Rezension
Über zwei Jahrzehnte vergehen, ehe sich die einstigen Kindheitsfreunde aus Südkorea in New York wiedersehen und wieder in Person gegenüberstehen. Es ist ein vom Film sorgfältig vorbereitetes Wiedertreffen, welches die Beziehung der beiden authentisch dargestellten Figuren noch einmal gründlich beleuchten soll. Dem voraus gehen in Rückblenden zu den Kindheitstagen kurz vor der Auswanderung und einem zwölf Jahre zurückliegenden Videocall-Intermezzo eingeflochtene Charaktereinblicke, welche Regisseurin Celine Song auf feinsinnige Art und Weise weiterentwickelt. Durch die Perspektive Noras Ehemann Arthur erweitert, entwickelt sich ihr Aufeinandertreffen zu einer einfühlsamen Auseinandersetzung mit Vergangenheit und Gegenwart einer ebenso sensibel porträtierten Freundschaft.
Nebeneinander skizzieren sich die Beziehung von Nora und Arthur sowie die Unternehmungen der Kindheitsfreunde, ohne dass der Film Parallelen zwischen den grundverschiedenen Interaktionen erzwingt. Greta Lee eint die unterschiedlichen Facetten Noras in einer emotional dichten und selbstbewussten Performance, die komplexe Gefühle und ehrliche Figurenentscheidungen mit Nachdruck artikuliert. Sie und Hae Sung trennen mittlerweile nicht nur die jahrelange Separierung, sondern auch grundsätzliche Lebenseinstellungen. Die Nora von damals, in Südkorea noch unter dem Namen Young Na gelebt, gibt es nicht mehr, selbst ihre koreanische Herkunft, obwohl auf koreanisch träumend, mag die selbstbewusste Frau nicht mehr in sich erkennen, was auch die nahezu vollständige Ausblendung von Eltern und Schwester verdeutlicht. Eine Welt, die mit der Vergangenheit abgeschlossen, sich umorientiert und neu gefunden hat, trifft auf eine Welt, die die Vergangenheit am liebsten zurückholen würde. Mittendrin zwei Figuren, für die ein einfaches „Ich habe dich vermisst“ zwei verschiedene Bedeutungen hat.
Anders als in Tragikomödien oder Dramenbeiträgen, in der sich die Ausgangssituation wohl zum Liebesdreieck, Affären- oder Eifersuchtsdrama entwickeln würde, lässt PAST LIVES seine Figuren reflektieren und miteinander reden. Die respektvollen, niemals urteilenden Dialoge entziehen sich verbrauchten Handlungsverläufen vom kitschigen Wiederfinden der Jugendliebe und richten ihren Blick auf das Wesentliche und Ehrliche. Spätestens wenn das Dreiergespann aus Nora, Hae-Sung und dem von John Magaro (FIRST COW) gespielten Arthur unterwegs ist, verdichten sich die überschneidenden Gefühlslagen zu spannenden Charaktermomenten. Die an wahre Geschehnisse angelehnte und als Inspirationsquelle dienende Barszene mit Nora als Sprach- und Gefühlsmittlerin, ist ein durch das Aufeinanderprallen verschiedener Sprachen, Überzeugungen, Gefühlswelten und Unsicherheiten leiser, jedoch ungemein kraftvoller Gipfelpunkt des Wiedertreffens.
Nachdenklich und unaufdringlich erzählt PAST LIVES vom Leben, wie es sich entwickelt hat und wie es hätte anders sein können. Gedanken, die sich nicht nur in Dialogen, sondern auch in aussagekräftigen Aufnahmen und eingestreuten Reminiszenzen wiederfinden lassen. Klug, eingehend und den Geist der Zeit aufnehmend und verarbeitend baut sich all dies bis zur mit Stille erfüllten Schlussszene auf. Kein Abschiedsdialog hätte die Gefühls- und Beziehungsdimensionen besser ausdrücken können.
Fazit
Feinfühlig beobachtet PAST LIVES die verschiedenen Begegnungen der einprägsam dargestellten Kindheitsfreunde zwischen Wiedersehensfreude und der gegenwärtigen Lebensrealität. Ein empathisch mehrere Sichtweisen suchendes, in ruhigen Aufnahmen erzähltes und sich wirkungsvoll aufbauendes Spielfilmdebüt.
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