Review Kurzkritik Fakten + Credits


Im Jahr 2014 kam ein deutscher Film in die Kinos, der dafür sorgen sollte, dass in den folgenden Jahren eine Mystery-Serie auf Netflix landete, eine deutsche Produktion, die auch international große Wellen schlagen sollte. Im Film WHO AM I geht es um eine Gruppe Hacker, die in die Fänge von russischen Kriminellen gerät. Regie geführt hat Baran bo Odar, der das Drehbuch gemeinsam mit Jantje Friese geschrieben hat. Nach dem Erfolg des Films wurde Netflix auf die beiden kreativen Köpfe aufmerksam, sie sollten eine Serie zum Film inszenieren. Statt sich auf diesen Deal einzulassen haben Friese und Odar eine neue Geschichte geschrieben. Eine Mystery-Serie, die auf drei Staffeln ausgelegt war und den Titel DARK tragen sollte. Die Serie spielt im fiktiven Ort Winden, in denen verschiedene Familien über mehrere Zeitepochen miteinander verbunden sind. DARK war die erste deutsche Netflix-Originalserie und wurde von allen Seiten für die interessante Handlung und den komplexen Plot gelobt.

1899 Serienstill

1899 ©2022 Netflix

Bereits im November 2018 wurde bekanntgegeben, dass Friese und Odar an einer neuen Serie für Netflix arbeiten. Bei 1899 handelt es sich erneut um eine komplexe Mystery-Serie, in denen diverse unterschiedliche Figuren begleitet werden. Für die beiden Showrunner*innen war es wichtig eine Serie zu schaffen, die den Geist Europas einfängt. Durch Themen wie den Brexit, oder den aufkeimenden Nationalismus in Europa, der dafür sorgt, dass immer mehr Rechtsextreme Gehör finden, wollten Friese und Odar eine Serie schaffen, in der die Grenzen überwunden werden und Europäer zusammenarbeiten. So wurde auf eine Besetzung geachtet, in der wir Schauspieler*innen aus allen Ecken Europas sehen, die in ihren Landessprachen sprechen. Damit ist 1899 die erste Serie die acht Originalsprachen hat. Auch hinter der Kamera wurde auf Expert*innen aus ganz Europa gesetzt. Man kann 1899 also schwer einem Land zuordnen, es handelt sich um eine europäische Serie.

Darum geht es…

Es ist das Jahr 1899. Die Kerberos, ein Schiff mit europäischen Auswanderern, ist auf dem Weg nach Amerika. Viele der Reisenden wünschen sich einen Neuanfang auf dem weit entfernten Kontinent. Am Ruder des Schiffes steht Kapitän Eyk Larsen (Andreas Pietschmann), ein deutscher Seefahrer, der schon seit Jahren für die Reederei arbeitet, schon bevor sie verkauft wurde. Für Larsen gibt es nur noch das Meer, nachdem er seine Familie bei einem tragischen Unfall verloren hat. Je länger die Fahrt dauert, desto mehr wird er von Alpträumen geplagt, in denen er seine Frau und die gemeinsamen Töchter sieht. Er ist aber nicht der Einzige, der seltsame Träume hat. Auch Maura (Emily Beecham), wird in der Nacht von realistischen Visionen geplagt. Sie erwacht mit Wundmalen an ihren Handgelenken. Nachdem das Schiff einige Tage auf See verbracht hat, empfängt die Brücke einen Hilferuf. Scheinbar nähern sie sich der Prometheus, einem Schiff, dass vor vier Monaten spurlos verschwunden ist. Larsen beschließt dem Signal nachzugehen, ohne zu ahnen, was dies für ihn und die anderen Passagiere bedeutet.

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Rezension

Sie haben es wieder geschafft! Mit 1899 haben Baran bo Odar und Jantje Friese eine Serie geschaffen, die genau wie DARK, in den Bann zieht und zum Rätseln einlädt. Schnell wird klar, dass irgendwas an Bord nicht stimmen kann und so beginnt man als Zuschauer*in eigene Theorien aufzustellen. In ihrer letzten Serie haben die beiden schon dafür gesorgt, dass man in jeder Folge genug Hinweise bekommt, um am Ball zu bleiben, dies gelingt in der neuen Serie sogar nochmal besser. In den ersten Folgen lernen wir die Figuren kennen. Es werden zwar in jeder Folge alle Handlungsstränge weitergesponnen, aber der Fokus bewegt sich auf unterschiedliche Figuren. In einer Folge erfahren wir etwas über das frisch verheiratete französische Paar, das nur aus wirtschaftlichen Gründen den Bund der Ehe eingegangen ist, in der nächsten geht es dann um die beiden spanischen Brüder, die scheinbar aus Europa fliehen müssen.

