Im jungen Erwachsenenalter erinnert sich Sophie an einen zurückliegenden Urlaub. Ende der 1990er Jahre hatte sie mit ihrem Vater Calum eine Woche an der türkischen Riviera verbracht. Ihre Erinnerungen an die sonnigen und freudigen Ferienerlebnisse werden von der Gegenwart und dem Gemütszustand ihres Vaters aufgebrochen.
Rezension
Camcorder-Aufnahmen und Blicke in die Vergangenheit vermischen sich in Charlotte Wells durch alte Familienfotos inspirierten Regiedebüt zu einem bewegenden Vater-Tochter-Porträt. Ein einwöchiger Aufenthalt in der Türkei dient in sonniger, vermeintlich unbeschwerter Urlaubsroutine der Erkundung beider Hauptfiguren, ohne diese zu vollauf zu entschlüsseln. Sophies ausschnitthafte Kindheitsperspektive, nur hin und wieder angereichert mit Erfahrungen, dem Kenntnisstand der erwachsenen Version und Ahnungen über ihren jungen Wissenshorizont hinaus, prägen die unvollständigen Einblicke in die Vaterfigur.
Explizite Erklärungen und Hintergründe gibt es kaum, nur aufschlussreiche Hinweise, die sich in Bildern, Songtexten und der greifbaren Vater-Tochter-Dynamik verbergen: in ihrer Präsenz im Raum, der wiederholten Getrennt- und Verbundenheit der Figuren und in der unmittelbaren Verknüpfung der Geschichte mit der Gegenwart. In der Wortkargheit, den feinsinnigen Bewegungen und Regungen, die die Zustände des Vaters mal aus Kinderaugen, mal mit den Augen eines Fremden beobachten lassen. Auf eine große Erzählung wird verzichtet, viel mehr reihen sich verschiedenste Episoden des Aufenthaltes slice-of-life-artig aneinander, die in ihrer Schlicht- und Unaufgeregtheit Geduld erfordern können, aber spätestens zum Ende in einem eindrucksvollen Höhepunkt münden.
Fragile Familienaufnahmen
Grenzen zwischen Dokumentation und Erinnerungen austastend bewegt sich AFTERSUN in einem verschwimmenden Zustand von Tatsachen und Andeutungen. Darin vermengen sich oberflächliche Urlaubs-Bekanntschaften mit ersten romantischen Erfahrungen, gemeinsame Ausflüge mit der wiederkehrenden Zurückgezogenheit des Vaters. Ein zaghaftes Spannungsverhältnis (prä-)pubertärer Auffassungen und zerbrechlicher, väterlicher Fürsorge, die vom inneren Kampf der männlichen Hauptfigur eingeholt wird. So wie die gelegentlich Postkarten-Motiven nachhängenden Bilder von Gregory Oke, in denen die Tiefe der Figuren zurückhaltend herausgearbeitet wird.
Wenn im Blitzlichtgewitter gegen Ende die Erinnerungen und Zeitebenen kollidieren und eine Verarbeitung Queens „Under Pressure“ ein musikalisches Ausrufezeichen setzt, erreicht AFTERSUN eine wirkungsvolle Zuspitzung, die alles an Kraft herauszuholen versucht, was das scheinbare Idyll zuvor verschluckte. Paul Mescals und Frankie Corios Chemie, die sich in unterschiedlichsten Lektionen der Charaktere, auf Augenhöhe beider Figuren und ohne ausführliche Dialoge entwickelt hat, geht fulminant auf und lässt eine berührende wie bittere Schlussnote wirken.
Fazit
Unaufgeregt schürft AFTERSUN in lang zurückliegenden Urlaubserlebnissen seiner authentisch dargestellten Hauptfiguren und entfaltet eine ruhige, selten dramatisch verfremdete Erzählung über eine einfühlsame Vater-Tochter-Beziehung. Ein oft in Andeutungen erzählter, mühelos von seinen glaubhaften Hauptdarsteller*innen getragener Debütfilm in leise tragischen, aber auch kraftvollen Momentaufnahmen.
Wie hat Dir der Film gefallen?
Hinterlasse einen Kommentar