Zum Abschluss des Jahresrückblicks blicken wir auf das letzte Quartal des aktuellen Kinojahres zurück. Auf einen aufsehenerregenden Animationsfilme, eine vielprämierte Dokumentation und, wie so oft in diesem Jahr, auf (enttäuschende) Fortsetzungen. Hier sind die Kinostarts im Oktober, November und Dezember 2024.
Von Maschinen und Clowns
Mit ROBOT DREAMS gab es bereits im Mai diesen Jahres einen sehenswerten Animationsfilm mit einem Roboter als Hauptfigur, Anfang Oktober setzte Dreamworks mit DER WILDE ROBOTER in den deutschen Kinos nach. Vom Schöpfer von LILO & STITCH kam ein wesentlich aufgeregterer, aber ebenso herzlicher Abenteuerfilm, dessen zweiter Teil schon kurz nach Kinostart bestätigt wurde.
In der Wildnis frisst, hast und verachtet jeder jeden. Liebenswürdigkeit ist, wie Fuchs-Freund Fink (Pedro Pascal) Roz erklärt, keine gute Überlebensstrategie. Natürlich zielt die Haupthandlung um Roz Adoption des verwaisten Wildgans-Kükens Brightbill (Kit Connor) darauf ab, das Gegenteil zu beweisen. Dass die Message von Zusammenhalt und dem Überwinden von Gegensätzen zeitlos statt altbacken wirkt, verdankt die zwischen Action und ruhigen Momenten balancierte Inszenierung ihren emotionalen und ideellen Nuancen. Wie dem feinen Unterschied zwischen Individualität und Individualismus. (Lida Bach)
Wie die Fortsetzung des auf den Roman von Peter Brown basierenden Familienabenteuers aussehen wird, ist zu diesem Zeitpunkt selbstverständlich noch nicht absehbar. Ihm ist aber zumindest mehr Erfolg zu erhoffen, als dem Sequel, das im September zu den meisterwarteten Filmen des Jahres zählte: JOKER 2. Todd Phillips musikalische Fortsetzung dekonstruierte den Hype um den tragischen Antihelden zwar deutlich, kam aber weitaus weniger radikal und dafür zäher daher, als er hätte sein können.
Zur Videokritik:
Kaum vergleichbar, aber immerhin für positivere Resonanz innerhalb seiner Zielgruppe, sorgte der neue Eintrag ins TRANSFORMERS-Universum. TRANSFORMERS ONE erschien im Oktober als Prequel der bisherigen TRANSFORMERS-Filme und als reiner Animationsfilm.
Nach den tristen, grauschwarzen Decepticons sowie den dunkelfarbig gehaltenen Autobots der Michael-Bay-Filme zeigt sich TRANSFORMERS ONE von seiner besten Seite. Die farbenfrohen sowie verspielten Designs sind ein Segen für das Publikum. Seien es die animalischen Quintessons oder eben Transformers, welche sich nicht mehr so leicht in Autobots sowie Decepticons unterscheiden lassen. TRANSFORMERS ONE wirkt wie die alte Serie gepaart mit modernen Elementen. (Hel)
Zum Kinostart von konnten wir mit einigen Synchronsprechern des Films sprechen, zum Beispiel mit Phil Laude:
Festivalgewinner
Mitte Oktober setzte sich der Tiefflug des Superhelden-Blockbuster Kinos mit VENOM: THE LAST DANCE fort, während auch das deutsche Familienkino mit der Buchverfilmung von WOODWALKERS kaum euphorische Stimmen fand. Erst Mati Diops preisgekrönter Dokumentarfilm DAHOMEY stieß wieder deutlich aus den wöchentlichen Kinostarts empor: eine eindringliche Auseinandersetzung mit kolonialer Vergangenheit.
Gewissermaßen teilt sich Mati Diops Dokumentation über die Rückkehr von 26 Kunstschätzen des Königreichs Dahomey ins heutige Benin in zwei Hälften. Die erste begleitet Aufbewahrung, Transport und Ankunft der von den französischen Kolonialherren geraubten Werke in ihrem Herkunftsland, die zweite stellt Debatten um das materielle Erbe, um die Deutungshoheit und Symbolpolitik in den Vordergrund. Beide Hälften durchdringt die mystische Erscheinung der Kunstwerke, personifiziert in einem enigmatischen Voice Over. Jenes und die konzentrierten Aufnahmen verleihen der überschaubaren Anzahl an zurückgegebenen Stücke, selbst im Vergleich zu all den Tausenden, die sich weiterhin in fremder Hand im Ausland befinden, eine eingehende Präsenz. (Paul Seidel)
Gleichermaßen preisgekrönt, aber weniger dokumentarisch, startete nur eine Woche später Sean Bakers ANORA in den deutschen Kinos. Der diesjährige Gewinnerfilm der Goldenen Palme folgte einer jungen Stripperin aus Brooklyn, die den Sohn eines Oligarchen heiratet.
