Das Western-Genre ist eines was scheinbar nicht tot zu kriegen ist. Zwar hatten die Western mit Revolverhelden wie John Wayne in den 1950ern und 1960ern ihre Hochphase, doch mittlerweile sind Filme aus dem Wilden Westen nicht mehr aus der Kinolandschaft wegzudenken. So hat Regie-Genie Quentin Tarantino mit DJANGO UNCHAINED und THE HATEFUL EIGHT gleich zwei Filme gedreht, die uns in die Zeit der Gesetzlosen entführt, bedient sich dabei allerdings eines moderneren Ansatzes. Mittlerweile sind die Zeiten vorbei, in denen ein weißer Revolverheld sich mit den scheinbar wilden Ureinwohnern Amerikas anlegt, in modernen Western werden andere Geschichten erzählt, Geschichten über Verlust, Trauer und tiefsitzende Traumata, die selbst heute noch die Gesellschaft der USA beeinflussen. In DJANGO UNCHAINED begleiten wir beispielsweise Jaime Foxx, wie er als titelgebender Held die Ketten der Sklaverei fallen lässt.
Auch Potsy Poncirolis Film OLD HENRY verfolgt einen modernen Ansatz. Der Regisseur war zwar schon an vielen Filmen als Produzent beteiligt, allerdings handelt es sich bei OLD HENRY erst um den zweiten Spielfilm, den er inszeniert hat. Für die Hauptrolle wurde dabei Tim Blake Nelson besetzt, der bereits in Filmen wie THE BALLAD OF BUSTER SCRUGGS oder O BROTHER, WHERE ART THOU? von Joel und Ethan Coen gezeigt hat, dass Western-Rollen genau die richtigen für ihn sind.
Darum geht es…
Der Farmer Henry McCarthy (Tim Blake Nelson) betreibt mit seinem fast erwachsenen Sohn Wyatt (Gavin Lewis) eine Schweine-Farm irgendwo abgeschieden in der weitläufigen Prärie. Vor einigen Jahren hat er seine Frau an die Tuberkulose verloren und nun scheint auch sein Sohn die Farm verlassen zu wollen, sobald er alt genug ist. Als Henry und Wyatt eines Tages ihrer Arbeit auf der Farm nachgehen, sehen sie ein gesatteltes, aber reiterloses Pferd am Horizont. Ihnen fällt auf, dass der Sattel blutverschmiert ist und so geht Henry der Sache nach.
Nicht weit von seinem Haus findet der Farmer einen Mann der kurz vor dem Tod steht, er ist bewusstlos und trägt einen Revolver, sowie eine Tasche voller Bargeld mit sich rum. Zuerst ist Henry zögerlich, beschließt dann aber doch den verwundeten Mann auf sein Pferd zu laden, und ihn wieder gesund zu pflegen, er ahnt dabei noch nicht, in welche Gefahr er sich und Wyatt bringen würde. Es soll nicht lange dauern, bis drei bedrohliche Gestalten auf der Farm auftauchen und nach dem Verletzten suchen. Sie stellen sich als Sheriff Ketchum (Stephen Dorff) und seine Deputys vor, doch Henry ist den Männern gegenüber skeptisch und verschweigt den Fremden in seinem Haus. Dies soll nicht das letzte Mal gewesen sein, dass Henry auf Ketchum trifft.
Rezension
OLD HENRY ist der Beweis dafür, dass Filme nicht immer ein riesiges Budget benötigen, sondern dass es manchmal reicht, wenn man eine interessante und stimmungsvolle Geschichte erzählt. Der Film bedient sich an nur wenigen Schauplätzen, es gibt das Haus von Henry und Wyatt, die Prärie und in Rückblenden wird noch ein weiterer Schauplatz präsentiert. Da es in der abgeschiedenen Steppe der USA auch nur wenige Menschen gibt, kommt der Film mit wenigen Schauspieler*innen und Statist*innen aus. Potsy Poncirolis konzentriert sich in OLD HENRY auf das wesentliche und holt dabei sehr viel aus der Geschichte heraus.
Was auf dem Papier erstmal klingt, wie ein „einfacher“ Western ist unter der Oberfläche noch viel mehr. Mit Henry McCarthy lernen wir eine Figur kennen, die scheinbar eine düstere Vergangenheit hatte, vor der er seinen Sohn schützen möchte. Das Leid was er in seiner Jugend erfahren musste, hat tiefe Narben auf der Psyche des Farmers hinterlassen. Auf den ersten Blick wirkt er wie ein schlechter Vater, der seinen Sohn klein hält, tatsächlich tut er alles dafür, dass Wyatt nicht dasselbe durchmachen muss, was ihm widerfahren ist. Henry ist dabei ein „harter Hund“ der nicht über seine Gefühle spricht, was voll und ganz zu der Figur passt, gerade wenn man im Laufe der Handlung immer mehr über die Hintergründe des Farmers erfährt. Neben Henry lernen wir seinen Sohn Wyatt kennen, ein stürmischer junger Mann, der nicht viel von seinem Vater hält, er will raus in die Welt und versteht nicht, warum Henry so vorsichtig mit ihm ist. Er ist im Umkreis von 50 Meilen der einzige junge Mann, der noch nie eine Waffe abgefeuert hat. So strahlen Revolver und Gewehre nun eine besondere Faszination auf den jungen Mann aus.
