Zumeist kennen wir das indische Kino entweder als Bollywood-Produktion wie die Werke des Superstars Shah Rukh Khan oder als völlig überdrehte Megaproduktion wie zuletzt RISE ROAR REVOLT, der international für großes Aufsehen sorgte. Doch die Filmwelt dieses asiatischen Landes hat noch deutlich mehr zu bieten. Das Problem in der Produktion von Filmen liegt jedoch oftmals darin, dass die Werke sich komplett selbst finanzieren müssen. Es gibt keine indischen Filmfonds oder staatliche Unterstützungen, weshalb vor allem Großproduktionen inszeniert werden, die das Publikum in Scharen in die Kinos locken, damit die großen Kosten wieder komplett eingespielt werden können und zudem Rücklagen für kommende Werke gebildet werden können. Bei DAS LICHT, AUS DEM DIE TRÄUME SIND, gab es mutmaßlich nur ein sehr geringes Budget, welches wohl um die zwei Millionen US-Dollar betragen haben soll. Für die Produktion konnte das Team eine Zusammenarbeit mit Stranger 88 und Orange Studio organisieren, die als Finanzierungspartner eintraten.
[…] die zentrale Idee von Filmen ist, Geschichten zu erzählen. Wir vergessen oft, dass auch die Stille spricht. Und zwar in einer viel universelleren Sprache als Dialoge.Pan Nalin im PH zum Film
Doch damit fingen die Probleme erst an, denn eine gesicherte Finanzierung heißt noch nicht, dass auch ein Film wirklich entstehen kann. Allein für den Protagonisten wurden rund 3.000 Kinder zum Vorsprechen eingeladen, denn Regisseur Pan Nalin, der bereits seit vielen Jahren erfolgreiche Filme entwickelt, war es absolut wichtig, einen Jungen zu finden, der einen ähnlichen biographischen Hintergrund besitzt wie er selbst. Gefunden hat er Bhavin Rabari, der mit neun Jahren tatsächlich eine erschreckend ähnliche Biografie vorzuweisen hat und mit diesem Film nun erstmalig als Schauspieler zu sehen ist. Nalin bezeichnet sich darüber hinaus selbst als einen der größten Kinofans überhaupt und wollte mit diesem Werk seine Liebe zu dem Medium in Bildern festhalten und dass, wie er sagt, noch bevor es entwicklungsbedingt für die Institution Kino zu spät ist.
Darum geht es
Fernab der Großstadt lebt der neunjährige Samay mit seiner Familie in einem kleinen Dorf. Während seine Mutter für die Kindeserziehung und den Haushalt zuständig ist, geht sein Vater jeden Tag als Teeverkäufer an einem durchkreuzenden Bahngleis arbeiten. Nach Schulschluss muss Samay ihm beim Servieren helfen und Zuggäste zum Kauf überreden. Leider wirft die Arbeit nur wenig Geld ab, und tragischerweise soll der Zugverkehr künftig auf dieser Strecke eingestellt werden. Doch Samays Interessen sind sowieso völlig anders gelagert. Nachdem er kürzlich mit seinem Vater erstmalig ins städtische Kino gegangen ist, hat er die Faszination des bewegten Bildes für sich entdeckt und möchte am liebsten alles darüber erfahren. In jeder freien Minute stiehlt sich der Junge davon und freundet sich mit dem Filmvorführer Fazal an, der sofort das Leuchten in den Augen von Samay erkennt und ihm nicht nur die Möglichkeit bietet, die neusten Filme genießen zu können.
Rezension
DAS LICHT, AUS DEM DIE TRÄUME SIND ist eine Hommage. Der Film zeigt in nahezu jeder Szene die Liebe zum Kino. Wichtig ist an dieser Stelle zu erwähnen, dass das Medium Film hier nur eine sekundäre Rolle spielt und endlich ein Regisseur es auch versteht, den Ort zu würdigen, der für die Popularität des Films überhaupt erst verantwortlich ist und noch heute die Menschenmassen in seinen Bann zieht. Häufig wird nämlich die Liebe zum Kino mit der Liebe zum Film verwechselt. Statt uns aber zu zeigen, wie ein Film in allen Einzelheiten entsteht, besinnt sich Pan Nalin auf die rudimentäre Funktionsweise der bewegten Bilder und zeigt uns die Magie, die Kino erschaffen kann in den verschiedensten Facetten. Die Hauptfigur wird uns als Fish out of Water vorgestellt, und gemeinsam mit ihr lernen wir die Faszinationen kennen, die hinter der Arbeit mit Licht und Bildern steckt und sehen die Echte, zauberhafte Welt, die hinter jeder Filmproduktion steckt.
