Review Kurzkritik Fakten + Credits


Felix Lobrecht ist mittlerweile einer der bekanntesten Comedians in Deutschland. Er begann seine Karriere mit etlichen Teilnahmen bei Poetry Slams und wechselte später in die Stand-up Comedy. Seit 2017 moderiert er gemeinsam mit Tommi Schmitt den Podcast „Gemischtes Hack“, in dem die beiden Komiker mit humorvollen Alltagsbeobachtungen ihren Zuhörer*innen wöchentlich ein Lächeln aufs Gesicht zaubern. Ebenfalls im Jahr 2017 hat Lobrecht den Roman SONNE UND BETON veröffentlicht, in dem er Geschichten aus Berlin Neukölln erzählt, die lose an seine eigene Kindheit angelehnt sind. Denn Lobrecht war nicht immer der Star, der er heute ist. Er ist im Berlin-Neuköllner Ortsteil Gropiusstadt aufgewachsen. Seine Mutter hat der Komiker im Alter von 5 Jahren an den Krebs verloren und so wuchs er gemeinsam mit seinen beiden Geschwistern bei einem alleinerziehenden Vater auf.

Sonne und Beton Filmstill

Sonne und Beton ©2023 Constantin Film

In Lobrecht hat stets ein hohes Potenzial gesteckt, doch manchmal lassen es die äußeren Umstände eben nicht zu, dass man ein geordnetes Leben führt. So besuchte der Komiker für zwei Jahre das Gymnasium, bis er wegen „auffälligen Verhaltens“ der Schule verwiesen wurde und auf die Gesamtschule wechselte. Gropiusstadt war für den Jungen Lobrecht ein eigener Mikrokosmos, eine Welt voller Gewalt und Schmerz, aber auch Freundschaft und Neugierde, so beschreibt es der Autor jedenfalls in SONNE UND BETON. Diese authentische Vorlage hat sich nun der Filmemacher David Wnendt genommen, um die Geschichte auf Zelluloid zu bannen. Wnendt hat sich einen Namen mit Filmen wie FEUCHTGEBIETE, oder ER IST WIEDER DA gemacht, sein neuster Film erinnert aber wohl am meisten an KRIEGERIN, eine Milieustudie über die furchtbare Welt der Neonazis. Auch in SONNE UND BETON gewährt der Filmemacher uns einen Einblick in eine sehr nahe und dennoch fremde Welt.

Darum geht es…

Berlin Neukölln, Ortsteil Gropiusstadt. Wir befinden uns Anfang der 2000er. Lukas (Levy Rico Arcos) lebt mit seinem kleinen Bruder und seinem Vater Matthias (Jörg Hartmann) im Plattenbau. Der Junge hat schon als kleines Kind seine Mutter verloren, und findet es unerträglich, dass sein Vater nun mit einer neuen Frau anbandelt. Sein großer Bruder Marco (Luvre47) ist bereits ausgezogen und hält sich als Kleinkrimineller über Wasser. Für Lukas ist Marco ein Held, er lässt sich von niemandem sagen, was er zu tun hat und lebt nach seinen eigenen Regeln. Als Lukas eines Tages seinen Schülerausweis vergisst weiß er noch nicht, dass auch er bald zur Kriminalität gezwungen werden wird. Da es in der Schule schon häufig zu Schlägereien kam, kommen die Schüler*innen nur mit ihrem Schülerausweis ins Gebäude, wer diesen vergisst, wird von zwei Sicherheitsleuten verjagt. Da Lukas nicht in die Schule kommt, beschließt er einfach zu Schwänzen, und kontaktiert seinen besten Freund Gino (Rafael Klein-Hessling), der wiederum seinem Kumpel Julius (Vincent Wiemer) einlädt.

