Originaltitel: Vinterrejse
Kinostart: 22.10.2021
DVD/Blu-ray – Release: 12.11.2021
Länge: ca. 87 Minuten
Produktionsland: Dänemark | Deutschland
Regie: Anders Østergaard | Erzsébet Rácz
Schauspielende: András Bálint | Harvey Friedman | Bruno Ganz
Genre: Biographie | Drama | Historie
Verleih: Real Fiction
Martin Goldsmith ist ein bekannter amerikanischer Radiomoderator, der seine Wurzeln hier in Deutschland hat. Sein Vater Günther Goldschmidt ist in Deutschland geboren und hat hier einen Großteil seiner Jugend verbracht. Dies endete jedoch mit einer Flucht in die Vereinigten Staaten. Gespielt wird die Rolle des Günther von Bruno Ganz, der in seiner letzten Rolle zu sehen ist. Der großartige Schauspieler verstarb am 16. Februar 2019 an Darmkrebs, was ein sehr tragischer Moment für die deutsche Filmindustrie war. Seinerzeit prägte der vielseitige Darsteller die Kinoleinwände mit einzigartig gespielten Rollen. Zu seinen über 100 Filmen gehören auch DER HIMMEL ÜBER BERLIN und DER UNTERGANG, welche nicht nur hierzulande große Bekanntheit erlangten. Zuletzt konnten wir ihn in EIN VERBORGENES LEBEN sehen, welches somit der letzte Film war, der zu Ganz‘ Lebzeiten erschien. Der Film basiert auf Martin Goldsmiths Buch „Die unauslöschliche Symphonie. Musik und Liebe im Schatten des Dritten Reiches – eine deutsch-jüdische Geschichte“.
Darum geht es…
Martin Goldsmith fragt sich schon lange, wie seine Familiengeschichte eigentlich aussieht. Nur vage weiß er, dass sein Vater aus Deutschland kommt und von dort geflohen ist. Über den Rest der Verwandtschaft kann er kaum etwas sagen, außer das diese während des zweiten Weltkriegs in Deutschland starb. Nun, nach dem Tod seiner Mutter, möchte er endlich die Wissenslücken füllen und konfrontiert mehrfach seinen Vater Günther mit der Frage, was damals geschah. Anfangs sehr widerwillig, und später immer offener, erzählt Günther seine Geschichte, die viele spannende Ereignisse zur Zeit des Naziregimes offenbart und heute kaum noch vorstellbar sind.
Rezension
WINTERREISE ist ein sehr ungewöhnlicher Film, der zwischen Biographie, Dokumentation und Spielfilm hin und her tingelt und einen Grad der Erzählung findet, der sowohl mitreißend spannend ist als auch eine gewisse Eintönigkeit mit sich bringt. Das wohl bemerkenswerteste ist, dass wir hier eine biographische Erzählung präsentiert bekommen, die über die Hauptfigur berichtet, aber gleichzeitig nicht selbst von dieser verkörpert wird. Martin Goldsmith führt über die gesamte Länge des Films ein andauerndes Interview mit seinem Vater, welcher jedoch von Bruno Ganz verkörpert wird. Warum Günther, der sich in den USA in George Goldsmith umbenannte, nicht selbst vor die Kamera tritt, erfahren wir nicht. Es ist nicht auszuschließen, dass er bereits verstorben ist oder einfach nicht mehr in der körperlichen Verfassung war, an diesem Film selbst mitzuwirken.
Doch das ist auch nicht weiter tragisch, denn Bruno Ganz, der glücklicherweise in seiner letzten Rolle die komplette Screentime für sich vereinnahmen konnte, zeigt wieder einmal, was für ein genialer Schauspieler er war. Es ist ihm kaum anzumerken, dass es nicht seine eigene Lebensgeschichte ist, der er da erzählt, weshalb unwissende genau aufpassen müssen, um rauszuhören, wenn dann doch einmal ein anderer Name fällt. Ganz taucht in die Rolle des gebrechlichen und leicht dementen Günther hervorragend ein und erzählt „seine“ Geschichte mit so viel Innbrunst und Herzlichkeit, wie es wohl kaum jemand anders könnte. Seine Darbietung erinnert an die großartige Leistung von Anthony Hopkins in THE FATHER und ist dieser durchaus ebenbürtig. Eine große Stärke sind dabei die Dialoge, die keineswegs gekünstelt und auswendig gelernt wirken, sondern tatsächlich wie ein natürlich Gespräch – geprägt von Denkpausen, fehlenden Wörtern in der englischen Sprache, sowie einem eher einfach gehaltenen Sprachgebrauch.