Die Zukunft gehört den GeschichtenerzählernDas Licht aus dem die Träume sind
In einer solchen Hommage dürfen natürlich auch Referenzen auf die großen Namen und Produktionen der Filmgeschichte nicht fehlen. So sehen wir schon früh eine Anspielung auf DIE ANKUNFT EINES ZUGES AUF DEM BAHNHOFLA CIOTAT von den Gebrüdern Auguste und Louis Lumière, welcher einer der ersten Filme in der Kinogeschichte war. Aber auch Giganten wie 2001: ODYSSEE IM WELTRAUM und LAWRENCE VON ARABIEN finden neben vielen weiteren großen und kleinen Werken Platz im Storytelling des filmliebhabenden Nalin. Darauf aufbauend lässt uns der Regisseur zusammen mit dem Protagonisten jedes Detail der historischen Entwicklung von Film erleben und verfolgt die Denk- und Erlebnisprozesse, die Ende des 19. Jahrhunderts bei den berühmten Entwicklern des Films stattgefunden haben müssen. Sei es die Erkenntnis, wie Licht funktioniert, die Bedeutung des Schnitts, die verblüffende Magie der Bildgestaltung oder aber die eigentlich komplexen Mechanismen, die für eine Filmaufführung notwendig sind – Nalin lässt nichts aus.
Kino ist die Essenz, die Filme zum Leuchten bringt
Doch all diese Liebe zum Film würde nicht einmal eine halb so fantastische Wirkung entfalten, wenn dieser Prozess dokumentarisch aufgezogen würde. Stattdessen bedient sich das Filmteam den Emotionen, die ein Drama oder gar eine Romanze mit sich bringen, und verpackt diese in einer simplen, aber berührenden Handlung. Dass dabei auf mehrere Laiendarsteller gesetzt wurde, ist eine hervorragende Wahl gewesen, denn dadurch ist es dem Publikum schnell möglich, mit dem entdeckungsfreudigen und neugierigen kleinen Jungen zu connecten und seine Leidenschaft nachzuempfinden. Zudem funktioniert das Zusammenspiel zwischen Hauptdarsteller Bhavin Rabari und Bhavesh Shrimali als Filmvorführer grandios, und sie geben ein wirklich zauberhaftes Team ab. DAS LICHT, AUS DEM DIE TRÄUME SIND weiß durch Schlichtheit zu begeistern, und Nalin gelingt es exzellent, die Liebe zum Kino mit einer charmanten, amüsanten, aber auch ernsten Geschichte zu verknüpfen.
Denn aus Licht werden Geschichten und aus Geschichten werden Filme.Das Licht aus dem die Träume sind
Nicht selten driftet das Werk in eine romantisierende Erzählung ab, die uns eine scheinbar perfekte Welt präsentiert. Doch stets rechtzeitig tritt Nalin das Bremspedal und stellt den schönen Szenen die Tragik der menschlichen und technischen Entwicklung entgegen. Statt das Kino von Anfang bis Ende glanzvoll zu feiern, bezieht sich DAS LICHT, AUS DEM DIE TRÄUME SIND auf die kürzlich vergangene Zeit, in welcher das laute Rattern der 35mm-Projektoren ein jähes Ende gefunden hat und durch lieblose und tote digitale Projektionstechniken ersetzt wurde. Die Bedeutung dieser technischen Veränderung ist jedoch nur den wenigsten bekannt, denn kaum jemand weiß, wie schön es ist, die mechanischen Prozesse einer Filmprojektion zu begleiten und zu genießen. So lässt uns der Film wehmütig auf das Ende einer Ära zurückblicken und zeigt zudem einen Weg, welchen ausrangierte Projektoren und veraltetes Filmmaterial nimmt. Wir sehen somit einmal die komplette Verwertungskette der Kinolandschaft.
Fazit
DAS LICHT, AUS DEM DIE TRÄUME SIND ist mit Abstand einer der schönsten, liebevollsten und herzergreifendsten Filme des Jahres, welcher ganz dezent auch noch eine die Botschaft vermittelt, dass Eltern ihren Kindern Raum geben müssen, sich zu entfalten und so abstrus die Interessen auch sein mögen, sie in ihrer Leidenschaft unterstützen und nicht blockieren sollten. Es stimmt einfach alles, und die Erwartungen und Hoffnungen, die ich mit meiner 10-jährigen Kinoerfahrung mitgebracht habe, wurde vollends erfüllt. Dennoch muss ich darauf hinweisen, dass diese Kinoliebe wohl nur von wenigen Menschen nachempfunden werden kann, weshalb die romantisierende Art der Erzählung, die großen und einmaligen Bilder und der gesamte Charme des Films wohl auf die meisten „Cineasten“ nett wirkt, aber eben nicht die Emotionen wecken kann, die das rattern eines massiven Projektors oder das flatternde 35mm-Filmband bei Kennern der klassischen Technik weckt. Dennoch finde ich, sollte jeder dieses Werk gesehen haben.
