Nach stroboskopartigen Thriller-Ausflügen in CHUNGKING EXPRESS und einen Abstecher zum Martial-Arts und Wuxia-Film in ASHES OF TIME widmete sich Wong Kar-wai Anfang des neuen Jahrtausends einer einnehmenden Romanze, die trotz eindeutiger Genreanleihen recht ungewöhnlich besticht. Ein Jahr später erhielt der Film des Hongkonger Regisseurs sowohl den Deutschen Filmpreis als auch den Cesar für den Besten Internationalen Film, weitere fünfzehn Jahre später landete IN THE MOOD FOR LOVE auf Platz 2 der 100 besten Filme des 21. Jahrhunderts. Er etablierte sich als ein weiteres Meisterwerk jenes Autorenfilmers, der mit seiner Art des Filmemachens, seiner Ästhetik und dem Rhythmus seiner Erzählungen viele andere Filmschaffende zu begeistern und zu beeinflussen vermochte.
Seinen 2000 erschienenen Film drehte er, wie so oft, ohne detailliertes Drehbuch. Inspirationen für den Titel fand Wong Kar-Wai in einem Coversong von Bryan Ferry. Noch viel prominenter im Film ist das musikalische Thema von Shigeru Umebayashi, welches sich wiederkehrend durch die Geschichte zieht und einen wesentlichen Teil zur Befindlichkeit der Charaktere und zur Erscheinung des Films beiträgt. IN THE MOOD FOR LOVE ist ein besonderer Film, weil er in seiner Art und Weise, die Dinge einzufangen, im Raum schweben oder auch unausgesprochen zu lassen, vielen Genrebeiträgen ein Musterbeispiel voraussetzt.
Darum geht es…
Das legendäre Hongkong der 1960er Jahre. Hier treffen sich der junge Zeitungsjournalist Herr Chow und die schöne Sekretärin Frau Chan das erste Mal bei der Suche nach einer Wohnung. Sie werden Nachbarn und begegnen sich fortan immer wieder auf ihren einsamen Gängen durch die Stadt. Ihre Ehepartner seien beruflich viel unterwegs, sagen sie. Doch eines Abends sprechen sie aus, was beiden schon längst klar war: Ihre Partner haben eine Affäre miteinander. Die folgenden Treffen sind zaghafte Versuche, den Verrat zu begreifen. Doch aus dem Begreifen wird ein Gefühl. Herr Chow und Frau Chan verlieben sich unaufhaltsam ineinander.
Rezension
Der Ort, an dem sich die zwei Schicksale immer und immer wieder begegnen, ist wahrlich kein Romantischer. Es ist ein einengender und zum Großteil künstlich beleuchteter Sozialbau mit kleinen Zimmern und etlichen kontaktfreudigen Nachbarn. Ein Ort, an dem sich die Hauptfiguren zunächst mehrmals passieren, bevor sie einen ersten Schritt aufeinander zu gehen. Beide sind sie verheiratet und beide fürchten, von ihren Ehepartner*innen betrogen zu werden. Eine Grundlage auf die sich ihr Verhältnis ganz dezent aufzubauen beginnt, die Devise “show don’t tell” dabei ganz tief verinnerlicht. Zu einem großen Liebesgeständnis kommt es nicht, dafür zu allerhand Mimiken und ästhetischen Finessen, die die emotionale Kraft der feinsinnigen Erzählung aufpolieren.
Vom Schwelgen in romantischen Sphären
In anderthalb Stunden schafft Wong eine Beziehung zwischen seinen Charakteren, die kreisend und immer in Bewegung scheint, eigen wie merkwürdig ist. Su Li-zhen Chan tritt stets in hochgeschnittenem einschnürendem Kleid in Erscheinung, ganze 46 verschiedene figurbetonte Qipaos trug Schauspielerin Maggie Cheung über die Produktion des Films hinweg. Sie halten ihren Charakter fest, schnüren sie bis zum Hals und hindern sie an einem vollkommenen Ausbruch. Ihr gegenüber Chow Mo-wan (Tony Chiu-Wai Leung), stets im gleichen Anzug, bedacht und höflich, dadurch aber nicht zufriedener. Das Umkreisen und Berühren beider Lebenswelten wird von Wong mit großer Einfühlungsgabe in Szene gesetzt, welche auf plumpe Charakterzeichnungen und kitschig verklärende Momente verzichtet, sondern seinen Figuren Raum zum Entwickeln und Nachdenken gibt. Die Tatsache, dass sich deren Liebe und Zuneigung nicht körperlich entwickelt, bringt eine interessante und erfrischende Essenz dessen hervor, was in anderen Romanzen schnell im ungestümen Geschlechtsakt endet.
