Originaltitel: Berlin Alexanderplatz
Kinostart: ursprünglich: 25.06.2020 – ursprünglich (II): 30.07.2020 – neuer Termin: 16.07.2020
Länge: ca. 183 Minuten
Produktionsland: Deutschland
Regie: Burhan Qurbani
Schauspieler:innen: Welket Bungué | Jella Haase | Albrecht Schuch
Genre: Drama
Verleiher: Entertainment One Germany
Wer kennt ihn nicht, den Berliner Alexanderplatz? Einer der beliebtesten Touristenorte meiner Wahlheimat bekommt endlich seinen eigenen Film. Endlich? Nicht ganz, denn es gibt bereits zwei weitere Produktionen, die ebenfalls den gleichen Titel tragen. Piel Jutzi inszenierte schon 1931 einen Film, der bei zeitgenössischen Kritikern nicht gerade Anklang fand. Während dieser jedoch gerade einmal 88 Minuten Spieldauer hat, sprechen wir von der neusten Verfilmung schon von ganzen drei Stunden. Dies kann nur noch Rainer Werner Fassbinder toppen, der daraus eine 14 teilige Serie produziert hat, die weitläufig dennoch als Gesamtfilm mit einer Spieldauer von rund 15,5 Stunden bezeichnet wird. Ich hoffe daher, dass es verzeihbar ist, dass ich mir dieses Werk nicht zuvor zu Gemüte geführt habe, um nun diese Rezension zu verfassen. Eins haben alle drei Filme auf jeden Fall gemeinsam: sie basieren auf dem Roman von Alfred Döblin aus dem Jahre 1929 und umreißen ungefähr ein gleiches Handlungsschema.
Schon vor Kinostart konnte BERLIN ALEXANDERPLATZ einige Erfolge einfahren, denn bei der diesjährigen Vergabe des Deutschen Filmpreises heimste das Werk ganze fünf Auszeichnungen für sich ein und wurde nur noch von SYSTEMSPRENGER geschlagen. Hier wiederum findet sich auch eine interessante Parallele, denn in beiden Werken hat Albrecht Schuch eine Rolle und wurde in einem Film als bester Hauptdarsteller, im anderen als bester Nebendarsteller ausgezeichnet. Schuch gehört mit seinen 35 Jahren fast noch zu den jungen Wilden der deutschen Schauspielkunst und hat sich bisher eher durch deutsche Krimis gekämpft. Das bekannteste Werk bis zum letzten Jahr war mit Abstand DIE VERMESSUNG DER WELT, doch kann mit ziemlicher Sicherheit gesagt werden, dass die beiden aktuellen Erfolge sein Sprungbrett in eine ganz große Karriere sein werden.
Darum geht es…
Francis hat eine schwere Vergangenheit mit sich rum zu tragen. Nicht nur, dass er aus seiner Heimat mittels Flüchtlingsboot verschwindet, dieses Boot kentert auch noch und es ist ihm nicht mehr möglich seine Geliebte Ida vor dem Tod zu retten. Er selbst schafft es jedoch sich an den Strand von Südeuropa zu retten, von wo aus es ihn schließlich nach Deutschland verschlägt. Doch auch in Berlin angekommen entwickeln sich immer neue Probleme für den 30-jährigen Afrikaner. Ohne jegliche Papiere lebt er in einem Flüchtlingsheim und arbeitet schwarz. Ein Unfall auf der Baustelle, auf der er tätig ist, sorgt schließlich dafür, dass er durch ein verlockendes Angebot schrittweise in die Kriminalität abrutscht, obwohl er immer ein anständiger Mensch bleiben wollte.
Seine neue Zuflucht findet er bei Reinhold. Dieser ist Drogendealer und will Francis vor allem für seine Geschäfte missbrauchen, doch entwickelt sich aus ihrer gemeinsamen Arbeit schließlich eine innige, wenn auch zwanghafte Freundschaft. Francis‘ einziger Wunsch ist es, aus diesen kriminellen Machenschaften rauszukommen und ein geordnetes Leben mit einer liebenden Frau zu führen – ohne Angst, ohne Lügen, ohne Sorgen. Doch dies ist schwieriger als es klingt und Francis stehen große Herausforderungen bevor. Wird er es schaffen sich seinen Traum zu erfüllen?