Wie hat Dir der Film gefallen?
Viele Menschen glauben nur, weil sie ein Kino von innen mehrfach gesehen haben und regelmäßig dort Filme schauen, kennen sie die Bedeutung dieses Ortes. Leider ist dies häufig nicht so, was einige Vorabgespräche zu DAS LICHT, AUS DEM DIE TRÄUME SIND deutlich gezeigt haben. Die Meisten kennen das Kino genauso gut wie ihren heimischen Fernseher – sie wissen, wie er einzuschalten geht und kennen womöglich ein paar Einstellungen, doch die tatsächliche Magie, die zur Ausstrahlung eines bewegten Bildes bestenfalls mit Ton notwendig ist, bleibt ihnen verborgen. Regisseur Pan Nalin ist jedoch selbst jemand, der die Liebe zum Kino lebt und die Brillanz des Ortes in all seinen Facetten verstanden hat. In seinem neusten Film widmet er sich eben jenem besonderen Ort und erzählt endlich mal keine Hommage auf Filme, sondern auf das Kino als Ort der Zusammenkunft.
Vom ersten Lichtstrahl an durchlaufen wir die gesamte Verwertungskette einer Filmvorführung, ohne dabei in eine Nerdshow gezogen zu werden, die nur für Kenner etwas ist. Statt einer dokumentarischen Aufarbeitung verpackt der Regisseur seine Verbundenheit in einer netten, kleinen Geschichte, die teilweise sogar autobiografisch ist und kreiert somit einen unterhaltsamen Film, der ganz nebenbei auch noch eine sanfte, aber bedeutungsvolle Message mit sich bringt. Jeder, der sich Cineast schimpft, sollte diesen Film auf die Watchlist setzen. Ganz nebenbei ist es darüber hinaus möglich, auf Ostereiersuche nach den vielen Referenzen großartiger Filme und von Filmschaffenden zu gehen.
Wie hat Dir der Film gefallen?
For the most part, we know Indian cinema either as a Bollywood production like the works of superstar Shah Rukh Khan or as a completely over-the-top mega-production like the recent RISE ROAR REVOLT, which caused quite a stir internationally. But the film world of this Asian country has much more to offer. The problem in the production of films, however, is often that the works have to finance themselves completely. There are no Indian film funds or state support, which is why mainly large-scale productions are staged that attract audiences to the cinemas in droves so that the large costs can be fully recouped and reserves can also be built up for future works. For LAST FILM SHOW, there was presumably only a very low budget, which is said to have been around two million US dollars. For the production, the team was able to organise a cooperation with Stranger 88 and Orange Studio, who stepped in as financing partners.
[…] the central idea of films is to tell stories. We often forget that silence speaks too. And in a much more universal language than dialogue.Pan Nalin in the PB for the film
But that was only the beginning of the problems, because secured financing does not mean that a film can actually be made. For the protagonist alone, around 3,000 children were invited to audition, because director Pan Nalin, who has been developing successful films for many years, it was absolutely important to find a boy who had a similar biographical background to his own. He found Bhavin Rabari, who at the age of nine actually has a frighteningly similar biography and can now be seen as an actor for the first time with this film. Nalin also describes himself as one of the biggest cinema fans ever and wanted to capture his love for the medium in pictures with this work and that, as he says, before it is developmentally too late for the institution of cinema.
That is what it is all about
Far away from the big city, nine-year-old Samay lives with his family in a small village. While his mother is responsible for raising the children and the household, his father goes to work every day as a tea seller on a crossing railway track. After school, Samay has to help him serve and persuade train passengers to buy. Unfortunately, the work yields little money, and tragically, train service is to be discontinued on this line in the future. But Samay’s interests are completely different anyway. After recently going to the city cinema for the first time with his father, he has discovered the fascination of the moving image for himself and would love to learn everything about it. Stealing away every spare minute, the boy befriends the projectionist Fazal, who immediately recognises the gleam in Samay’s eyes and offers him not only the opportunity to enjoy the latest films.
