FilmkritikFakten + Credits

So geschickt und zielgerichtet wie die kräftigen Faustschläge der gehörlosen Profiboxerin ist auch die Inszenierung ihrer unermüdlichen Geschichte. Angeregt von dem autobiografischen Roman einer der ersten Profiboxerinnen Japans bringt Shô Miyake (JU-ON: ORIGINS, AND YOUR BIRD CAN SING) ein hingebungsvolles und doch angenehm zurückhaltendes Sportler*innen-Drama auf die Leinwand. In SMALL, SLOW BUT STEADY vereint er Erfahrungen und Inspirationen aus dem Dokumentargenre mit erzählerischen Schlagtakten eines Boxerfilms und kann durch eine menschliche und einfühlsame Betrachtungsweise selbst ein sportlich desinteressiertes Publikum abholen.

Darum geht es…

Die seit ihrer Geburt hörgeschädigte Profiboxerin Keiko trainiert regelmäßig im kleinen Gym ihres Vereins. Sie ist willensstark und siegreich, zumindest wird sie von ihrer Familie und Kolleg*innen als solches wahrgenommen. Doch insgeheim plagen Keiko Zweifel und Ängste, welche sie nur unvollständig kommunizieren kann. Als sich der gesundheitliche Zustand des alternden Klubpräsidenten verschlechtert und er zunehmend das Augenlicht verliert, steht Keikos Rückzugs- und Trainingsort plötzlich vor der Schließung. Und sie selbst vor großen Herausforderungen …

Rezension

Gedreht auf 16 mm schwebt der diesjährige Encounter-Beitrag ästhetisch zwischen gegenwärtiger, robuster Realität, warmen 60er und 70er Jahre Cholerid und märchenhaften Zügen. Dass er sich weder einem reinen Drama, einem beherzten Nostalgietrip noch eindeutig einer wundersamen Underdog-Geschichte zuordnen lässt, bewahrt den Film davor, in pathetische Stereotype zu verfallen. Der Kampfsport ist elementar, überschattet jedoch nie die Einstellungen und Befindlichkeiten der Charaktere, die ihn ausüben und für ihn leben. Dank jenen gewinnt er überhaupt erst an Bedeutung, selbst für diejenigen, die dem Boxen für gewöhnlich nur mit Argwohn gegenüberstehen. Allen voran verleiht Yukino Kishii ihrer beeinträchtigen Hauptfigur mit subtilen Gesichtszügen und präzisen Blicken eine fesselnde und kraftvolle Ausstrahlung.

Small, Slow But Steady

Small, Slow But Steady ©2022 Keiko Me Wo Sumasete Production Committee & COMME DES CINEMAS

Ähnlich wie die japanische Oscarhoffnung und neueste Murakami-Verfilmung DRIVE MY CAR zieht auch SMALL, SLOW BUT STEADY Kraft aus der Ruhe in seiner Inszenierung und den besonders stillen Momenten. Dialogszenen zwischen der Hauptperson und Mitakteur*innen werden von schlichten Texttafeln begleitet oder behalten mittels gekonnter oder improvisierter Mimiken und Gestiken angenehme Natürlichkeit. Die akribische Arbeit und Vorbereitung im Vorfeld der Produktion hat sich gelohnt: Yukino Kishii vereinnahmt den Großteil des Films, fusioniert förmlich mit dem Charakter Keiko Ogasawara und durchspielt eine dichtes emotionales Spektrum im Spannungsverhältnis von ausdauerndem Kampfgeist und innerster Unsicherheit. Beinah im Schatten dieser Präsenz stehen ihr unter anderem die von Tomokazu und Masaki Miura gespielten Charaktere zur Seite, ebenso glaubhaft, wenngleich weniger ausgeleuchtet.

Die Boxkämpfe sind donnernd und körperlich schweißtreibend eingefangen. Jeder Schlag verdeutlicht die immense Bedeutung des Tons für den Film ebenso eindringlich wie die stummen Augenblicke. Hart in der Ausführung des Kampfes und einfühlsam in der Erkundung seiner Hauptfiguren zieht Shô Miyake nicht nur Parallelen und Verbindungen zwischen den einzelnen Handlungssträngen, sondern versucht, deren Schicksale und Überzeugungen facettenreich zu ergreifen. Der Verzicht auf große ausschweifende Turniere und eine klassische „from zero to hero“ – Dramaturgie ist erfrischend und hält den Film wacker zwischen den vielen Boxer*innen-Dramen der vergangenen Jahre.

Bewertung Michel RieckFazit

SMALL, SLOW BUT STEADY birgt mehr Charakterstudie als tatsächlichen Sportfilm und hebt sich allein dadurch von etlichen seiner kampfwütigen Genrevertretern ab. Eine herausragende Hauptdarstellerin trifft auf stilsichere Inszenierung zwischen Boxkampf-Drama und Schicksalsmärchen und schlagkräftige wie dynamische Performances auf behutsame und leise Charaktermomente.

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Originaltitel Keiko, me wo sumasete
Berlinale – Release 12.02.2022
Berlinale – Sektion Encounters
Länge ca. 99 Minuten
Produktionsland Japan | Frankreich
Genre Drama | Sport
Verleih unbekannt
FSK unbekannt

Regie Shô Miyake
Drehbuch Shô Miyake | Masaaki Sakai

Besetzung Rolle
Yukino Kishii Keiko Ogasawara
Tomokazu Miura
Masaki Miura
Shinichirô Matsuura Shintaro Matsumoto
Hiroko Nakajima Kiyomi Ogawa
Himi Satô Seiji Ogawa
Nobuko Sendô Chiharu Sasaki

 

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