FilmkritikIn KürzeDas sagen die Kollegen
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Originaltitel: Exil
Kinostart: ursprünglich 04.06.2020 – neuer Termin: 20.08.2020

FSK 12

FSK 12 ©FSK

Länge: ca. 121 Minuten
Produktionsland: Deutschland | Belgien | Kosovo
Regie: Visar Morina
Schauspieler:innen: Misel Maticevic | Sandra Hüller | Rainer Bock
Genre: Drama
Verleiher: Alamode Film

Der 41-jährige Filmemacher Visar Morina ist gebürtig im Kosovo, hat jedoch den Großteil seines Lebens in Deutschland verbracht. EXIL ist dabei erst sein zweiter Langfilm nach BABAI. Beide sind ansatzweise autobiografisch ausgerichtet, da sie selbst erlebte Momente des Autorenfilmers aufgreifen und diese dennoch stimmig in die erdachte Handlung integrieren. Dieser erstmalig in Deutschland auf der Berlinale in der Sektion Panorama gezeigte Film wurde mit einem ausgezeichneten Cast geschaffen, unter anderem Sandra Hüller, Rainer Bock und Thomas Mraz, aber eben auch dem etwas unbekannteren Misel Maticevic, der zumeist eher aus Fernsehserien und -filmen wie dem TATORT oder BABYLON BERLIN bekannt ist.

Darum geht es…

Ähnlich zu Visar Morinas eigenen Lebensgeschichte ist sein Protagonist Xhafer ein in Deutschland lebender, aber im Kosovo geborener, Pharmaingenieur, der sich hier ein gutes Leben aufgebaut hat, eine weitestgehend glückliche Ehe führt und Vater dreier Kinder ist. Seine Arbeit verrichtet er gewissenhaft und lässt sich auch sonst eigentlich nichts zu Schulden kommen. Als er jedoch eines Tages eine tote Ratte festgebunden an seinem Eingangstor auffindet, beginnt in ihm eine Nervosität zu reifen, die durch viele kleine Details in seinem Umfeld immer weiter verschärft wird. Auch fühlt er sich auf Arbeit gemobbt, da seine Tätigkeit durch nicht weitergeleitete Informationen herb blockiert wird und zu allem Überfluss ist offenbar auch seine Schwiegermutter nicht überschwänglich begeistert von einem nicht deutsch gebürtigen Ehemann für ihre Tochter.

Anfangs versucht er diese Indizien noch zu ignorieren, doch mit offen Augen durchs Leben gehend, ist es ihm kaum möglich diesen Umgang mit seiner Persönlichkeit zu ignorieren. Als zivilisierter Mensch versucht er sich somit einigen Maßnahmen zu bedienen, um entsprechende Anfeindungen zu beenden. So sucht er das Gespräch mit seinem obersten Vorgesetzten und versucht die Sache ein für alle Mal zu klären, doch scheinbar wird er von absolut niemandem ernst genommen. Als sein Briefkasten eines Tages mit toten Ratten überquillt platzt ihm der Geduldsfaden und er packt diese einem Kollegen, den er schon seit länger Zeit im Verdacht hat für verschiedene Taten, auf den Tisch. Erst mit einer Tragödie kommt Xhafar der Gedanke, ob er nicht doch in einen tiefgreifenden emotionalen Wahn verfallen ist, der seine Gedankengänge steuert. Waren die Anfeindungen also nur Illusionen?

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Rezension

Nach Definition ist Exil die Abwesenheit eines Menschen oder einer Volksgruppe von der eigenen Heimat auf Grund von Ausweisung, Verbannung, Vertreibung, Ausbürgerung, Zwangsumsiedlung oder religiöser/politischer Verfolgung. Zwar wird unsere Hauptfigur nicht aus seiner Heimat, dem Kosovo, ausgewiesen oder verbannt, gefühlstechnisch jedoch sehr wohl aus seinem derzeitigen Lebensraum, der einer zweiten Heimat vollkommen gleichzusetzen ist, weshalb der Titel sorgfältig durchdacht gewählt ist.

Zwar wird schon in der ersten Szene die Grundlage für den gesamten Film gelegt, doch dauert es eine Weile bis man so richtig folgen kann, wohin die Reise der Geschichte nun gehen soll. Dabei durfte ich jedoch feststellen, dass selbst kleine Szenen einen teilweise monströsen Ausschlag auf das gesamte restliche Gebaren der Figuren haben können und daher stets aufmerksam zugeschaut werden sollte. Dies fällt jedoch manchmal nicht so recht leicht, da das Erzähltempo schon sehr auf ein Minimum runtergedrückt wurde und zumeist durch unnötig in die Länge gezogen Dialoge noch weiter ausgedehnt wird. Nichts desto trotz schafft es Regisseur Visar Morina das Interesse des Zuschauers voll auf den Film zu lenken durch eher unkonventionelle Soundeinsätze, die nur bedingt einer erkennbaren Logik folgen, dennoch jedoch dem Geisteszustand der Hauptfigur stets nachstehen.

