Emmets (Kyle Gallner) Mutter ist tot – doch eigentlich ist sie das für ihn schon viel länger. Es ist viele Jahre her, dass Emmet die Frau, die ihm einst das Leben schenkte, gesehen hat. Er war noch ein Kind, als sie ihn verlassen hat. Alles, was im heute von ihr bleibt, ist ein geräumiges Landhaus an einem kleinen See fernab der Zivilisation und die schmerzlichen Erinnerungen an eine tragische Kindheit. Entsprechend schnell will Emmet sein Elternhaus auch wieder verlassen, das er gemeinsam mit seiner Verlobten Anya (Holland Roden) für wenige Tage bezieht, um in dieser Zeit eine Käufer*in zu finden. Während die alten Fotos und Familienvideos, auf die Emmet bei der Begehung des verlassenen Gebäudes stößt, in ihm vergessen geglaubte Erinnerungen wecken, scheint auch Anya eine Veränderung durchzumachen. Seine Verlobte beginnt sich sowohl äußerlich als auch in ihrer kompletten Art gemächlich zu seiner verstorbenen Mutter zu entwickeln – fast so als hätte ihr Geist von Anya Besitz ergriffen, um ihren Sohn auch noch nach ihrem Tod das Leben zur Hölle zu machen.
Rezension
In MOTHER, MAY I? stehen zwei Figuren im Zentrum, die sich auf unterschiedliche Weise mit dem Thema der mütterlichen Bindungen auseinandersetzten müssen. Während sich Emmet durch die Rückkehr in sein Elternhaus erstmals seinem Trauma stellen muss, hadert Anya mit der Entscheidung selbst in die Rolle der Mutter zu schlüpfen. Statt sich der von strengen Zwängen seiner matriarchalischen Mutter begleiteten Kindheit zu stellen, hat Emmet über die Jahre einen dicken Schutzpanzer um sich errichtet, der mit der Konfrontation mit seiner Vergangenheit nun in sich zusammenzubrechen droht. Wenn sich Emmet und Anya nach einer von bewusstseinserweiternden Substanzen begleiteten Nacht mehr und mehr in eine toxische Beziehungsdynamik verstricken, öffnet dies auch dem Horror Tür und Tor – wenn auch anders als es die Synopsis zunächst erahnen lässt.
Wer einen echten Schocker erwartet, geht leer aus. Der Horror selbst kommt in MOTHER, MAY I? lediglich als wohl dosiertes Stilmittel zum Einsatz und spielt sich dabei größtenteils in subtiler Form auf der psychologischen Ebene ab. Laurence Vannicelli weiß den surrealen Rahmen, den die Inaussichtstellung einer möglichen übernatürlichen Präsenz mit sich bringt, durchaus geschickt für sich zu nutzten, indem er den charaktergetriebenen Plot mit einer kriechenden Suspense unterfüttert und dadurch gleichzeitig die Entwicklung seiner Protagonist*innen vorantreibt. Der nahezu vollständige Verzicht auf plakative Schockmomente dürfte für Horrorfilms dabei etwas irritierend sein und entlarvt MOTHER, MAY I? in seiner eigentlichen Natur als Charakterdrama.
Mütterliche Bindung auch über den Tod hinaus
Dass MOTHER, MAY I? in seinen Funktionen als psychologisches Horrordrama trotz der gegebenen Rahmenbedingungen dennoch nicht vollständig aufgeht, hat mehrere Gründe. Bis zur plötzlichen Transformation Anyas als vermeintliche Inkarnation von Emmets verstorbener Mutter köchelt die Spannung zunächst lange Zeit auf Sparflamme. Auch inhaltlich scheint MOTHER, MAY I? in der ersten Hälfte auf der Stelle zu treffen. Dass, das von Laurence Vannicelli verfasste Drehbuch auf ausladende Erklärungen oder den Einsatz von Rückblenden verzichtet und das Innenleber seinen Figuren stattdessen aus deren Interaktionen und Handlungen heraus erkundet, ist durchaus löblich und ambitioniert, nimmt der Erzählung aber auch die Chance ein vernünftiges Tempo zu generieren.
So subtil MOTHER, MAY I? in der Zeichnung seiner Charaktere vorgeht, so fahrig muten manche ihrer Entwicklungen an. Die Beweggründe einzelner Handlungsentscheidungen bleiben nicht immer ganz nachzuvollziehen. Probleme, deren offene Äußerung zu einer schnellen Lösung führen könnten, bleiben unausgesprochen. Der sich zuspitzenden Dynamik tun diese Schönheitsfehler keinen Abbruch, hinterlassen aber dennoch einen bitteren Nachgeschmack. Mit den wachsenden Konflikten, offenbart sich auch eine Menge schauspielerisches Talent. Während Holland Roden (TEEN WOLF: THE MOVIE) zu Beginn noch recht eindimensional betrübt vor sich drein Blickt, bekommt sie in ihrer späteren Quasi-Doppelrolle deutlich mehr zu tun. Ähnlich verhält es sich auch bei ihrem Co-Star Kyle Gallner (SMILE), der mit dem Verschwimmen von Realität und Wahnsinn immer mehr in sich zusammenfällt und Emmet als völlig orientierungslosen, gebrochenen Mann den nötigen Tiefgang gewährt.
Fazit
Die frühkindliche Prägung als übernatürliche Kraft, die auch den Tod überdauert. In MOTHER, MAY I? wird die augenscheinlich gesunde Beziehung eines verliebten Pärchens zum surrealen Psychoduell. Die Konfrontation mit der traumatischen, von mütterlicher Ablehnung begleiteten Vergangenheit erweist sich für einen jungen Mann als Türöffner eines paranormalen Albtraums, als sich seine Verlobte mehr und mehr in seine verstorbene Mutter zu verwandeln scheint. Statt auf eingestaubte Gimmicks aus der Mottenkiste des Bessenheitshorrors zurückzugreifen, verlässt sich Laurence Vannicelli in seinem dialoglastigen (Beinahe-)Zweipersonenstück lieber auf die sich zuspitzende Beziehungsdynamik seiner konfrontativen Protagonist*innen. Das mag bisweilen etwas schwerfällig sein, findet aber spätestens in der zweiten Hälfte seine Mitte.
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Originaltitel | Mother, May I? |
Kinostart | 21.7.2023 |
Länge: | 99 minuten |
Produktionsland | United States of America |
Genre: | Horror | Thriller |
Regie | Laurence Vannicelli |
Executive Producer | Megan Loughman | Paul Bernon | Erin Donovan | Phil Keefe | Chris Long | Alec Whitney | Laurence Vannicelli | Chris M. Bonifay | Sam Slater | Raj Trivedi |
Producer | Daniel Brandt | Bogdan George Apetri | Holland Roden | Dane Eckerle | Jason R Ellis | Cole Eckerle | Daisy Long |
Kamera | Craig Harmer |
Musik | Marc Riordan |
Cast | Kyle Gallner, Holland Roden, Chris Mulkey, Daphne Gaines, Michael Giannone |
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