Review
So funktioniert laut Drehbuchautor und Regisseur Dag Johan Haugerud also Liebe auf Norwegisch. Mit unzähligen aneinandergereihten Dialogen, die auch so aus einem liberalen Beziehungsratgeber für experimentierfreudige Paare kommen könnten. Ein klassisches Drama über die Höhe- und Tiefpunkte zwischenmenschlicher Bindungen ist OSLO STORIES: LIEBE aber überhaupt nicht. Im Gegenteil: Traditionelle Beziehungsformen werden hinterfragt – natürlich in ausgiebigen Gesprächen –, neu ausgelegt und gebrochen.
Alle guten Dinge sind drei?
Alles andere als herkömmlich war die Veröffentlichung von Haugeruds Oslo Stories-Trilogie. So bildet laut deutschem Kinostart LIEBE den Anfang, gefolgt von TRÄUME und abschließend SEHNSUCHT. Ursprünglich konzipiert wurde die Filmreihe jedoch in umgedrehter Reihenfolge. SEHNSUCHT handelt von zwei heterosexuellen Schornsteinfegern, die ihre Sexualität erkunden, und TRÄUME (Gewinner des Goldenen Bären als bester Spielfilm bei der diesjährigen Berlinale) erzählt von einer Schülerin, die sich in ihre Lehrerin verliebt. In LIEBE begegnen wir hingegen der Urologin Marianne, die auf einer Fähre mit ihrem Arbeitskollegen Tor in eine Diskussion über Intimität und Sex verwickelt wird. Die drei Episoden sind unabhängig voneinander erzählt, lediglich der Therapeut Bjørn erscheint in allen drei Filmen. In LIEBE am prominentesten.
(Unvorteilhafte) Liebeserklärung an Oslo
Was alle drei Segmente jedoch eint, ist eine besondere Einbindung der norwegischen Stadt Oslo, wie der Titel bereits vermuten lässt. Als eine „Liebeserklärung an die Stadt“ wurden die Filme im Vorfeld oft deklariert. Haugerud betont, jedem Teil der Trilogie einen eigenen Charakter geben zu wollen; jeder Teil soll anders aussehen und sich anders anfühlen. Ausgesprochen ansehnlich sieht die norwegische Hauptstadt in LIEBE allerdings nicht aus: Die Farben erscheinen etwas ausgewaschen, die zwischendrin eingespielten Panorama-Bilder von der Stadt laden nicht unbedingt ein und generell macht sich ein Gefühl breit, dass die Bildgestaltung zugunsten der ausgeklügelten Wortwechsel etwas vernachlässigt wurde.
Dialoge, Dialoge und noch mehr Dialoge …
Diese sind dann auch durchaus gelungen. Sanft, einfühlsam und mit Bedacht sprechen die Figuren über ihre Gefühle, über Verbindlichkeit und Nähe. Direkt am Anfang unterhalten sich Urologin Marianne (Andrea Bræin Hovig) und Arbeitskollege Tor (Tayo Cittadella Jacobsen) auf einer Fähre zwischen Oslo und der Halbinsel Nesodden darüber, wie Tor spontanen Sex mithilfe von Apps wie Tinder und Grindr auf ebendieser Fähre sucht. Die kinderlose und partnerlose Marianne ist angetan. Könnte das etwas für sie sein? Aktuell trifft sie sich mit dem zweifach geschiedenen Geologen Ole (Thomas Gullestad), doch kurz darauf macht auch sie erste spontane sexuelle Erfahrungen, mit unbefriedigendem Ausgang. Immer wieder treffen wir außerdem auf Mariannes Freundin Heidi (Marte Engebrigtsen), Kulturbeauftragte in der Stadtverwaltung. Nach außen extrem progressiv und sexpositiv wirkend, kommt in einer brisanten Szene ihre Skepsis gegenüber Mariannes ungewohnter Einstellung zur Intimität hervor. So reagiert sie mit offensichtlicher Ablehnung, fast schon Abscheu, als Marianne ihr von ihrem spontanen Fährabenteuer berichtet.