Rezension
Etwas skeptisch angesichts der unschönen Vorzeichen, wie der Premiere auf der diesjährigen Berlinale, sowie einen eher ungeliebten Vorgänger, hat mich gerade der Deutsche Filmpreis doch ein wenig neugierig auf BERLIN ALEXANDERPLATZ gemacht. Nicht zuletzt natürlich, weil ich erfahren habe, dass Albrecht Schuch eine Hauptrolle spielt, der mich schon in SYSTEMSPRENGER absolut sprachlos vor Begeisterung gemacht hat. Mit schwankenden Vorzeichen waren nun optimale Bedingungen geschaffen für die Sichtung des Films, da sowohl eine Katastrophe als auch ein Erfolg mich nicht sonderlich überrascht hätten. Glücklicherweise kann ich nun jedoch sagen, dass der Film wirklich großartig geworden ist.
Wie zu erwarten, muss ich als erstes auf die Leistung Albrecht Schuchs zu sprechen kommen. Dieser hat es geschafft vom Prädikat „gute Arbeit, weiter so“ zu „genial, außergewöhnlich und bärenstark“ meiner persönlichen Schauspielerliebe aufzusteigen. Der wohl wichtigste Aspekt für diese Beurteilung rührt wohl daher, dass diese beiden extrem unterschiedlichen Rollen, die er in SYSTEMSPRENGER und BERLIN ALEXANDERPLATZ spielt, zeitlich so eng beieinander liegen, dass es gar keine andere Möglichkeit gibt als diese zu vergleichen. Schuch hat es geschafft seine Persönlichkeit komplett auf den Kopf zu stellen und von dem harten, dennoch familiären und liebenswerten Typen, auf ein unangenehmes, kleingeistiges, egozentrisches und asoziales Ekelpaket umzuschwenken. Diese neue Rolle als Reinhold kitzelt auch das letzte bisschen Talent aus ihm heraus und lässt ihn zu Höchstform auflaufen. Er gibt ein so vollkommen neues Gesamtpaket ab, dass es tatsächlich in den ersten Auftritten nicht ersichtlich war, dass er den Reinhold mimt.
Schuch lässt Bungué alt aussehen, leider
Etwas schade ist es angesichts dieser Brillanz schon fast, dass die eigentlich noch viel größere Hauptrolle, verkörpert von Welket Bungué, dabei deutlich in den Hintergrund rückt obwohl auch hier eine wahre Augenweide von schauspielerischem Talent zu sehen ist. Bleibt somit zu hoffen, dass Bungué beim nächsten Film nicht mit einem ganz so starken Darsteller zu tun hat, denn sehenswert ist sein Auftritt allemal ebenfalls. Natürlich darf ein Wort zu Jella Haase auch nicht in dieser Rezension fehlen, denn endlich schafft sie es wirklich erfolgreich aus ihrer FACK JU GÖHTE-Rolle herauszutreten. In fast all ihren Filmen wirkt immer dieser unangenehme Beigeschmack der zwar grandios gespielten, aber auch etwas verhassten, Chantal mit. Mit BERLIN ALEXANDERPLATZ hat sie es nun jedoch geschafft, sich endgültig von dieser Rolle zu lösen und ihren ganz eigenen Charme aufleben zu lassen.
Doch ist natürlich die Schauspielerei nur einer der wesentlichen Anteile eines Films. Der wohl wichtigste Aspekt ist selbstverständlich die Geschichte. Etwas freier als die beiden Vorgänger den gleichnamigen Roman interpretiert haben, zeigt uns Regisseur Burhan Qurbani eine wirklich zeitgemäße Interpretation der Handlung. Im Fokus steht dabei eigentlich zwei Faktoren: die Kritik an der Gesellschaft hinsichtlich der Asylpolitik und den daraus resultierenden möglichen Folgen, sowie das persönliche Streben nach Glückseligkeit und einem erfüllten Leben unter widrigen Bedingungen. Diese zwei großen Komponenten vereint, bilden eine allseits bekannte, aber dennoch zeigenswerte Story, die auf das Leben von Flüchtlingen in Deutschland einen ganz neuen Blick wirft und den gesellschaftlichen Abstieg bis hin zur Kriminalität beeindruckend wiedergibt.
