Zum Heinrich-Vogeler-Jahr 2022, 150 Jahre nach dessen Geburts- und 80 Jahre nach dessen Sterbejahr, präsentiert sich das Schaffen des Universalkünstlers nicht nur in zahlreichen Ausstellungen und Retrosprektiven, sondern wurde auch in einem Film dokumentarisch aufgearbeitet. Marie Noëlle, die sich bereits in MARIE CURIE, LUDWIG II. und MOI, ALBRECHT DÜRER, historischen Persönlichkeiten widmete, stellt in ihrem neusten Dokumentarfilm die Schaffensjahre des gebürtigen Bremer Künstlers in den Vordergrund und ergänzt die Experteninterviews mit fiktiven Spielszenen aus Vogelers Leben.
Vom Symbolismus und Jugendstil und den Arbeiten als Buchgestalter und Buchillustrator bewegte sich dessen künstlerische Laufbahn nach dem ersten Weltkrieg hin zum Expressionismus, bevor er in den 1920er Jahren vom Kubismus und Futurismus beeinflusste Komplexbilder schuf. Besonderen Stellenwert nahm in seinem Leben außerdem das Wohn- und Atelierhaus Barkenhoff ein, dass sich über die Jahre vom Treffpunkt für politisch Gleichgesinnte, zur wirtschaftlich-handwerklichen Produktionsgemeinschaft und zum Kinderheim, später zur Gartenbau- und Siedlerschule entwickelte.[1] Zum Dreh- und Angelpunkt wird der Barkenhoff, in dem sich heute das Heinrich-Vogeler-Museum befindet, wird auch in Noëlles biografischer Verfilmung.
Darum geht es
Erzählt werden verschiedenste Schaffensphasen des deutschen Künstlers, der sich nach erfolgreicher, früher Künstlerphase Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts als Freiwilliger im Ersten Weltkrieg meldete. Desillusioniert vom Kriegsgeschehen kehrt er als anderer Mensch zurück und ergründet in den Folgejahren neue künstlerische und politische Pfade. Seine Lebensgeschichte umfasst dabei nicht nur eine Zeit großer gesellschaftlicher Veränderungen, sondern auch zahlreiche private Umbrüche …
Rezension
Nicht nur verflechten sich Spielszenen, welche Ausschnitte aus Vogeleres Leben nachempfinden wollen, mit Interviewpassagen verschiedenster Kulturschaffender und Wissenschaftler*innen ebenso verweben sich Vergangenheitsblicke mit künstlerischer Gegenwart. In jenen Momenten, in denen sich die dokumentarische Künstlerbiografie aus dem Schatten vieler ähnlich aufgebauter Dokumentationen traut, etwa wenn sie Zeitebenen miteinander zu verbinden versucht oder experimentelle Zwischentöne einstreut, ist HEINRICH VOGELER – AUS DEM LEBEN EINES TRÄUMERS durchaus fesselnd. Neben dem Voice-Over des Protagonisten (die Erzählstimme von Uwe Preuss) überwiegen jedoch vor allem die Interviewsequenzen und Einschätzungen von Expert*innen sowie gewöhnliche Dialogszenen, welche informativ, aber auch auch nur ausschnitthaft wirken.
Das Einmaleins der Künstlerbiografie
Der Wechsel zwischen Schauspielszenen, Archivaufnahmen und der Expertise diverser Fachleute erfolgt in hohen Tempo. Vertreter*innen verschiedenster Fachbereiche, unter anderem die Psychoanalytikerin Dr. Jeanette Fischer, Kunstschaffende wie Maler Norbert Bisky, Künstlerin Sophie Sainrapt oder Theaterwissenschaftler Günter Agde, Museumsleitende und Nachfahrin Daniela Platz ordnen die Person Heinrich Vogeler, verkörpert von Florian Lukas, aus breiter Perspektive ein und ergänzen die fiktiven Szenen kommentierend. Jene stellen beispielsweise Gespräche Vogelers nach, welche weniger die Wesenzüge des Künstlers begreifen, sondern Gesagtes und Erlebtes klar und deutlich zu illustrieren versuchen. Lebhaft wirken diese Szenen selten, in ihrer Verkürzung und dem Zusammenspiel mit den Interviews vergleichsweise holprig. Und obwohl Kindheit und Jugend Vogelers vollständig ausgeblendet werden, erweckt seine biografische Aufarbeitung nicht selten den Eindruck einer nüchternen Stationsarbeit.