Die drei Jungs wollen sich im Park ein bisschen Gras kaufen und einen entspannten Tag verbringen. Sie kürzen ihre Route ab und geraten an die falsche Gruppe Dealer, die Lukas prompt das Gesicht blutig schlagen. Nachdem die Jungs bei ihrem eigentlichen Ziel ankommen und von ihrer Auseinandersetzung erzählen, finden sie sich in einer Schlägerei zweier Verfeindeter Banden wieder. Es kommt aber noch schlimmer, die eine Bande macht Lukas für die Schlägerei verantwortlich und wollen 500 Euro von ihm erpressen, er hat bis zum nächsten Tag Zeit. So entspinnt sich ein Wettlauf gegen die Zeit. Niemand im Umfeld von Lukas hat so eine Menge Geld. Gemeinsam mit seinen freunden heckt er einen Plan aus, um die Erpresser zu bezahlen.

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Rezension

Ich will ganz ehrlich sein, ich hatte vor SONNE UND BETON keine großen Berührungspunkte mit Felix Lobrecht, oder mit seiner Welt. Zwar hat vermutlich jeder schon mal Gruppen von vergessenen Jugendlichen gesehen, die kaum halt aus dem Elternhaus bekommen, bzw. bekommen können. Umso größer war die Überraschung, mit welcher Wucht man von David Wnendts neuestem Film getroffen wird. Ähnlich wie bei KRIEGERIN gibt uns der Regisseur einen wertfreien Einblick in eine Welt, die den meisten vermutlich verschlossen bleibt. Durch den Roman von Felix Lobrecht, der seine eigenen Erfahrungen schildert und nun auch am Drehbuch beteiligt war, fühlt sich der Film greifbar an. Wir begleiten nicht nur Figuren, sondern echte Menschen, die uns täglich auf der Straße begegnen könnten. Jugendliche, die ihre Grenzen austesten. Resignierte Lehrer. Überforderte Eltern. Der Film präsentiert uns einen Ausschnitt dem echten Leben. Damit wir als Zuschauer*innen interessiert Folgen, wurde natürlich ein Spannungsbogen integriert, die Elemente, mit denen die Handlung vorangetrieben wird, sind allerdings so organisch ins Gesamtbild eingewoben, dass es kaum auffällt.

Sonne und Beton Filmstill

Sonne und Beton ©2023 Constantin Film

SONNE UND BETON lebt, wie sein Milieu, von der Schonungslosigkeit. Direkt zu Beginn des Films bekommen wir zu sehen, wie Lukas von einem Dealer verprügelt wird. Dabei hält die Kamera drauf. Wnendt präsentiert uns mit dieser Drastik die Selbstverständlichkeit der Brutalität in der Welt von Lukas und seinen Freunden. Wenn man sich in die Ecke gedrängt fühlt, flieht man nicht, man schlägt zu. „Der Klügere tritt nach“, so hat es Lukas von seinem Bruder gelernt. Der Film zeigt uns allerdings nicht nur die Gewalt zwischen den Jugendlichen, sondern beleuchtet auch die Wurzel des Problems. Wir sehen Menschen am Rande der Gesellschaft, die tiefe Krisen durchlebt haben, so haben die Eltern der Freunde alle ihre eigenen Probleme. Lukas Vater findet keine Arbeit und muss drei Söhne verpflegen. Julius ist mit seinem drogensüchtigen Bruder von zuhause abgehauen. Ginos Vater ist gewalttätiger Alkoholiker. Durch diese Hintergründe lernen wir die Jungs zu verstehen. Auch wenn sie uns nicht als sonderlich sympathisch präsentiert werden, hoffen wir doch, dass Sie ihren Weg gehen und einen Ausweg finden.

