Ein Bayou ist eine landläufige Bezeichnung für ein stilles oder sehr langsam fließendes Gewässer. Hierzulande findet man diese eher selten, dennoch kennen wir alle ein solches bestens aus Film und Fernsehen. Der Mississippi ist bekannt dafür, eher wie ein See als ein Fluss zu wirken. Aus eben jener Region stammt auch dieser Begriff, der wohl aus dem indianischen stammt. Zuletzt wurde im Film A HOUSE ON THE BAYOU auf diese Ortseingrenzung Bezug genommen, und auch im neuen Film von Justin Chon scheint man sich damit vor allem geographisch orientieren zu wollen. Der 40-Jährige ist vor allem durch seine Rolle als Eric in den TWILIGHT-Filmen bekannt geworden und hat in den 10er Jahren damit angefangen, selbst Filme zu entwickeln. Besonders GOOK, in welchem er nicht nur Regie führte, sondern auch eine der wesentlichen Rollen spielte, sorgte für internationales Aufsehen, nachdem Chon beim Sundance Film Festival als „Best of Next!“ ausgezeichnet wurde.
In BLUE BAYOU spielt das Regietalent selbst die Hauptrolle und konnte als Deuteragonistin Alicia Vikander gewinnen, um die es zuletzt etwas ruhig geworden ist. Ihren letzten nennenswerten Auftritt hatte sie in THE GREEN KNIGHT, worin sie dennoch eher kurz zu sehen ist. Aktuell arbeitet sie allerdings schon an weiteren Projekten und soll zudem auch wieder als Lara Croft im zweiten Teil von TOMB RAIDER zu sehen sein. Besonders erfreulich ist, dass wir als Gegenpart zu Justin Chons Rolle Mark O’Brien zu sehen bekommen, der häufig eher in kleinen, aber sehr feinen Nebenrollen auftaucht wie als Jeremiah in HOW IT ENDS, als Carter Mitchum in MARRIAGE STORY oder Captain Marks in ARRIVAL.
Darum geht es…
Antonio ist mit seinem Leben eigentlich rundum zufrieden. Natürlich würde ihm etwas mehr Geld den Alltag erleichtern, doch zusammen mit seiner Partnerin Kathy, die er über alles liebt, sowie seiner Adoptivtochter Jessie hat sich der gebürtige Koreaner ein traumhaftes Umfeld aufgebaut und es fehlt ihm an nichts. Doch ein einziger unaufmerksamer Moment soll all dies ändern. Eine Auseinandersetzung mit dem leiblichen Vater von Jessie führt dazu, dass Antonio festgenommen wird, was eine tragische Kette von Ereignissen in Gang bringt. Es wird festgestellt, dass der Familienvater kein offizieller Staatsbürger der USA ist, und angesichts einer solchen Auseinandersetzung wird in Frage gestellt, ob er als Bürger weiter geduldet werden kann oder in das ihm völlig fremde Korea zurückmuss. Für die gesamte Familie bricht eine Welt zusammen.
Rezension
BLUE BAYOU nimmt sich einer Thematik an, die eine tragische Gesetzeslücke darstellt und daher vielen Menschen jährlich Probleme bereitet. Während es in Deutschland seit Beginn des Jahres 1977 vollkommen üblich ist, dass eine Adoption eines Kindes mit anderer Staatsbürgerschaft durch ein deutsches Elternteil dazu führt, dass das Kind ebenfalls die deutsche Staatsbürgerschaft erhält, ist die Sachlage in den USA etwas komplizierter. Hier regelt der CCA (Child Citizenship Act) von 2000, dass Kinder unter solchen Bedingungen es leichter haben, die US-Staatsbürgerschaft zu erlangen, diese aber dennoch durch eine entsprechende Adoption nicht automatisch vergeben wird. Sollte zudem das 18. Lebensjahr überschritten wurden sein, so ist eine Einbürgerung nicht mehr unter vereinfachten Bedingungen möglich.[1] Seit 1999 wurden rund 271.000 Kinder aus dem Ausland von US-Bürger*innen adoptiert, über die Adoptionen von Nicht-US-Bürger*innen sind allerdings keine Zahlen auffindbar.[2]
Ähnlich wie der in Kürze erscheinende COME ON, COME ON, ist BLUE BAYOU ein sanfter und liebevoller Film, der vor allem durch seine Atmosphäre punkten kann und von der Herzlichkeit zwischen den Figuren lebt. Er kommt regelrecht als Feelgood Movie daher und bereitet uns in der Anfangsphase eine wirklich angenehme Zeit. In kürzester Zeit entwickeln sich Sympathien für die engagierten und großherzigen Elternfiguren Antonio und Kathy LeBlanc. Besonders ersterer markiert den absoluten Traumvater dadurch, dass er stets interessiert und bemüht, risikofreudig und trotzdem vorsichtig ist und der kleinen Jessie immer ein Lächeln mit einem charmanten kleinen Witz entgegenwirft. Es ist einfach ein traumhaftes Familienverhältnis, welches uns hier auf Basis von Ehrlichkeit, Vertrauen, Zuneigung und gegenseitiger Sicherheit offeriert wird, was natürlich auch voll und ganz im Sinne des Regisseurs stand, um den kommenden Entwicklungen mehr Tiefe und Ausdrucksstärke zu verleihen.