Viele Schauwerte
WINTERREISE ist dabei ein Mix aus Gegenwartsaufnahmen, die eben jene Interviewartigen Sequenzen zeigen, und Rückblicken, die geprägt sind von Bild und Videoaufnahmen aus der Zeit. Eben jenes Archivmaterial wurde dabei teilweise spektakulär in Szene gesetzt, denn statt simpler Einblendungen der Fotos und der hintergründigen Story, wurden das gesamte Bildmaterial zum Leben erweckt. Leonard Scheicher, der in Kürze auch im Film HANNES zu sehen sein wird, mimt dabei eine Verkörperung des jungen Günther Goldschmidts und taucht ein in die vielen Fotos und Videos von damals. Dies wird natürlich durch eine digitale Bearbeitung ermöglicht, die es aussehen lässt, als würde sich Scheicher tatsächlich auf den Straßen der damaligen Zeit bewegen, auch wenn andere Personen weiterhin leblos bleiben. Diese Bewegungen finden sogar dreidimensional statt. Diese digitale Umsetzung ist hervorragend gelungen und sieht wunderbar aus. Sie bietet immer wieder einen beeindruckenden Schauwert, der zudem die erzählte Geschichte deutlich nachvollziehbarer untermauert.
Regisseur Anders Østergaard und Erzsébet Rácz setzen dabei auf einem Mix aus schwarz/weiß Darstellungen und aktuellen Farbbildern. Viele Aufnahmen werden zudem in einem Vintagelook dargestellt. Um zusätzlich den authentischen Aspekt herauszustellen, wurden für den Dreh auch historische Kameras sowie Original-Objektive verwendet, die dafür sorgen, dass wir neben der inhaltlichen Geschichte auch eine Reise durch die Zeit der Kameras und Filmaufnahmen machen. Dadurch erzeugt Østergaard den Eindruck als würden wir ein Geschichtsbuch lesen. Leider wird trotz des ruhigen Dialogs immer wieder eine wacklige Handkamera genutzt, die eher abstoßend wirkt und nicht viel Sinn zu machen scheint.
Persönliche Geschichte
Leider hat WINTERREISE auch ganz schöne Längen, denn so dramatisch die Geschichte des Günther Goldschmidts auch ist, so persönlich ist sie eben auch. Sprich wir bekommen zwar interessante Einblicke in eine andere Zeit, doch werden uns dabei nur wenig neue Informationen präsentiert, die es nicht schon in vielen anderen Kriegsfilmen und Retrospektiven gibt. Für den Sohn Martin Goldsmith ist dies natürlich eine fabelhafte und emotionale Reise, da er den persönlichen Bezug dazu besitzt, doch für außenstehende fehlt einfach der Mehrwert, der nicht durch Bruno Ganz entsteht. Somit werden im Verlauf des Films insbesondere die Rückblicke immer uninteressanter und regen zum Abschweifen an. Glücklicherweise handelt es sich um gerade einmal 87 Minuten Spieldauer, die entsprechend auch recht schnell vorüber gehen.