Viel Zeit bringt HEINRICH VOGELER – AUS DEM LEBEN EINES TRÄUMERS für die Romanzen und Beziehungen des Künstlers auf, hinter deren Präsenz detaillierte bildgestalterische Analysen zurücktreten. Dabei liefern vor allem dessen Werke eine enorme Vielseitigkeit, die in knapp anderthalb Stunden nur in Ansätzen zum Ausdruck kommt. Noëlle und den anderen Kunstschaffenden geht es nicht nur um die Werke Vogelers, sondern um eine geflissentliche Verbindung seines künstlerischen, privaten und auch politischen Schaffens, welches in dieser Bandbreite wohl noch viele Stunden Material gegeben hätte. So bleiben viele der Expertisen seicht, Dramatisierungen erzwungen und die Person des Heinrich Vogelers trotz Informationsfülle oft unnahbar.
Regelrecht aufrüttelnd sind hingegen Szenen, die sich von einer festgesetzten biografischen Dramaturgie loszulösen versuchen: experimentelle, beinah albtraumhafte Sequenzen, welche durch interessante Lichtinstallationen (vor allem Vogelers Frau Martha (Anna-Maria Mühe) betreffend) oder andere kreative Einfälle heraufbeschworen werden. Um der ganzen Dokumentation eine eigene, eindringliche Gestalt zu verleihen, sind diese jedoch zu selten in Gebrauch.
Fazit
Faszinierend sind Heinrich Vogelers Schaffen und sein Wirken über die künstlerischen Werke hinaus allemal. Marie Noëlles HEINRICH VOGELER – AUS DEM LEBEN EINES TRÄUMERS gibt 150 Jahre nach dessen Geburt Möglichkeit, Einblicke ins Leben und Arbeiten eines vielseitigen Künstlers zu erlangen. Ihre Spielszenen und Interviewsequenzen verbindende Dokumentation ist dabei weniger eine Charakterstudie als ein filmischer Museumsbesuch, der viele Expert*innen zur Sprache kommen lässt. Zum (Wieder-)Entdecken eines Künstlers liefert der Film einige Ansatzpunkte und Appetizer, als biografische Dokumentation wagt er jedoch kaum etwas Neues oder Schlagkräftiges.
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Quelle
[1] Heinrich Vogeler Gesellschaft, https://www.heinrich-vogeler.de/?msclkid=e26ce835ceae11ecb10c254b188a6003, zuletzt abgerufen am 08.05.2022
Originaltitel | Heinrich Vogeler – Aus dem Leben eines Träumers |
Kinostart | 12.05.2022 |
Länge | ca. 94 Minuten |
Produktionsland | Deutschland |
Genre | Dokumentation |
Verleih | Farbfilm |
FSK |
Regie | Marie Noëlle |
Drehbuch | Marie Noëlle | Susanne Brahms |
Produzierende | Johanna Behre | Matthias Greving | Rosa Grünberg | Janina Sara Hennemann |
Musik | Andrej Melita | Nils Wrasse |
Kamera | Christoph Iwanow | Moritz Mössinger | Sabine Streckhardt |
Schnitt | Hans Horn |
Besetzung | Rolle |
Anna Maria Mühe | Martha |
Florian Lukas | Heinrich Vogeler |
Alice Dwyer | Sonja Marchlewska |
Johann von Bülow | Rainer Maria Rilke |
Uwe Preuss | Ludwig Roselius |
Naomi Achternbusch | Paula Modersohn-Becker |
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