Genre: | Drama |
Regie | Levan Akın |
Executive Producer | Ludvig Andersson | Mattias Sandström | Levan Akın |
Producer | Mathilde Dedye | Katja Adomeit | Nadia Turincev | Omar El Kadi | Anna Khazaradze | Nino Chichua | Ersan Çongar | Anna Croneman | Charlotta Denward |
Kamera | Lisabi Fridell |
Visual Effects | Erik Hals |
Cast | Mzia Arabuli, Lucas Kankava, Deniz Dumanlı, Tako Kurdovanidze, Ziya Sudançıkmaz, Bünyamin Değer, Sema Sultan Elekci, Levan Gabrichidze, Mehtap Özdemir, Bergüzar Mercan, Mehmet Isyar |
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