Oslos Stories Liebe ©Alamode Film
Doch wirklich nennenswerte Denkanstöße durch die andauernden Dialoge kommen nur selten zum Vorschein. Oft wirken die Sequenzen wie dahinplätscherndes Wasser, ziellos und eintönig. Als „utopisch“ bezeichnete der Regisseur das Kapitel seiner Trilogie sogar selbst. Unnatürlich kommunikative und (für den größten Teil) gutherzige Menschen lösen alle ihre Konflikte mit einfachen Begegnungen. Dass Urologin Marianne überwiegend Männer täglich mit Prostatakrebs-Diagnosen konfrontieren muss, trägt trotzdem nicht zu einem realistischeren Gesamtbild des Films bei.
Was bleibt?
Und so stellt sich nach der zweistündigen Laufzeit doch ein wenig die Frage: Wozu das Ganze eigentlich? Zugegeben: Neben Mariannes Suche nach ihrer gewünschten Form von Vertrautheit und Begehren ist da noch Tor, der während einer seiner Fährfahrten auf den älteren Therapeuten Bjørn (Lars Jacob Holm) trifft und (wer hätte es gedacht?) eine ausführliche Unterhaltung über den Generationsunterschied im Umgang mit Homosexualität und Liebe führt. Anschließend sehen sich die beiden ungeplant wieder: Bjørn ist Patient in der Klinik, wo Tor arbeitet. Es kommt, wie es kommen muss: Am Anfang noch unsicher aufgrund Bjørns Krankheit und Tors Ablehnung von festen Partnerschaften, verlieben sie sich schlussendlich doch ineinander. Ein bisschen erinnert dieser Vergleich zwischen den zwei Generationen an ALL OF US STRANGERS, wobei es natürlich wesentliche Unterschiede gibt. Obwohl die Romanze der beiden ein wenig klischeebehaftet daherkommt, liefert sie reizvolle und nicht zuletzt einige herausfordernde Eindrücke in die unterschiedlichen Beziehungsformen und Erwartungen von schwulen Männern. Raus aus der Übersexualisierung, und mehr Richtung Kommunikation und tatsächlicher Nähe.

Oslos Stories Liebe ©Alamode Film
Fazit
Toll geschauspielert und mit einer gewissen Nähe zu den Protagonisten gefilmt, ist der erste (bzw. dritte?) Teil der Oslo Stories-Trilogie ein weiterer Eintrag ins „norwegische Menschen in stilvoll eingerichteten Häusern reden über die Probleme der Menschlichkeit“-Subgenre. Dabei werden keine originellen Fragen mit wahrhaftig interessanten Blickweisen beantwortet, eher ähnliche Konzepte in ein neues Licht gerückt. Trotz allem mag OSLO STORIES: LIEBE für viele die Zeit wert sein. Wenn nicht für die weniger aufregende Handlung, dann ja vielleicht für den norwegischen Charme?
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Originaltitel | Kjærlighet |
Kinostart | 25.12.2024 |
Länge: | 119 minuten |
Produktionsland | Norway |
Genre: | Liebesfilm | Drama |
Regie | Dag Johan Haugerud |
Producer | Yngve Sæther | Hege Hauff Hvattum |
Kamera | Cecilie Semec |
Musik | Peder Kjellsby |
Cast | Andrea Bræin Hovig, Tayo Cittadella, Thomas Gullestad, Lars Jacob Holm, Marte Engebrigtsen, Marian Saastad Ottesen, Morten Svartveit, Brynjar Åbel Bandlien, Benjamin Danielsen, Anna Berg, Khalid Mahamoud, Tov Sletta, Christine Stoesen, Paal Herman Ims, Svein Tindberg, Sigrid Huun |
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