Von Rassismus und tiefgründiger Familienliebe
Wie schon in GOOK setzt sich Chon mit Problematiken auseinander, mit denen Immigranten und PoC besonders in den Südstaaten der USA zu kämpfen haben. Dabei orientiert er sich nicht an einem speziellen Fall und versucht diesen nachzuempfinden, sondern entwickelte die Story auf Basis von mehreren Nachrichtenartikeln, die vor allem im Zuge der Abschiebung mehrerer Südkoreaner auftauchten. Da er selbst aus einer immigrierten südkoreanischen Familie stammt, weckte dieses Thema natürlich besondere Aufmerksamkeit bei ihm. Er schafft es hervorragend, dieses Drama in Szene zu setzen und damit eine ähnliche emotionale Tiefe zu erzeugen, wie wir sie in QUEEN & SLIM oder IF BEALE STREET COULD TALK erlebt haben. Auch wenn es sich dieses Mal nicht direkt um eine rassistisch begründete Geschichte handelt, so fußt doch das Grundprinzip auf einer solchen. Letztlich wird jedoch eher eine Systemkritik in den Mittelpunkt gestellt, als eine Rassismus Debatte eröffnet.
Zum Schauspiel des Ensembles gibt es nicht viel zu sagen, denn sie alle waren leidenschaftlich bei der Sache und präsentierten sich in ihrem besten Licht. Auch die Harmonie der beiden Hauptfiguren funktionierte wunderbar, auch wenn auch Alicia Vikander insgesamt etwas fehl am Platz wirkte. Viel interessanter ist jedoch ein Blick auf die Bildgestaltung oder viel mehr noch den Einsatz der Kamera. BLUE BAYOU ist keine bildlich auf Hochglanz polierte Familiengeschichte sondern, sondern wird uns mit einem recht krisseligen Bild gezeigt, welches wir mittlerweile nur noch selten gewohnt sind. Dennoch scheint eben jener Stil deutlich zuzunehmen, denn auch der bald erscheinende RED ROCKET macht Gebrauch von dieser optischen Art. Vernachlässigbar, aber trotzdem erwähnenswert ist, dass leider nicht immer ganz sauber gearbeitet wurde, und so fällt aufmerksamen Zuschauenden auf, dass am unteren Bildrand gelegentlich etwas Schmutz auf der Linse gewesen sein muss, da dort Schatten entstehen, die wohl nicht sein sollten.
Kreative Lücken
Gelegentlich scheinen Chon jedoch die Ideen für sein Melodram ausgegangen zu sein, und gerade die entscheidenden Szenen wirken teilweise etwas unglücklich erwartbar inszeniert. So ist der Konflikt zwischen dem Protagonisten und der Polizei schon frühzeitig erwartbar und wirkt sehr erzwungen, während das Finale voll und ganz auf Affektivität setzt und uns zwar die Tränen in die Augen treibt, diese aber auch gleichzeitig genervt anfangen zu rollen, denn es wäre durchaus möglich gewesen, diesen Part ebenso emotionsgeladen zu gestalten und trotzdem eleganter auslaufen zu lassen. Um abschließend noch einmal auf den Titel zurückzukommen: es wird leider nur schwer ersichtlich, welche Bedeutung sich hinter diesem verstecken soll. Womöglich soll dies nur ein Verweis darauf sein, dass die Handlung im Süden der USA im Mississippi-Delta sich zuträgt, es könnte allerdings auch ein Verweis auf die Atmosphäre und Stimmung des Werks sein. Abschließend ist eine klare Interpretation hier nicht möglich.
Fazit
Dennoch war ich unterm Strich wirklich sehr begeistert von Chons neustem Streich, bei dem er mir wirklich viele Empfindungen transportiert hat, eine wichtige und erzählenswerte Story aufgreift und das ganze mit einem hervorragenden Cast abrundet, der absolut das abliefert, was er auch verspricht. Trotz eher ruhigem Pacings in BLUE BAYOU ist Langeweile hier fehl am Platz, und Kameramann Ante Cheng, der schon zuvor mit Chon zusammenarbeitete, beweist bis auf kleine Flüchtigkeitsfehler ein hervorragendes Händchen für lebhafte und sehenswerte Bilder. Ich bin auf jeden Fall schon jetzt sehr gespannt, was Justin Chon und als nächstes präsentieren wird und gehe davon aus, dass dieser Filmemacher uns noch sehr oft im Kino begegnen wird.
