Wenn die zwei jungen Frauen gedankenverloren im Bus sitzen, dann erwecken sie beinah den Eindruck, selbst noch Kinder zu sein. Dabei steht für sie in Ali Asgaris neuestem Film, der im Panorama-Programm der diesjährigen Berlinale Weltpremiere feierte, bereits einiges auf dem Spiel. In seinem bündig erzählten nur etwa einen Tag umfassenden ersten Spielfilm nach DISAPPEARANCE widmet sich der Iraner ausschnitthaft einem ungewöhnlichen Leben abseits althergebrachter Familienstrukturen und damit auch traditionell prägende (Wert-)Vorstellungen seines Heimatlandes.
Darum geht es
Fereshteh lebt in Teheran und kümmert sich dort um ihr zwei Monate altes Baby. Als sich ihre Eltern unverhofft für einen Besuch ankündigen, wird sie vor ein Problem gestellt: weder Mutter noch Vater wissen von ihrem unehelichen Kind. Gemeinsam mit ihrer Freundin Atefeh versucht sie, jemandes Unterstützung zu finden, der über Nacht auf ihr Baby aufpasst. Nachdem mehrere Möglichkeiten aus unterschiedlichen Gründen scheitern, wächst der Zeitdruck und die beiden jungen Frauen, eine geeignete Bleibe zu finden …
Rezension
Egal, wo sie es versuchen, ständig werden sie daran erinnert, im Grunde ganz allein zu sein. Sei es wegen vergangener Familienzwists, persönlichen Misstrauen oder gesellschaftlicher Stigmatisierung. Die Machtlosigkeit beider, insbesondere Fereshteh (Sadaf Asghari), die aufgrund ihres unehelichen Kindes gleich mehrfach das Nachsehen hat, fängt der Film in unaufgeregter und nüchterner Erzählweise ein. Kameraeinstellungen harren in Gesprächen von Überzeugungsversuchen lange aus, als bangen sie selbst für die Entlastung der Protagonistin.
Viele der Begegnungen enden ernüchternd, selbst jene, die zunächst Hoffnung schimmern lassen, können diese kaum länger als zehn Minuten aufrechterhalten. Verbindendes Glied zwischen den Hilfegesuchen ist die authentische Dynamik zwischen Fereshteh und Atefeh (Ghazal Shojaei), die sich durch Rückschläge tragen und gemeinsam entkräftende Minuten des Wartens durchstehen. Unruhe und Ungewissheit ihrer glanzlosen Odyssee überträgt sich mit der Zeit auf die Zuschauer*innen, die mit einfachen und subtilen Mitteln wie der heranrückenden Ankunft der Eltern vor den Bildschirm gebannt werden.
Selten gibt es einen Moment, in dem sich die Protagonistin tatsächlich der Mutterfigur und der Bezugsperson öffnen kann, die ihr Kind am dringlichsten benötigt. Oft wird der Säugling hin und her gereicht oder wie ein Gegenstand versteckt, erst gegen Ende brechen auch tiefste Gefühle über die junge Frau herein. Ohne die Szenerie musikalisch auszunutzen, überlässt Asgari der Wortlosigkeit den Raum, die der Situation Fereshtehs in nur wenigen Minuten Ausdruck verleihen kann. Das offene Ende pflichtet dem bei und zentriert die Entscheidung der Protagonistin, wohlwissend, dass es ihr nur für einen kurzen Moment Befreiung aus gesetzten Strukturen liefern wird, welche sich mit Treffen ihrer Familie erneut fester um sie zusammenziehen werden.
Fazit
UNTIL TOMORROW ist kleines nüchtern in Szene gesetztes Erzählkino mit überzeugenden Hauptdarstellerinnen in einem nur auf den ersten Blick einfachen Szenario. Zusehends offenbaren sich persönliche und gesellschaftliche Beschränkungen, die die Handlungsmöglichkeiten der Protagonistin minimieren. Das ist nicht tiefgreifend genug für eine ausführliche Charakterstudie und auch nicht anprangernd genug für eine ausdrucksstarke Konfrontation mit traditionellen Wertevorstellungen, funktioniert jedoch im Rahmen der überschaubaren Geschichte. Mit zurückhaltender Herangehensweise und einer nicht einmal anderthalbstündigen Lauflänge liefert der Film ein kurzweiliges und nachdenklich stimmendes Teilporträt einer jungen Frau.
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Originaltitel | Ta farda |
Berlinale – Release | 14.02.2022 |
Berlinale Sektion | Panorama |
Kinostart | demnächst |
Länge | ca. 86 Minuten |
Produktionsland | Iran | Frankreich | Katar |
Genre | Drama |
Verleih | unbekannt |
FSK | unbekannt |
Regie | Ali Asgari |
Drehbuch | Ali Asgari | Alireza Khatami |
Produzierende | Ali Asgari | Raphaëlle Delauche | Niki Karimi | Nicolas Sanfaute |
Musik | Ali Birang |
Kamera | Rouzbeh Raiga |
Schnitt | Ehsan Vaseghi |
Besetzung | Rolle |
Sadaf Asgari | Fereshteh |
Gahzal Shojaei | Atefeh |
Babak Karimi | |
Amirreza Ranjbaran | Yaser |
Nahal Dashti | Nadia |
Mohammad Heidari | Fereshteh’s Boss |
Babak Karimi | Doctor Mahmoudi |
Pardis Shiravani | Neighbour |
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