Der titelgebende (bürgerliche) Name der von Mikey Madison mit unbändigem Charme verkörperten Heldin impliziert den dramaturgischen Blick hinter die Fassade kapitalistischer Klischees und materialistischen Moralismus. In Tradition seines Oevres inszeniert Sean Baker Sexarbeit und die Menschen, die sie ausüben, mit Würde und Respekt. Diese progressive Perspektive ist in Zeiten aggressiver Kriminalisierung und Stigmatisierung von Sexwork ebenso bedeutend wie bewegend. (Lida Bach)
Politische und persönliche Kämpfe
Über 20 Jahre ist es her, dass Russel Crowe als Maximus für Ridley Scott in der Arena zum Gladiatoren wurde. Die späte Fortsetzung des Historiendramas trat Mitte November auf den deutschen Leinwänden an. Mit dabei: Paul Mescal, Pedro Pascal und ein überspitzt aufspielender Denzel Washington, aber auch Monsteraffen, Seeschlachten und Haie. Die Arena bebte vorgeblich, das Kino erfuhr hingegen keine Erschütterung, weil sich Scotts Spätwerk allen voran mut- und kraftlos entfaltete und weder seine Gladiatoren- oder Ränkespiele noch die Schauwerte mit Überraschungen und Wirkkraft aufwarteten.
Historisch deutlich näher am Zahn der Zeit und auch sonst sehr viel eingehender, zeigte sich der neue Film des ICH SEH, ICH SEH-Regieduos Veronika Franz und Severin Fiala. DES TEUFELS BAD spielt Mitte des 18. Jahrhunderts in Oberösterreich und folgt einer jungen depressiven Frau.
Düstere Bilder verengen die Lebenswelt der Hauptfigur zu einem albtraumhaften Raum erdrückender Machtverhältnisse und unheilvoller Vorzeichen. Ausgefüllt wird dieser vom Leidensweg der in vielerlei Hinsicht außenstehenden, missverstandenen Protagonistin (…) und der wiederkehrenden Symbolik, die sich in Agnes zerrüttete Perspektive setzen. Aber auch von der mit Horrorelementen liebäugelnden Atmosphäre, schmutzig-detaillierter Ausstattung und einer eindringlichen Performance von Anja Plaschg, die als Agnes viele Geschehnisse zurückhaltend in sich hineinfrisst, aus der in den letzten Minuten aber ebenso eindrücklich herausbricht. (Paul Seidel)
Nicht in die Vergangenheit, sondern in die Zukunft blickte Galder Gaztelu-Urrutia, Regisseur des Netflix-Thrillers DER SCHACHT, in seinem neuen Film RICH FLU. In diesem hat es ein heimtückisches Virus auf die reichsten und einflussreichsten Menschen der Welt abgesehen.
Dass die futuristische Finanz-Flucht die Protagonistin nicht nur zum vermeintlich guten einfachen Lebenswandel zurückführt, sondern einer heteronormativen, patriarchalischen Monogamie inklusive Mutterrolle, enthüllt den reaktionären Subtext Galder Gaztelu-Urrutias diffuser Dystopie. Deren auf den ersten Blick originelle Prämisse ignoriert das phänomenale Potenzial zu Systemkritik und Sozialsektion zugunsten plumper Polemik gegen zum Feindbild degradierte Gesellschaftsschichten. (Lida Bach)
Für die Fans ungewöhnlicher Dramen gab es am selben Startwochenende außerdem Joanna Arnows anderthalbstündige Tragikomödie DIESES GEFÜHL, DASS DIE ZEIT, ETWAS ZU TUN, VORBEI IST zu sehen.
Wie der Titel bereits vermuten lässt, bietet der Film einen einzigartigen und unkonventionellen Einblick in das alltägliche Leben einer gelangweilten Frau, die sich in ihren sexuellen, familiären und beruflichen Beziehungen gefangen fühlt – und nach sich selbst sucht. Nicht für alle wird die Mischung aus trockenen Witzen und dem fast schon dokumentarischen Stil Anklang finden. (Jan Wilewald)
Mufasa und Mumbai
Zum Jahresende hin mehren sich die großen Kinder- und Familienfilme, nach VAINA 2 und WICKED erschien im Dezember schließlich die Fortsetzung des DER KÖNIG DER LÖWEN – Remakes MUFASA.
Obwohl deutlich als CGI erkennbar, sind die Tieranimationen auf hohem Niveau und die Synchron-Performer, besonders Mikkelsen und Newton, überzeugend. Eklatante Schwäche des Franchise war und bleibt der Plot. Derivativ und didaktisch, ignoriert der Kanon, Kontinuität und Charakterkonzepte im Dienste einer bestenfalls kosmetischen Überarbeitung rechtskonservativer Gender-Rollen und Gesellschaftsvorstellungen. Jene sind so verwachsen mit dem neo-monarchistischen Narrativ, dass ihre Revision auch das allegorische Weltbild erschüttert. (Lida Bach)
Nicht nur für Disney-Nostalgiker, auch für alle anderen Filmfans hatte der Dezember noch einiges zu bieten wie beispielsweise Payal Kapadias eindringliches Erstlingswerk ALL WE IMAGINE AS LIGHT.