Fazit
Als persönliche und leidenschaftliche Aufarbeitung der eigenen Familiengeschichte und somit als Stammbaum der etwas anderen Art, ist WINTERREISE ein Film, dessen Bedeutungskreis leider etwas zu gering gefasst ist, wenn dieser auch für gewisse Menschen ein ganz besonderes Werk darstellen wird. Für alle anderen Interessierten bietet der Film vor allem visuell ganz besondere Schauwerte, denn neben dem grandiosen Bruno Ganz, der zum Abschluss seines Lebens noch einmal mit einer bravourösen Rolle aufwartet, sehen wir viele tolle Bildspielereien, die nicht alltäglich sind und neugierig machen. Alles in allem ist es somit schwer den Film zu empfehlen, auch wenn er einige besondere Schauwerte liefert. Für mich zieht der Film seine Stärken einzig und allein aus dem Schauspiel, den Bildern und vor allem der Idee, dies dokumentarisch aufzuarbeiten, ohne dass es dies letztlich ist.
Bruno Ganz ist zurück – doch leider nur auf der Leinwand. Nach seinem tragischen Tod im Jahr 2019 erscheint nun endlich der letzte Film, in welchem er glücklicherweise über die gesamte Spieldauer im Mittelpunkt steht und als mehr oder weniger einziger Darsteller zu sehen ist. Der Film bietet uns tatsächlich eine sehr spannende Grundidee, denn er ist dokumentarisch angelegt, ohne dies letztlich zu sein. Dabei erzählt er jedoch retroperspektiv eine Familiengeschichte, die uns als außenstehende Zuschauende nur bedingt tangiert und daher wohl nicht ihre ganze Kraft entfalten kann. Ich kann mir jedoch vorstellen, dass Menschen die damalige Kriegszeiten noch miterlebt haben, hier auch entsprechende Berührungspunkte finden. Dennoch gibt es zwei Dinge, die WINTERREISE besonders machen: die Performance von Bruno Ganz erinnert an das überragende Schauspiel von Anthony Hopkins in The Father und es ist kaum wahrzunehmen, dass Ganz hier nicht seine eigene Lebensgeschichte erzählt.
Darüber hinaus gibt es viele Bildspielereien, die bestens in Szene gesetzt wurden. So werden alte Fotografien wieder zum Leben erweckt durch dreidimensionale Interaktionen und mittels alter Kameras und Objektive gibt es zudem wunderbar historisch wirkende Aufnahmen. In der Machart somit sehr stark, in der inhaltlichen Erzählung, kann der Film jedoch nur bedingt punkten, weshalb es schwer ist, hier eine Empfehlung auszusprechen. Liebhaber von Bruno Ganz sollten jedoch auf jeden Fall einmal reinschauen.
Original title: Vinterrejse
Theatrical release: 22.10.2021
DVD/Blu-ray – Release: 12.11.2021
Length: approx. 87 minutes
Country of production: Denmark | Germany
Director: Anders Østergaard | Erzsébet Rácz
Acting: András Bálint | Harvey Friedman | Bruno Ganz
Genre: Biography | Drama | History
Distributor: Real Fiction
Martin Goldsmith is a well-known American radio host who has his roots here in Germany. His father Günther Goldschmidt was born in Germany and spent much of his youth here. However, this ended with an escape to the United States. The role of Günther is played by Bruno Ganz, who can be seen in his last role. The great actor passed away from colon cancer on 16 February 2019, which was a very tragic moment for the German film industry. At the time, the versatile actor made his mark on cinema screens with uniquely played roles. His more than 100 films include DER HIMMEL ÜBER BERLIN and DER UNTERGANG, which achieved great fame not only in this country. Most recently we could see him in EIN VERBORGENES LEBEN, which was the last film to be released during Ganz’s lifetime. The film is based on Martin Goldsmith’s book “The Inextinguishable Symphony: A True Story of Music and Love in Nazi Germany”.
That’s the story about
Martin Goldsmith has long wondered what his family history actually is. He only vaguely knows that his father comes from Germany and fled from there. He can hardly say anything about the rest of his relatives, except that they died in Germany during the Second World War. Now, after his mother’s death, he finally wants to fill in the gaps in his knowledge and repeatedly confronts his father Günther with the question of what happened back then. At first very reluctantly, and later more and more openly, Günther tells his story, which reveals many exciting events at the time of the Nazi regime that are almost inconceivable today.