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Quellen
Immer wieder gibt es Memes, die auf die absurden Gesetzt der US-amerikanischen Staaten verweisen, die teilweise noch heute gültig sind. Diese sind stets ironischer Natur und haben den Zweck uns zum Schmunzeln zu bringen. Was jedoch oftmals untergeht, sind tragische Realitäten, die mit lückenhaften oder veralteten Gesetzgebungen in Verbindung stehen. Regisseur Justin Chon, der gleichzeitig auch als Hauptfigur in seinem neuen Film auftritt, nimmt sich einem dieser Probleme an und führt uns vor Augen welche Dramatik hinter den ungenauen Adoptionsregelungen der USA stehen kann. Dies verpackt er in einer herzergreifenden Geschichte, die vor allem davon lebt, dass wir eine sympathische Familie kennen lernen, die auf Basis einer Rechtslücke auseinandergerissen werden soll und welche nun für die einzig logische Sache kämpft. Chon schafft es dabei hervorragend seine Figuren zu präsentieren und uns nahe zu legen und auch wenn Alicia Vikander teilweise etwas fehl am Platz wirkt, so stimmt doch die Harmonie.
Kritik am Rechtssystem und die Liebe für Film, tolle Bilder und tiefgründige Figuren finden gleichermaßen Platz und präsentieren uns einen Film, der nur in seinen beiden Höhepunkten etwas schwächelt. Ich mag solche Geschichten sehr und bin der Überzeugung, dass Justin Chon noch eine große Filmkarriere bevor stehen kann, daher möchte ich euch eine Sichtung sehr ans Herz legen.
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A bayou is a common name for a still or very slow moving body of water. In this country it is rather rare to find one, yet we all know one very well from movies and television. The Mississippi River is known to look more like a lake than a river. This term, which probably originates from the Indian language, also comes from that very region. Most recently, the film A HOUSE ON THE BAYOU referred to this localization, and Justin Chon’s new film also seems to use it primarily for geographical orientation. The 40-year-old is best known for his role as Eric in the TWILIGHT films and started developing films himself in the ’10s. GOOK in particular, in which he not only directed but also played one of the essential roles, caused an international sensation after Chon was named “Best of Next!” at the Sundance Film Festival.
In BLUE BAYOU, the talented director himself plays the lead role and was able to win Alicia Vikander as deuteragonist, around whom it has recently become somewhat quiet. Her last notable appearance was in THE GREEN KNIGHT, in which she nevertheless appeared rather briefly. Currently, however, she is already working on other projects and is also to be seen again as Lara Croft in the second part of TOMB RAIDER. It is particularly pleasing that we get to see Mark O’Brien as a counterpart to Justin Chon’s role, who often appears rather in small but very fine supporting roles like as Jeremiah in HOW IT ENDS, as Carter Mitchum in MARRIAGE STORY or Captain Marks in ARRIVAL.
Here’s the deal…
Antonio is actually completely satisfied with his life. Of course, a little more money would make his everyday life easier, but together with his partner Kathy, whom he loves more than anything, as well as his adopted daughter Jessie, the native Korean has built a dreamlike environment and lacks nothing. But a single inattentive moment is about to change all that. An altercation with Jessie’s biological father leads to Antonio being arrested, setting off a tragic chain of events. It is discovered that the father of the family is not an official citizen of the United States, and in the face of such a dispute, it is questioned whether he can continue to be tolerated as a citizen or must return to Korea, which is completely foreign to him. A world collapses for the entire family.
Review
BLUE BAYOU tackles a subject that is a tragic loophole in the law and therefore causes problems for many people every year. While it has been perfectly common in Germany since the beginning of 1977 for an adoption of a child with a different citizenship by a German parent to result in the child also receiving German citizenship, the situation in the USA is somewhat more complicated. Here, the CCA (Child Citizenship Act) of 2000 regulates that children under such conditions have an easier time obtaining U.S. citizenship, but this is nevertheless not automatically granted by a corresponding adoption. In addition, if the child is over the age of 18, naturalization is no longer possible under simplified conditions.[1] Since 1999, approximately 271,000 children from foreign countries have been adopted by U.S. citizens, but no figures can be found on adoptions by non-U.S. citizens.[2] The U.S. government has also made it easier for children to become U.S. citizens.