Zwischen den lyrischen Nachtaufnahmen und den Selbstverwirklichungskämpfen seiner Hauptfiguren leuchtet die Hoffnung in Payal Kapadias eindringlich gespieltem und herausragend fotografiertem Spielfilmdebüt. Einem von einprägsamer, menschlicher Größe. (Paul Seidel)
Ein weiteres Highlight und deutscher Oscarkandidat für die kommende Oscarveranstaltung ist Mohammad Rasoulofs DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS. Am 26. Dezember, somit am letzten Kinostartwochende des Jahres startend, rundet unter anderem diese iranisch-deutsche Koproduktion ein reich gefülltes Kinojahr ab.
Weitere Filme im Oktober, November und Dezember 2024
2.10.
MEMORY von Michel Franco
ARCHITECTON von Victor Kossakovsky
ZONE von Christina Friedrich
9.10.
DER BUCHSPAZIERER von The Chau Ngo
THELMA – RACHE WAR NIE SÜßER von Joshua Margolin
DER SPATZ IM KAMIN von Ramon Zürcher
THE BEAST von Betrand Bonello
“Bonellos ausschweifendes Triptychon wendet sich schwülstig zwischen dystopischer Science-Fiction, Geschichtsstunde und epochenübergreifender Romanze: Ein Film mit sperrigem Gerüst, schleppend, rätsel- und flickenhaft wie üppig bebildert.” (Paul Seidel)
12.10.
SMILE 2 – SIEHST DU ES AUCH? Von Parker Finn
IN LIEBE, EURE HILDER von Andreas Dresen
THE APPRENTICE – THE TRUMP STORY von Ali Abbasi
HAGEN – IM TAL DER NIBELUNGEN von Cyrill Boss und Philipp Stennert
23.10.
IN A VIOLENT NATURE von Chris Nash
THE ROOM NEXT DOOR von Pedro Almodovar
HALTLOS von Kida Khodr Ramadan
30.10.
ALTER WEIßER MANN von Simon Verhoeven
TERRIFIER 3 von Damein Leone
RIEFENSTAHL von Andreas Veiel
BRENNEN MUSS SALEM von Gary Daubermann
6.11.
RED ONE von Jake Kasdan
BLITZ von Steve McQueen
MARIANENGRABEN von Eileen Byrne
RED ROOMS von Pascal Plante
13.11.
WEIHNACHTEN IN DER SCHUSTERGASSE von Mikal Hovland
NO OTHER LAND von Basel Adra, Hamdan Ballal und Yuval Abraham
JOHATSU – DIE SICH IN LUFT AUFLÖSEN von Andreas Hartmann und Arata Mori
EMILIA PEREZ von Jacques Audiard
20.11.
KONKLAVE von Edward Berger
SHAMBHALA von Min Bahadur Bham
DAS IMPERIUM von Bruno Dumont
MILCHZÄHNE von Sophia Bösch
SPIDERS – IHR BISS IST DER TOD von Sébastien Vaniček
“SPIDERS: IHR BISS IST DER TOD schockt, geht unter die Haut sowie ins Ohr und erschrickt mit Gesellschaftskritiken, welche nicht nur in Horrorfilmen gern gesehen sind.” (Hel)
27.11.
VAIANA 2 von David G. Derrick Jr., Jason Hand, Dana Ledoux Miller
CITY OF DARKNESS von Soi Cheang
CADDO LAKE von Celine Held und Logan George
VENA von Chiara Fleischhacker
4.12.
THE OUTRUN von Nora Fingscheidt
BAGMAN von Colm MCCarthy
A DIFFERENT MAN von Aaron Schimberrg
REINAS – DIE KÖNIGINNEN von Klaudia Reynicke
“erzählt eine nostalgisch gefilmte und ausgestattete, konventionell konzipierte Coming of Age-Geschichte, deutlich persönlicher und ins eigene Genre zurückgezogen als aktiv politisch oder hervorragend inszeniert.” (Paul Seidel)
11.12.
DER HERR DER RINGE: DIE SCHLACHT DER ROHIRRIM von Kenji Kamiyama
HERE von Robert Zemeckis
DIE GESCHÜTZTEN MÄNNER von Irene von Alberti
18.12.
DER SPITZNAME von Sönke Wortmann
FREUD – JENSEITS DES GLAUBENS von Matt Brown
25.12.
DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS von Mohammad Rasoulof
HERETIC von Scott Beckund Bryan Woods
SONIC THE HEDGHEHOG 3 von Jeff Fowler
und viele mehr…
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