Review
WINTER JOURNEY is a very unusual film that toddles back and forth between biography, documentary and feature film, finding a level of storytelling that is both thrillingly exciting and brings with it a certain monotony. Perhaps most remarkably, we are presented here with a biographical narrative that reports on the main character, but at the same time is not itself embodied by him. Martin Goldsmith conducts an ongoing interview with his father over the entire length of the film, who is, however, embodied by Bruno Ganz. We do not find out why Günther, who changed his name to George Goldsmith in the USA, does not appear in front of the camera himself. It cannot be ruled out that he has already died or was simply no longer in the physical condition to take part in this film himself.
But that is not a tragedy, because Bruno Ganz, who fortunately was able to take all the screentime in his last role, once again shows what a brilliant actor he was. It is hardly noticeable that it is not his own life story he is telling, which is why the uninformed have to pay close attention to hear out when another name is mentioned. Ganz dives into the role of the frail and slightly demented Günther brilliantly and tells “his” story with such fervour and heartiness as hardly anyone else could. His performance is reminiscent of the great performance of Anthony Hopkins in THE FATHER and is quite equal to it. A great strength are the dialogues, which do not seem artificial and memorised, but actually like a natural conversation – characterised by pauses for thought, missing words in the English language, and a rather simple use of language.
Lots of show values
WINTERREISE is a mix of present-day footage, which shows those interview-like sequences, and flashbacks, which are characterised by images and video footage from the time. Some of the archive material has been spectacularly staged, because instead of simply superimposing the photos and the background story, all the visual material has been brought to life. Leonard Scheicher, who will soon also be seen in the film HANNES, mimes an embodiment of the young Günther Goldschmidt and immerses himself in the many photos and videos from that time. This is, of course, made possible by digital editing that makes it look as if Scheicher is actually moving on the streets of the time, even though other people remain lifeless. These movements even take place in three dimensions. This digital realisation is superbly done and looks wonderful. It always offers impressive visual value, which also underpins the story being told in a much more comprehensible way.
Director Anders Østergaard and Erzsébet Rácz rely on a mix of black and white and current colour images. Many shots are also presented in a vintage look. To additionally emphasise the authentic aspect, historical cameras as well as original lenses were also used for the shoot, ensuring that we take a journey through the time of the cameras and filming in addition to the history of the content. In this way Østergaard creates the impression that we are reading a history book. Unfortunately, despite the calm dialogue, a shaky hand-held camera is used again and again, which is rather off-putting and doesn’t seem to make much sense.
Personal content
Unfortunately, WINTERREISE is also quite long, because as dramatic as Günther Goldschmidt’s story is, it is also very personal. In other words, we get interesting insights into another time, but we are presented with little new information that is not already available in many other war films and retrospectives. For the son Martin Goldsmith, of course, this is a fabulous and emotional journey, as he has the personal connection to it, but for outsiders there is simply no added value, which is not provided by Bruno Ganz. Thus, as the film progresses, the flashbacks in particular become increasingly uninteresting and encourage one to digress. Fortunately, the film is only 87 minutes long and therefore passes quickly.
Conclusion
As a personal and passionate reappraisal of one’s own family history and thus as a family tree of a somewhat different kind, WINTER JOURNEY is a film whose scope of meaning is unfortunately somewhat too narrow, even if it will be a very special work for certain people. For all others interested, the film offers very special visual spectacles, because in addition to the grandiose Bruno Ganz, who once again comes up with a bravura role at the end of his life, we see a lot of great visuals that are not commonplace and arouse curiosity. All in all, it’s hard to recommend the film, even if it does deliver some special showpieces. For me, the film draws its strengths solely from the acting, the images and above all the idea of treating this as a documentary without it ultimately being one.
Schauspieler:in | Rolle |
András Bálint | Professor Spittel |
Harvey Friedman | Martin Goldsmith |
Bruno Ganz | Georg Goldsmith |
Dani Levy | Landlord |
Izabella Nagy | Rosemarie Goldsmith |
Leonard Scheicher | Günther Goldsmith |
Fritzi Uhrig | Mädchen |
Joseph Goebbels | er selbst |
Adolf Hitler | er selbst |
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