Aufgehende Sterne am Schauspielhimmel

Der größte Glücksgriff für Lobrecht und Wnendt sind vermutlich die vier Hauptdarsteller in SONNE UND BETON. Levy Rico Arcos, Vincent Wiemer, Rafael Klein-Hessling und Aaron Maldonando Morales, liefern alle eine großartige Performance ab. Bei allen vieren handelt es sich um Newcomer, die mit ihren Rollen in diesem Film einen Grundstein für große Schauspielkarrieren gelegt haben. Bei allen Vieren hat man den Eindruck, als würde man eine Gruppe Freunde bei ihrem Alltag und ihren Problemen beobachten. Sie fügen sich wie vier Puzzlestücke in ein sehr stimmiges Gesamtkonzept ein. Sie sprechen, wie Jugendliche sprechen, versuchen ihre pubertären Unsicherheiten mit Macho-Gehabe zu überspielen und verhalten sich sehr menschlich. Neben den vier Hauptdarstellern, wurde drauf geachtet Darsteller*innen zu besetzen, die aus der entsprechenden Subkultur stammen. Wenn man sich die Besetzungsliste durchliest, fällt schnell auf, dass Namen wie B-Tight, Luvre47 oder Lucio101 auftauchen, Rapper, die sich in Berlin hochgekämpft haben und den Weg von Lukas und seinen Freunden kennen.

Sonne und Beton Filmstill

Sonne und Beton ©2023 Constantin Film

Obwohl einen der Film in vielen Momenten sehr hart trifft, könnte er in manchen Momenten noch einen Schritt weiter gehen. SONNE UND BETON zeigt uns einige sehr dramatische Szenen, die noch nicht das volle Potenzial ausschöpfen. Gegen Ende des Films trifft eine der Figuren eine lebensverändernde Entscheidung, die dafür sorgt, dass sich einem der Magen zusammenzieht, diese Situation löst sich dann allerdings final in Wohlgefallen auf. Wären Lobrecht und Wnendt etwas Konsequenter gewesen, hätte der Film noch mehr Kraft. Letztendlich kann man dies aber verzeihen, da hier vermutlich das Buch zitiert wurde und Lobrecht wahrscheinlich authentisch und nicht reißerisch erzählen wollte. Eine Schwäche, die etwas mehr ins Gewicht fällt, ist das Auflösen von traurigen Szenen durch Humor. Immer wieder kommt es vor, dass dramatische Momente zu schnell mit Witzen gebrochen werden. Es hätte SONNE UND BETON gut gestanden, wenn diese Szenen etwas mehr Zeit zum Wirken gehabt hätten.

Sonne und Beton Filmstill

Sonne und Beton ©2023 Constantin Film

Ein authentischer Blick in die Vergangenheit

Das letzte bisschen Authentizität erhält SONNE UND BETON durch seine komplette handwerkliche Umsetzung. Erstmal ist der Film großartig gefilmt. Kamerafrau Jieun Yi hat hier eine Welt eingefangen, die man mit allen Sinnen spüren kann. Durch die warme Farbgebung spüren wir die sommerliche Hitze zwischen den Plattenbauten. Die Kamera ist dabei häufig sehr nah am Geschehen, sodass wir uns wie ein weiteres Mitglied der Freundesgruppe fühlen. Zusätzlich wurde sehr darauf geachtet, dass die Ausstattung der Zeit entspricht. Wir sehen 20 Jahre alte Nokia Handys, grüne Polizeiautos und die Modesünden der frühen 2000er, alles passt. Am meisten fällt allerdings der Soundtrack auf, der uns mit treibenden Hip-Hop-Beats durch Gropiusstadt peitscht. Wir hören die Künstler von Aggro-Berlin, wie beispielsweise Sido am Anfang seiner Karriere. Die Musik spielt dabei eine große Rolle. Sie ist ein Teil der Identität der Jungs.

Fazit

Man kann ohne weiteres sagen, dass es sich bei SONNE UND BETON um eine sehr positive Überraschung handelt. Ein Film der gefühlt aus dem Nichts kommt, einen Schlag in die Magengrube verpasst und uns benommen zurücklässt. David Wnendt und Felix Lobrecht haben eine aufrüttelnde Geschichte geschaffen, die man sich nicht entgehen lassen sollte. Wir bekommen einen Einblick in die Parallelgesellschaft der Abgehängten. Dabei gibt uns der Film nicht nur einen Einblick, sondern schafft es, dass wir Empathie für, auf den ersten Blick unsympathische, Figuren empfinden. SONNE UND BETON ist einer der authentischsten Filme über das Leben im Plattenbau, den man sehen kann. Geht ins Kino und lasst euch diesen großartigen Streifen nicht entgehen.

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