Der dichten Ausleuchtung dieses Beziehungsgefüges helfen die deutlichen Stilmittel wie die Licht- und Farbsetzung und das Umspielen einzelner Szenerien mit Schatten. Außerdem kommt Yumejis Theme von Umebayashi eine illustrierende und zugleich einordnende wie überspannende Aufgabe zu, wenn es darum geht, die Liebesgeschichte spürbar zu machen. Die Szenen, in denen das Schlüsselmotiv anklingt, scheinen nicht zuletzt aufgrund des Einsatzes von Slowmotion wie aus der Zeit gefallen und gleichzeitig wie ein stilistisch beabsichtigter Übergang zur nächsten Stufe der Beziehung. Dass diese niemals das glückliche Happy End und die Liebesauskostung der Figuren erreicht, passt zum melancholischen Grundtenor der Geschichte und erhält gerade durch seine mehrfachen Epiloge zusätzlich an Tragik.
Ohne festgesetzte Dialoge erwächst im subtilen Schauspiel der Darsteller*innen eine spannende Sinnlichkeit und Natürlichkeit. Dieser liegt keine komplexe Handlung, dafür jedoch das Schwelgen in einer diffusen Gefühlswelt zu Grunde. Die Auszeichnungen für die beiden Hauptdarsteller*innen in Cannes und beim Hong Kong Film Award unterstreichen ihre wirksame Verkörperung.
Fazit
IN THE MOOD FOR LOVE ist ein Reigen subtiler Gefühle auf der einen und eine immersive Verbildlichung und Vertonung von Emotionen auf der anderen Seite. Die Charaktere überzeugen durch ihre nuancierten Facetten, während die Bilder um sie herum eine deutlichere Sprache sprechen. Vor allem sorgen Inszenierung und Ästhetik für einen hypnotischen Sog, der viel mehr über die Liebe und eine Romanze viel deutlicher einfangen kann, als es oberflächlichen Komödien heutzutage auf Netflix gelingt. Mit dieser Herangehensweise kann selbst aus oft verarbeiteten und wenig originellen Erzählstoffen ein packendes Seh- und Gefühlserlebnis entstehen, welches sich nicht immer erzählerischen Konventionen hingibt, seine Geschichte und die Figuren stattdessen lieber dahin gleiten lässt.
Originaltitel | Fa yeung nin wah (花樣年華) |
Kinostart | 30.11.2000 |
DVD/Blu-ray/4K – Release | 25.11.2021 |
Länge | ca. 98 Minuten |
Produktionsland | Hongkong | China |
Genre | Drama | Romanze |
Verleih | Koch Films |
FSK |
Regie | Wong Kar-Wai |
Drehbuch | Wong Kar-Wai |
Produzierende | Wong Kar-Wai | Ye-cheng Chan | William Chang | Gilles Ciment | Jacky Yee Wah Pang |
Musik | Michael Galasso | Shigeru Umebayashi |
Kamera | Christopher Doyle | Pun-Leung Kwan | Ping Bin Lee |
Schnitt | William Chang |
Besetzung | Rolle |
Tony Chiu-Wai Leung | Chow Mo-wan |
Maggie Cheung | Su Li-zhen | Mrs. Chan |
Siu Ping-Lam | Ah Ping |
Tung Cho Cheung | Man living in Mr. Koo’s apart |
Rebecca Pan | Mrs. Suen |
Kelly Lai Chen | Mr. Ho |
Man-Lei Chen | Mr. Koo |
Kam-Wah Koo | |
Szu-Ying Chien | Amah |
Paulyn Sun | Mrs. Chow |
Roy Cheung | Mr. Chan |
Po-chun Chow | |
Hsien Yu | |
Julien Carbon | French tourist |
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