Review Fakten + Credits


Rezension

Robbenjagd mit Hammern, ein Wettbewerb im Buttern und ein ejakulierender Kaktus sind sicherlich nicht die ersten Gedanken, die einem in den Sinn kommen, wenn man sich das Biopic eines Politikers vorstellt und doch unmittelbarer Bestandteil Matthew Rankins THE TWENTIETH CENTURY über den ehemaligen und langjährigen kanadischen Premierminister William Lyon Mackenzie King, seinem expressionistisch ausgestatteten, mit grotesken Einfällen und biografischen Überzeichnungen bestückten Debütfilm. Als ganz so bizarr entpuppt sich sein zweiter Spielfilm nicht, wenngleich auch dieser seine ganz eigene Welt zusammenstellt: einen verschneiten Ort irgendwo zwischen Teheran und dem kanadischen Winnipeg, der abermals von skurrilen und eigensinnigen Figuren bewohnt wird.

vor eine großen grauen Wand steht eine Menschengruppe, die in der Entfernung winzig wirkt

Universal Language ©2025 Rapid Eye Movies

Zum Beispiel von Negin (Rojina Esmaeili) und Nazgol (Saba Vahedyousefi) zwei Grundschülerinnen, die einen im Eis eingefrorenen Geldschein finden; von einem Fremdenführer (Pirouz Nemati), der mit pinkfarbenen Ohrenschützern Tourist*innen zwischen den grauen Betonplatten der Stadt entlangführt; von einem frustrierten Französischlehrer, einem Mann (Matthew Rankin), der seinen Job bei der Regierung gekündigt hat und auf dem Weg ist, seine Mutter zu besuchen, und auch von einem Truthahn, der wie jede*r andere auch mit dem Bus fährt.

Wo ist das Haus meines Truthahns?

Matthew Rankin, der nicht nur Regisseur, sondern auch Teil des kleinen Darstellerensembles ist, folgt jeder seiner Figuren auf alltäglich wie absurd anmutende Abenteuern, zum Teil basierend auf Anekdoten und Träumen seines eigenes Lebens. Und wenn er einzelne Stränge nicht vergisst, so wie es hier und da für einen gewisse Zeit den Anschein erweckt, dann verflechten sich diese eigentümlichen Vorstellungen, er selbst bezeichnet sein Werk auch als „autobiografische Halluzinationen“, zu einem tragisch-komödiantischen Mosaik aus (vermeintlich) banalen Konflikten und schrulliger Groteske, Symmetrie und Asymmetrie, eigenem Kosmos und Hommage, Farsi und Französisch.

Universal Language ©2025 Rapid Eye Movies

Dessen Paten scheinen allen voran iranische aber auch andere bekannte Kunstschaffende zu sein: Die strengen Bildkompositionen wecken Assoziationen zum Universum in dem das GRAND BUDAPEST HOTEL existiert, der trockene, lakonische Humor Erinnerungen an die Filme von Roy Andersons (EINE TAUBE SITZ AUF EINEM ZWEIG UND DENKT ÜBER DAS LEBEN NACH) und die Geschichte der Kinder, die auf der Suche nach einer Möglichkeit, einen Geldschein aus dem Eis zu befreien, von einem zum anderen Ort geschickt werden, an die kleine, nüchtern erzählte Odyssee eines Schuljungen in Abbas Kiarostamis WO IST DAS HAUS MEINES FREUNDES?

Skurrilitätenkabinett im Schnee

„Haben hier auch bekannte Leute gewohnt?“, fragte eine Touristin den sensiblen Guide, der vorrangig die Orte abgeht, die ihm auch selbst etwas bedeuten. „Nein“, antwortet dieser und fügt schnell hinzu: „…aber viele unbekannte nette Menschen.“ Unbekannte nette Menschen, wobei nett sicherlich im Auge des Betrachters liegt, um die UNIVERSAL LANGUAGE unaufhörlich kreist und welche Herz und Seele des märchenhaft-melancholischen Streifens ausmachen. Denn unter der andauernden Schneedecke, die sich vielerorts geheimnisvoll über das surreale Fleckchen legt, leuchten simple Träume und Sehnsüchte seiner aufgeweckten, suchenden, tragischen, liebenswerten, grummeligen Figuren, die lernen, aufeinander zuzugehen, ohne sich wirklich zu kennen.

Universal Language ©2025 Rapid Eye Movies

Im Vergleich zum extravaganten überfrachteten Debüt ist Matthew Rankins zweiter Spielfilm ein Schritt weg vom Gaspedal. Mit seiner zurückhaltenderen Erzählweise, der mit sympathischen und amüsanten Einfällen pop-up-mäßig ausgestatteten Welt und der spürbaren Improvisation, die genau das begünstigt, was Rankin selbst in einem Interview als „spontane Magie“ bezeichnete, aber auch kein Schritt in eine reizlosere Richtung.

Fazit

„Wir sind für immer verloren in dieser Welt“ steht am Anfang des Films auf einer Tafel geschrieben – im Falle von Matthew Rankins zweitem Spielfilm ist diese Welt aus allerlei skurrilen Figuren und deren eigentümlichen Alltagsmissionen, aus theaterhaften Kulissen und amüsanten Einfällen, nachdenklichen Momenten und Huldigungen zusammengesetzt. Trotz der Schlichtheit und Einfachheit seiner Episoden und der teils zerpflückten Erzählung gibt es wesentlich unerfreulichere (filmische) Welten, in denen man verloren gehen kann.

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Review Fakten + Credits


Originaltitel Une langue universelle
Kinostart 18.12.2024
Länge: 89 minuten
Produktionsland Canada
Genre: Drama | Komödie
Regie Matthew Rankin
Executive Producer Ila Firouzabadi | Pirouz Nemati
Producer Sylvain Corbeil
Kamera Isabelle Stachtchenko
Cast Rojina Esmaeili, Saba Vahedyousefi, Matthew Rankin, Pirouz Nemati, Mani Soleymanlou, Ila Firouzabadi, Sobhan Javadi, Danielle Fichaud, Bahram Nabatian, Hemela Pourafzal, Dara Najmabadi, Denis Houle

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