Rezension
aus dem Programm der 75. Internationalen Filmfestspiele von Berlin
Von der Straße vor den Green-Screen: 2022 begann eine Gruppe Filmschaffender den Alltag und die Träume von Einwohner*innen der sudanesischen Hauptstadt Khartum zu porträtieren. Die Spaltung der erst kurz zuvor an die Macht gekommenen Militärregierung, änderte ihr Vorhaben drastisch. Mehr als zehn Millionen Menschen wurden durch den Krieg der Armee gegen die Milizen der Rapid Support Forces vertrieben, darunter die Filmschaffenden und ihre Protagonist*innen. In Sicherheit nahmen sie die Erzählung ihres Films wieder auf, der sich nunmehr nicht nur um die Träume, sondern auch um die Albträume einer Handvoll Menschen dreht.

Khartoum © Native Voice Films
Beides findet zu gleichen Teilen Platz in den vor dem Krieg in Khartum, aber vor allem in den vor einem riesigen Green-Screen gefilmten Bildern, die die Schicksale der unterschiedlichen Protagonist*innen zu einem vierfächrigen Dokumosaik zusammensetzen. Die der Straßenjungen Lokain und Wilson, die vom Müllsammeln leben und von schönen T-Shirts träumten, das Schicksal der ehrgeizigen und alleinerziehenden Teeverkäuferin Khadmallah, das des Widerstandskämpfers Jawad, der gegen die Militärregierung protestierte und jenes von Majdi, einem Beamten, der von seiner Familie getrennt wurde. Außerhalb Khartums verflechten sich ihre Schicksale zu aufwühlenden Einblicken, die lebensnahe, dokumentarische Beobachtungen mit rekonstruierten und imaginierten Sequenzen verknüpfen. Letztere werden von Bildcollagen und Computereffekte zum Leben erweckt, die eine ungewöhnliche Auseinandersetzung mit traumatischen Erfahrungen und persönlichen Zukunftsvorstellungen schaffen, ohne das Leid in der aktuell größten humanitären Krise weltweit für flache Emotionalisierungen zu instrumentalisieren.
You adults really messed it up
Episodenartig entstehen prägnante Psychodramen, in denen die Protagonist*innen Empfindungen, Träume und Schlüsselerinnerungen nachstellen. Im direkten Austausch mit den Regisseur*innen und dem familiären Zusammenspiel der Akteur*innen, die diverse Rollen in den Geschichten der anderen übernehmen, entstehen anstelle politischer Analysen in erster Linie persönlich-intime Abrisse. Perspektiven, die Gemeinsamkeiten wie die nostalgische Sehnsucht zeigen, mit der die Menschen von ihrem Leben vor dem Krieg erzählen, Perspektiven, die Unterschiede zwischen Generationen offenlegen, vor allem aber Tore aufstoßen, die die medialen Diskurse hierzulande häufig nicht einmal streifen.

Khartoum © Native Voice Films
Empathisch nähert sich der Film zudem den Jüngsten seiner Erzählung an, deren Schicksale Symbolcharakter für eine ganze Generation einzunehmen scheinen. In den persönlichen Schilderungen und Appellen verzichten die dokumentarischen Einsichten von Anas Saeed, Rawia Alhag, Ibrahim Snoopy, Timeea M Ahmed und Phil Cox auf sentimentale und sensationsfreudige Überzeichnungen, nicht aber darauf abseits der individuellen, grausamen, unvollständigen Erfahrungen etwas über den Sudan als Ganzes zu erzählen. Von Menschen in einnehmenden Close-ups. Von Resignation und Identitätssuche, von demokratischer Zuversicht und bestehender Hoffnung. Reitend auf dem Rücken einer riesigen Taube, oder dem eines stolzen Löwen.
Fazit
Tiefer als in die gegenwärtige Politik des Sudans taucht KHARTOUM in die Gemüter, Träume und Alpträume seiner Protagonist*innen ein, die den Beginn einer der größten humanitären Krisen unserer Zeit hautnah miterlebten. Green-Screen-Collagen und authentische Dokuschnipsel beleben das dynamische Dokument zwischen Realität und Imagination, in dem die authentischen Schilderungen und die nahbaren Porträts der Menschen jedes noch so künstliche Bild mit Leben füllen.
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Originaltitel | Khartoum |
Kinostart | 27.1.2025 |
Länge: | 78 minuten |
Produktionsland | Sudan |
Genre: | Dokumentarfilm |
Regie | Anas Saeed | Rawia Alhag | Ibrahim Snoopy Ahmad | Timeea Mohamed Ahmed | Phil Cox |
Executive Producer | Tom Rhodes | Anne Sundberg | Judy Kibinge | Susan Mbogo | Bryn Mooser | Laura Choi Raycroft | Justin Lacob |
Producer | Trevor Snapp | Frank Albers | Giovanna Stopponi | Talal Afifi |
Musik | James Preston |
Cast |
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