1899 Serienstill

1899 ©2022 Netflix

Diese Charaktere sind alle überaus interessant und vielschichtig geschrieben. Sie wirken wie echte Menschen, mit echten Problemen. Jede Figur hat individuelle Beweggründe dafür die Heimat zu verlassen. Besonders interessant wird es dann, wenn Charaktere verschiedener Nationalitäten aufeinandertreffen. Hier will ich einen wichtigen Hinweis geben. Man sollte 1899 im Originalton schauen, die Serie ist so konzipiert, dass die Spanier*innen spanisch sprechen, die Engländer*innen englisch, die Dän*innen dänisch usw. Es kommt immer wieder zu Gesprächen, in denen die Figuren sich gegenseitig das Herz ausschütten, vom Gegenüber aber nicht verstanden werden. Wenn man sich eine der Synchronfassungen anschaut, ergeben viele Szenen keinen Sinn mehr. Das macht 1899 zu einer sehr besonderen Serie, die es schafft, dass verschiedene Kulturen zusammenarbeiten müssen, um sich aus einer misslichen Lage zu befreien.




Schauspieler*innen aus allen Ecken Europas

Auch beim kompletten Casting kann 1899 vollkommen überzeugen. Sollte man bereits DARK gesehen haben, könnte man sich über die Besetzung von Andreas Pietschmann freuen. Pietschmann hat in der letzten Serie von Friese und Odar eine zentrale Rolle eingenommen und zeigt erneut, was für ein großartiger Schauspieler in ihm steckt. Er verkörpert eine Figur mit einer vernarbten Seele, die nie die Trauer über den Verlust der Familie überstanden hat. Trotzdem will er sich als Kapitän keine Schwäche eingestehen und steht zwischen diesen emotionalen Extremen. Neben Pietschmann stechen besonders Clara Rosager als die schwangere Tove und Emily Beecham als Maura hervor. Über den Verlauf der Serie lernt man auch diese beiden Frauen kennen, die beide ein tragisches Schicksal haben und ihre Traumata mit voller Hingabe verkörpern. Trotzdem kommt es gerade bei den anderen Deutschen Schauspielern immer wieder zu sehr hölzernen Dialogen, die wie auswendig gelernte Texte wirken. Allerdings ist das nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.

1899 Serienstill

1899 ©2022 Netflix

Inszenatorisch ist 1899, genau wie DARK, wieder fantastisch. Ähnlich wie THE MANDALORIAN wurde für die Spezialeffekte nicht auf Green-Screens gesetzt, sondern auf ein „Volume“. Es handelt sich dabei um eine Technik, in der echte Sets in ein Oval aus superhochauflösenden LED-Bildschirmen gebaut werden. Dadurch sehen die Darsteller*innen die Umgebung, in der sie sich befinden sollen und können sich besser ihre Rollen versetzen. Viel wichtiger ist dabei allerdings die Belichtung, die mit dieser Technik einhergeht. Scheint die Sonne rechts oben auf einem der Bildschirme, werden die Figuren auch aus dieser Richtung beleuchtet und das fertige Ergebnis sieht wesentlich realistischer aus. Auch die düsteren Schiffssets, die Kostüme und der großartige Soundtrack tragen ihren Teil zur Stimmung bei. Grundsätzlich gibt es einen atmosphärisch düsteren Score, der immer wieder von sehr experimentellen Musikstücken unterstützt wird. 1899 bekommt dadurch eine sehr düstere und unheilvolle Stimmung.

1899 Serienstill

1899 ©2022 Netflix

Eine europäische Serie

Wie oben erwähnt handelt es sich um eine europäische Serie, nicht nur inhaltlich, sondern auch auf metaphorischer Ebene. Wir sehen die Menschen der reicheren Länder (England, Frankreich, Spanien), die in der ersten Klasse reisen. Unter Deck, eingesperrt in einem schmutzigen Gruppenschlafraum befinden sich die ärmeren Reisenden und ganz weit unten dürfen Menschen, wie der Pole Olek, Kohlen schaufeln, damit das Schiff am Laufen bleibt. Dabei leben die Reichen in einer Blase der Arroganz und des Wohlstands. Baran bo Odar und Jantje Friese zeigen in der Serie 1899 einen Querschnitt unserer europäischen Gesellschaft und wollen verdeutlichen, dass Europa nur funktioniert, wenn alle zusammenarbeiten.

Fazit:   

Die Erwartungen an 1899 waren hoch und wurden eingelöst. Jantje Friese und Baran bo Odar ist wieder eine wahnsinnig spannende Mystery-Serie gelungen, die nicht das ist, was man auf den ersten Blick erwarten würde. Wir begleiten in acht Folgen einige sehr interessante und überaus gut geschriebene Figuren, dabei wie sie das Geheimnis ihres Schiffs lösen wollen. Es wurde dabei auf die kulturelle Identität der einzelnen Charaktere geachtet, sodass alle Figuren ihre Landessprache sprechen. Was auf den ersten Blick völlig konfus wirken könnte, wurde geschickt in eine kohärente Serie gegossen, die von Anfang bis Ende fesselnd ist. Die Kirsche auf der Torte ist dabei ein sehr origineller Mystery Plot, den man als Zuschauer*in zu durchschauen versucht und so dem Sog einer großartigen Serie erliegt. Man kann nur hoffen, dass diese Serie ein großer Erfolg wird, damit Jantje Friese und Baran bo Odar auch in Zukunft ihrer Kreativität freien Lauf lassen können.

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