Lida Bach: Du warst gestern bei der Premiere von ZIKADEN dabei. Wie hast du den Abend erlebt?
Nina Hoss: Es war eine der schönsten Premieren, die ich je erlebt habe. Besonders daran war, dass wir den Film gerade erst abgedreht hatten. Ich trage die Welt dieses Films noch ganz nah in mir. Es war berührend zu sehen, wie das Publikum genau das empfindet, was wir auslösen wollten: diese merkwürdige Spannung, die entsteht, wenn zwei Menschen sich begegnen, ohne dass man genau weiß, was diese Spannung ausmacht. Trotz der Schwere der Themen ist im Film auch viel Heiterkeit.
Lida Bach: Ina Weisse hat die Rolle für dich geschrieben. Wie war es, sie gemeinsam mit ihr zu entwickeln?
Nina Hoss: Es gab natürlich ein Drehbuch, das bestimmte Vorgaben enthält. Meine Aufgabe war es, zu verstehen, woher bestimmte Verhaltensweisen kommen. Was macht die Vaterfigur mit ihr? Er ist jetzt hilfsbedürftig, aber hat immer noch Macht über die Familienstruktur. Und sie fragt sich: Warum ist das so? Er braucht unsere Hilfe, aber behält seine Dominanz. Vielleicht hat sie sich deshalb nie getraut, selbst Architektin zu werden. Dieser Vater hat Schulen gebaut, ist in seinem Beruf aufgegangen, war erfolgreich. Ihre Geschichte ist für mich auch eine über Selbstsabotage: Was hält einen davon ab, den eigenen Weg zu gehen? All das habe ich eingebracht. Ina Weisse denkt diese Komplexität vielleicht nicht explizit mit, aber sie gibt jeder Figur den Raum, sich zu entfalten.
Lida Bach: Ina Weisses Vater ist Architekt. Hast du beim Spielen gespürt, dass in deiner Figur auch etwas von ihr steckt?
Nina Hoss: Es ist ein Thema, das sie sehr interessiert und das sie an ihrem Vater sehr schätzt. Aber der große Unterschied ist: Sie wollte nie Architektin werden. Ich habe ihr gesagt: Für mich ist das wie bei einem Autor. Die Geschichte beginnt mit etwas sehr Persönlichem, aber wird dann zu Fiktion. Ich habe nie darüber nachgedacht, ob da sie drinsteckt. Sie hat mir nie das Gefühl gegeben, es besser zu wissen oder mich in irgendeiner Form eingeschränkt. Es war eher so, dass sie mit bestimmten Elementen frei umgegangen ist, wie in einer Novelle oder einem Roman.
Lida Bach: Wie war die Zusammenarbeit mit Saskia Rosendahl?
Nina Hoss: Die Arbeit mit Saskia Rosendahl war wunderbar. Sie ist eine großartige Schauspielerin. Ich kannte ihre Filme und hatte mich sehr auf sie gefreut. Als wir zu lesen und proben begannen, war das Spannendste die Frage: Was verbindet diese beiden Frauen? Warum interessieren sie sich für einander? Wie erzählen wir das, ohne dass es konstruiert wirkt? Es fühlt sich an, als würden zueinander geweht werden, und dann können sie nicht mehr ohne einander. Beide stehen an einem Punkt, an dem sie ihr Leben nicht mehr im Griff haben. Isabelle ist erschöpft, Anja auch, wenn auch aus anderen Gründen. Und sie kommen aus verschiedenen Milieus: Isabelle aus einem gutbürgerlichen, bei dem Geld keine Rolle spielt, Anja aus prekären Verhältnissen. Man würde denken, diese beiden begegnen sich nie auf Augenhöhe. Aber warum eigentlich nicht? Sie haben Offenheit, sehen etwas im anderen, das ihnen guttut. Das kennt man ja aus dem Leben. Eine Begegnung kann alles verändern. Und mit Saskia war es spannend zu erforschen: Ist Anja vertrauenswürdig? Oder passiert alles einfach aus Unschuld heraus? Wie viel zeigen wir? Wie viel lassen wir offen? Und der Film zeigt, dass es nicht viel braucht. Man ist einfach nah bei diesen zwei Frauen und ihrem Leben.
Lida Bach: Ist eine solche Begegnung zweier Menschen aus so unterschiedlichen Milieus heute überhaupt noch realistisch?
Nina Hoss: Es ist eher die Ausnahme. Aber nicht, weil es keine Gemeinsamkeiten gäbe. Die Frage ist: Geht man solchen Begegnungen aus dem Weg, weil man glaubt, das gehöre sich nicht? Oder ist man so sozialisiert, dass man sich selbst diese Möglichkeit versagt? Das ist ja auch Isabelles Lebensthema. Und der Film zeigt, dass es Gemeinsamkeiten gibt. Die zwei Frauen lassen nicht voneinander. Es wird Konflikte geben, ja, aber die bespricht man eben.
Lida Bach: Was hoffst du, dass das Publikum aus dem Film mitnimmt?
Nina Hoss: Ich habe nie eine konkrete Erwartung. Aber wenn du es so fragst: Es wäre schön, wenn der Film dazu beiträgt, dass wir mehr Dialog wagen, auch zwischen verschiedenen Lebensmodellen. Wir leben in einer Zeit der verhärteten Fronten. Aber wir alle sehnen uns nach Wärme, Humor, Gemeinsamkeit und Heiterkeit. Wenn man das aus dem Film herausnimmt, wäre das schon ganz schön viel.
Lida Bach: Und was steht als nächstes bei dir an?
Nina Hoss: Ich gehe nach New York und spiele dort Tschechows „Der Kirschgarten“. Das Stück habe ich in London am Donmar Theatre gemacht, nun spielen wir es im St. Ann’s Warehouse in Brooklyn. Danach drehe ich weiter mit Mariko Minoguchi den zweiten Teil eines Films, an dem wir schon gearbeitet haben. Ich freue mich sehr darauf.
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