Wer ist Henry McCarthy?
Die größte Stärke des Films ist das Mysterium, dass um die einzelnen Charaktere kreiert wird. Was hat es mit OLD HENRY auf sich? Was hat er in der Vergangenheit gemacht, dass er so große Angst um seinen Sohn hat? Ist Ketchum wirklich ein Sheriff? Wer ist der Verletzte im Haus von Henry? Beim Zuschauen bleibt man dran und versucht diese Rätsel zu ergründen, dabei liefert der Film genug Hinweise, die es zu deuten gibt. An Ende wird man dann für das Rätseln belohnt, indem es zu einem großartigen Finale kommt, dass die Erwartungen, die im Laufe des Filmes aufgebaut werden, auf jeden Fall übertrifft. Leider ist der Weg bis zu diesem furiosen Finale teilweise etwas lang, der Film macht vielleicht eine Schleife zu viel, in der bereits bekannten Informationen nur nochmal wiederholt werden.
Zusätzlich sieht der Film sehr gut aus und klingt auch sehr gut. Durch den subtilen Einsatz von Sounds und Songs wird schon direkt zu Beginn eine sehr intensive Stimmung erzeugt. Wir wissen, dass eine finstere Bedrohung auf unsere Hauptfiguren zukommt. Auch auf optischer Ebene wird sehr viel aus den geringen Mitteln herausgeholt, es fehlen allerdings die beeindruckenden Landschaftsaufnahmen, die andere moderne Western auszeichnen, diese sehen zum einen immer schön aus, vermitteln uns Zuschauer*innen aber auch ein Gefühl der Weite und Einsamkeit, die auch zu OLD HENRY gepasst hätten. Das Szenario fühlt sich deswegen manchmal etwas enger an und die Welt wirkt sehr klein.
Fazit
Auch wenn OLD HENRY nicht perfekt ist, handelt es sich doch um einen überraschend guten Western mit einem großartigen Finale. Der Film ist wie seine Hauptfigur, er ist rau und auf den ersten Blick nicht durchschaubar, stattdessen wirkt er zu Beginn durchschnittlich, sobald man diese Fassade erstmal durchblickt, bekommt man ein spannendes Charakter-Drama mit einem sehr guten Tim Blake Nelson in der Hauptrolle. Zwar schafft es Regisseur Potsy Poncirolis nicht an Filme wie THE HATEFUL EIGHT heranzukommen, trotzdem erzeugt der Film einen Sog, der nicht mehr loslässt
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Der Farmer Henry McCarthy (Tim Blake Nelson) lebt ein zurückgezogenes Leben mit seinem Sohn Wyatt (Gavin Lewis) und den vielen Schweinen. Eines Tages findet Henry einen verletzten Reiter in der Prärie, er ist bewusstlos, bewaffnet und trägt ein großes Bündel Geld bei sich. Henry ignoriert seine Instinkte und beschließt dem Mann zu helfen. Er ahnt nicht, in was für eine Gefahr er sich und Wyatt bringen soll.
Bei OLD HENRY handelt es sich nicht um den klassischen Western, auch wenn es im ersten Moment so klingt, der Film ist unter der Oberfläche ein tiefgreifendes Charakterdrama, in dem es um Verlust, Trauer und Traumata geht. Henry will seinen Sohn um jeden Preis vor dem Schützen, was ihm in seiner Jungend widerfahren ist. Der Film ist dabei wie seine Hauptfigur, er wirkt auf den ersten Blick durchschnittlich, je besser man ihn kennen lernt, desto mehr versteht man, was ihn bewegt. So wirkt der Film am Anfang noch sehr rätselhaft, man weiß nicht wem man trauen kann, je weiter die Handlung voranschreitet, desto tiefer taucht man ein und wird am Ende mit einem großartigen Finale bedroht, dass man zu Beginn nicht erwarten würde. Tim Blake Nelson hat bereits mit Filmen wie THE BALLAD OF BUSTER SCRUGGS bewiesen, dass er perfekt für Western-Rollen ist und beweist auch hier wieder sein schauspielerisches Talent. Ein Schauspieler der leider viel zu wenig Aufmerksamkeit bekommt.
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Originaltitel | Old Henry |
DVD/Blu-ray – Release | 26.05.2022 |
Länge | ca. 99 Minuten |
Produktionsland | USA |
Genre | Action | Drama | Western |
Verleih | Koch Films |
FSK |
Regie | Potsy Ponciroli |
Drehbuch | Potsy Ponciroli |
Produzierende | Potsy Pinciroli | Tamera Brooks | Bob Burris | Chris Conner | Bob Emmer | Jordan Fields | Garson Foos | Michael Hagerty | Shannon Houchins | Margaret Miller | Tim Blake Nelson | Trevor O’Neil | Alex Siskin | Jamie R. Thompson | Eric Williams |
Musik | Jordan Lehning |
Kamera | John Matysiak |
Schnitt | Jamie Kirkpatrick |
Besetzung | Rolle |
Tim Blake Nelson | Henry |
Scott Haze | Curry |
Gavin Lewis | Wyatt |
Trace Adkins | Al |
Stephen Dorff | Ketchum |
Richard Speight Jr. | Dugan |
Max Arciniega | Stilwell |
Brad Carter | Branigan |
Kent Shelton | Cowardly Gunslinger |
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