Similar to the forthcoming COME ON, COME ON, BLUE BAYOU is a gentle and affectionate film that scores high on atmosphere and thrives on the warmth between its characters. It really comes across as a feelgood movie and gives us a really pleasant time in the early stages. In no time at all, sympathies develop for the dedicated and big-hearted parent figures Antonio and Kathy LeBlanc. The former, in particular, marks the absolute dream dad by always being interested and concerned, risk-taking yet cautious, and always throwing a smile with a charming little joke at little Jessie. It is simply a dream family relationship that is offered to us here on the basis of honesty, trust, affection and mutual security, which of course was also fully in the director’s mind to give more depth and expressiveness to the coming developments.
Of racism and profound family love
As in GOOK, Chon deals with the problems faced by immigrants and PoC, especially in the southern states of the USA. In doing so, he doesn’t take a specific case and try to recreate it, but rather developed the story based on several news articles that surfaced, especially in the wake of the deportation of several South Koreans. Being from an immigrant South Korean family himself, this topic naturally caught his attention. He does an excellent job of staging this drama, creating an emotional depth similar to what we experienced in QUEEN & SLIM or IF BEALE STREET COULD TALK. Even though this time it is not directly a racially based story, the basic principle is based on one. Ultimately, however, the focus is on a systemic critique rather than opening a debate on racism.
There is not much to say about the acting of the ensemble, as they were all passionate about what they were doing and presented themselves in their best light. The harmony between the two main characters also worked wonderfully, even if Alicia Vikander also seemed a bit out of place overall. Much more interesting, however, is a look at the image design, or much more so the use of the camera. BLUE BAYOU is not a family story polished to a high gloss visually, but is shown to us with a rather cracked image, which we are now rarely used to. Nevertheless, just that style seems to increase significantly, because the soon to be released RED ROCKET also makes use of this visual style. Negligible, but still worth mentioning, is that unfortunately the work wasn’t always done quite cleanly, and so attentive viewers will notice that there must have occasionally been some dirt on the lens at the bottom of the image, as shadows appear there that probably shouldn’t be.
Creative Gaps
Occasionally, however, Chon seems to have run out of ideas for his melodrama, and the crucial scenes in particular sometimes seem a bit unhappily staged in an expected manner. For example, the conflict between the protagonist and the police is expected early on and seems very forced, while the finale relies entirely on affectivity and brings tears to our eyes, but at the same time they start to roll in annoyance, because it would have been quite possible to make this part just as emotionally charged and still let it end more elegantly. Finally, to come back to the title: unfortunately, it’s hard to see what meaning is hidden behind it. Possibly this is only a reference to the fact that the action takes place in the south of the USA in the Mississippi Delta, but it could also be a reference to the atmosphere and mood of the work. In conclusion, a clear interpretation is not possible here.
Conclusion
Still, the bottom line is that I was really very enthusiastic about Chon’s latest prank, in which he really transported a lot of sensations to me, picks up an important story worth telling, and rounds the whole thing off with an excellent cast that absolutely delivers what it also promises. Despite rather quiet pacing in BLUE BAYOU, boredom is out of place here, and cinematographer Ante Cheng, who has worked with Chon before, proves to have an excellent knack for vivid and watchable images, save for minor glitches. In any case, I am already very excited about what Justin Chon and will present next and assume that this filmmaker will encounter us very often in the cinema.
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Source
Originaltitel | Blue Bayou |
Kinostart | 10.03.2022 |
Länge | ca. 117 Minuten |
Produktionsland | USA | Kanada |
Genre | Drama |
Verleih | Universal Pictures |
FSK |
Regie | Justin Chon |
Drehbuch | Justin Chon |
Produzierende | Justin Chon | Alex Chi | Zev Foreman | Greta Fuentes | Poppy Hanks | Ali Jazayeri | Charles D. King | Nick Meyer | Alan Pao | Kim Roth | Eddie Rubin | Yira Vilaro | Clara Wu Tsai |
Musik | Roger Suen |
Kamera | Ante Cheng | Matthew Chuang |
Schnitt | Reynolds Barney |
Besetzung | Rolle |
Justin Chon | Antonio LeBlanc |
Alicia Vikander | Kathy LeBlanc |
Mark O’Brien | Ace |
Linh-Dan Pham | Parker Nguyen |
Sydney Kowalske | Jessie LeBlanc |
Vondie Curtis-Hall | Barry Boucher |
Emory Cohen | Denny |
Geraldine Singer | Dawn Landry |
Toby Vitrano | Merk |
Altonio Jackson | Quentin aka Q |
Truong Quang Tran | Quoc |
Ivy Vy Le | Nicole |
Sage Kim Gray | Antonios Mutter |
Renell Gibbs | Reggie |
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