Review
LAST FILM SHOW is a tribute. The film shows a love for cinema in almost every scene. It is important to mention at this point that the medium of film only plays a secondary role here and that finally a director also knows how to pay tribute to the place that is responsible for the film’s popularity in the first place and still captivates the crowds today. Indeed, the love of cinema is often confused with the love of film. But instead of showing us how a film is made in all its details, Pan Nalin reflects on the rudimentary functioning of moving images and shows us the magic that cinema can create in the most diverse facets. The main character is introduced to us as Fish out of Water, and together with her we get to know the fascinations behind the work with light and images and see the real, magical world that lies behind every film production.
The future belongs to storytellersLast Film Show
In such an homage, references to the great names and productions of film history must of course not be missing. Thus we see an early allusion to THE ARRIVAL OF A TRAIN AT THE RAILWAY STATION LA CIOTAT by the brothers Auguste and Louis Lumière, which was one of the first films in cinema history. But giants like 2001: A SPACE ODYSSEY and LAWRENCE OF ARABIA also find a place in the storytelling of the film-loving Nalin, along with many other great and small works. Building on this, the director lets us experience every detail of the historical development of film together with the protagonist and follows the thought and experience processes that must have taken place at the end of the 19th century among the famous developers of film. Be it the realisation of how light works, the importance of editing, the amazing magic of image design or the actually complex mechanisms necessary for a film performance – Nalin leaves nothing out.
Cinema is the essence that makes films shine
But all this love for film would not have even half as fantastic an effect if this process were to be brought up in documentary form. Instead, the film team uses the emotions that come with a drama or even a romance and packs them into a simple but touching plot. The use of several amateur actors was an excellent choice, because it allows the audience to quickly connect with the curious little boy and to feel his passion. Moreover, the interplay between lead actor Bhavin Rabari and Bhavesh Shrimali as the projectionist works magnificently, and they make a truly enchanting team. LAST FILM SHOW knows how to inspire through simplicity, and Nalin succeeds excellently in combining a love of cinema with a charming, amusing, but also serious story.
Because light becomes stories and stories become films.Last Film Show
Not infrequently, the work drifts into a romanticising narrative that presents us with a seemingly perfect world. But Nalin always hits the brake pedal in time and contrasts the beautiful scenes with the tragedy of human and technical development. Instead of gloriously celebrating cinema from beginning to end, LAST FILM SHOW refers to the recently passed era in which the loud rattling of 35mm projectors has come to an abrupt end and been replaced by loveless and dead digital projection techniques. The significance of this technical change, however, is known only to very few, for hardly anyone knows how beautiful it is to accompany and enjoy the mechanical processes of a film projection. So the film lets us look back wistfully at the end of an era and also shows a path that discarded projectors and obsolete film material take. We thus see the complete exploitation chain of the cinema landscape for once.
Conclusion
LAST FILM SHOW is by far one of the most beautiful, loving and heartrending films of the year, which also discreetly conveys the message that parents must give their children space to develop and that, however abstruse their interests may be, they should support them in their passion and not block them. Everything is just right, and the expectations and hopes I brought with my 10 years of cinema experience were completely fulfilled. Nevertheless, I must point out that this love of cinema can probably only be recreated by a few people, which is why the romanticising nature of the narrative, the large and unique images and the overall charm of the film probably seem nice to most “cineastes”, but just can’t arouse the emotions that the rattling of a massive projector or the fluttering 35mm film tape arouse in connoisseurs of classic technology. Nevertheless, I think everyone should have seen this work.
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Originaltitel | Last Film Show |
Kinostart | 12.05.2022 |
Länge | ca. 110 Minuten |
Produktionsland | Indien | Frankreich | USA |
Genre | Drama |
Verleih | Neue Visionen |
FSK |
Regie | Pan Nalin |
Drehbuch | Pan Nalin |
Produzierende | Pan Nalin | Hemant Chaudhary | Marc Duale | Eric Dupont | Yash Gonsai | Ronak Goswami | Kashyap Kapta | Siddharth Roy Kapur | Virginie Lacombe | Dheer Momaya | Shubham Pandya | Jackie Ramchandani |
Musik | Cyril Morin |
Kamera | Swapnil S. Sonawane |
Schnitt | Shreyas Beltangdy | Pavan Bhat |
Besetzung | Rolle |
Bhavin Rabari | Samsay |
Richa Meena | Ba |
Bhavesh Shrimali | Fazal |
Dipen Raval | Bapuji |
Rahul Koli | Manu |
Vikas Bata | Nano |
Shoban Makwa | Badshah |
Kishan Parmar | S. T. |
Vijay Mer | Tiku |
Tia Sebastian | Leela Mila |
Paresh Mehta | Cinema Manager |
Alpesh Tank | Mr. Dave |
Rafiq Vajugada | Siddi Dada |
Nayan Rana | Signalman Parmar |
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