Zudem wird dem Publikum suggeriert selbst Teil dieses Mobbing-Prozesses zu werden und damit dem unschönen Hassgebaren ausgesetzt zu sein. Insbesondere für Mitmenschen, die selbst nicht betroffen sind von solch unschönen Umgangsformen, dürfte dieser Inhalt etwas augenöffnend sein, denn es ist leicht eins und eins zusammenzuzählen und dabei die gesamte Komplexität einer Handlung immer weiter aus den Augen zu verlieren. Die Subjektivität und deren schlussfolgernden Fehlinterpretation gegenüber alltäglichen Handlungen, wird hier nahezu perfekt in ein selbst gefertigtes persönliches Weltbild eingefügt, welches daraufhin nicht weiter hinterfragt wird und damit nur einen kleinen Ausschnitt der gesamten Realität offenbart. Somit übt der Regisseur offensichtliche Kritik nur in Form rassistischer Grundzüge, die jedoch auf ein immer häufiger auftretendes Gebaren im deutschen Alltag zurückzuführen ist und somit auch eine generelle, berechtigte Gesellschaftskritik zeigt.

Neben diesem kleinen Exkurs in die symbolische Bedeutung, die hier wirklich exzellenten Einsatz findet, schafft es der Regisseur jedoch nicht typisch deutsche Marotten der Filmproduktion an den Tag zu legen. Vor allem zu sehen ist dies in den doch sehr aufgesetzten Dialogen, die zwar inhaltlich gut geschrieben sind und nicht jede Kleinigkeit versuchen zu erläutern, aber sowas von abgehackt und unnatürlich vorgetragen werden, dass einfach eine unreale Perfektion in ihren Weg in die Szenen findet, die einfach überflüssig sind. Ohne Probleme wäre es hier möglich ein Metronom nebenherlaufen zulassen und man würde wohl immer auf das bekannte Klickgeräusch eine entsprechende Reaktion erwarten können. Hier sollte doch gerne auch einmal etwas mit der Intensivität einer Auseinandersetzung gespielt werden.

Vortrefflich produziert sind mehrere Kamerafahrten, die mit der Hauptfigur im Fokus durch viele gewundene Räumlichkeiten und Gänge eines Bürogebäudes sowie dem Eigenheim zeigen. Diese kurzen One-Shot-Momente gewinnen angesichts der psychologischen Lage der gezeigten Person zusätzlich an Bedeutung, da sie die ausweglosen Windungen seiner Paranoia weiter verdeutlichen, die mit jeder neuen Richtung immer verwirrender und unschlüssiger werden. Zudem gibt es ein Ereignis, in welchem ohne jede Vorwarnung ein Geschehnis abseits des Bildzentrums geschieht, in welchem sich noch immer die Hauptfigur befindet. Dieses wirkt sich fast schon verstörend, auf jeden Fall aber höchst Emotional auf den Zuschauer aus und wird durch die übertrieben dargestellte Bedeutungslosigkeit zu einem monumentalen Wendepunkt der Handlung. Hierbei wirklich schön zu sehen ist, dass die Szene nicht mit unzähligen Kameraperspektiven ausgeschlachtet wird, sondern simpel und nüchtern ihren Platz in der Story findet.

Insgesamt wurde mit EXIL somit ein Film auf der Berlinale gezeigt, der auf jedem Fall der besseren deutschen Produktionen zuzusprechen ist, sich aber dennoch nicht endgültig beweisen konnte, da visuelle Umsetzung und eine tiefgreifende Metaebene einfach nicht alles sind um ein fantastisches Werk auszumachen. Dennoch sind eben jene gesellschaftlichen Kritiken durch geschickte Symbole und Filmtechniken eingearbeitet wurden, die zudem neugierig den Zuschauer an sich binden und, wenn auch viel zu langsam, eine spannende Dramatik entwickeln, die es wert ist sich den Film zu gönnen.

Nüchtern betrachtet wird hiermit wiedermal nur ein Filmdrama gezeigt, welches offensichtlich dem deutschen Filmhandwerk entspringt und daher einfach viel Potential auf der Strecke liegen lässt. Abseits davon wurde jedoch eine recht simple aber ebenso aussagekräftige Handlung entwickelt, die basierend auf vielen symbolträchtigen Bildern ein psychologisches Profil nicht von einer Figur, sondern einer ganzen Gesellschaft entwickelt und heutige Kontroversen der menschlichen Umgangsformen und Interaktionen vollständig in Frage stellt. Geschickt wird dabei vor allem die Rolle des Antagonisten großzügig ausgelegt und mit aller Konsequenz angeregt diese zu überdenken. Dabei kostet es jedoch recht viel Ausdauer eben jenen Kniff auch zu erkennen, denn wieder einmal werden unzählige Szenen durch eine gewisse fehlende Brisanz und Schwunghaftigkeit nur sehr gemächlich auf den Punkt gebracht und verlieren daher völlig einen genießbaren Rhythmus.