Stilsicher und kurzweilig
Gesplittet in fünf Kapitel und einen kurzen Epilog, orientiert sich Qurbani im weitesten Sinne an der Struktur der Buchvorlage und gestaltet im gleichen Maße einen Antihelden unter neuem Namen und neuer Identität. Dabei zeigt er Kreativität auf allen Ebenen und nutzt die drei Stunden Spielzeit vollends und effektiv aus. Eröffnet wird der Film mit der Off-Stimme von Jella Haase, die den Grundstein für den Inhalt legt und immer wieder erzählerisch einwirkt auf Gedanken, Gefühle und Perspektiven. Zudem bekommen wir einen recht kurzen One-Shot-Moment zu sehen, in welchem sich die Kamera lange Zeit in einer 360° Bewegung um die Protagonisten dreht. Ich selbst mag diese Form der Aufnahme eigentlich nicht sonderlich, doch wurde hier genau das richtige Tempo gefunden, so das jede Bewegung nahezu perfekt in die Situation passt.
Auch die Spieldauer ist ein Aspekt, der zur Sprache kommen sollte. Wie schon erwähnt erwarten uns hier drei Stunden Film, was für die meisten schon zu absolut schwerer Kost zählt und zumeist dann doch eher für einen Epos wie AVENGERS: ENDGAME geopfert wird. Doch fühlt sich BERLIN ALEXANDERPLATZ zu keinem Zeitpunkt so ausufernd an, wie es zu erwarten war – im Gegenteil, die Zeit vergeht deutlich schneller als man denkt und vom ersten bis zum letzten Kapitel kann eine Dramatik auf hohem Niveau gehalten werden, die stets das Interesse der Zuschauer aufrecht erhält. Dies wird aus der überaus geschickten Kombination aus genialer Schauspielkunst, guter Story und herrlicher Bilder geschaffen. Diese drei Komponenten werden in einem ausgewogenen Maß immer wieder neu interpretiert und regelrecht perfektioniert über die gesamte Laufzeit.
Perfektion ist überbewertet
Doch einen kleinen, nicht gerade schwerwiegenden, Kritikpunkt habe ich doch noch gefunden, der mir gerade zum Ende hin etwas unangenehm aufgestoßen ist: Qurbani arbeitet mit teilweise sehr vielen bunten und intensiven Farben und Lichteinflüssen, die ganz der Posterschrift entsprechen und auf Dauer doch etwas abstrahierend wirken. Darüber hinaus gibt es einige wenige Szenen, die etwas aus der Luft gegriffen scheinen und nicht so recht Sinn ergeben wollen, auch wenn sie vermutlich einer Metaebene entspringen, die visuell ein Befinden erläutert. So besteht die einzige Verbindung zum Alexanderplatz fast ausschließlich darin, dass dieser Ort als ein Aushängeschild der Stadt Berlin gilt, in der die gesamte Handlung spielt. Auch die stöhnenden oder eher hechelnden Geräusche erzeugen zusammen mit dem Einwurf mehrerer Einzelwörter gelegentlich einen Ansatz für die Frage: Warum und was wollt ihr damit erreichen?
Doch wie gesagt, dies sind nur ein paar wenige kleine Anmerkungen, die zeigen, dass BERLIN ALEXANDERPLATZ kein Meisterwerk per se ist, dennoch aber zu beeindrucken weiß und mich in meiner Meinung doch sehr überrascht hat. Insbesondere möchte ich noch einmal das Schauspieltrio hervorheben, welches wirklich genial war und von denen ich gerne mehr sehen möchte. Und speziell für Albrecht Schuch hoffe ich, dass seine Karriere nicht der teilweise katastrophalen deutschen Filmwirtschaft zum Opfer fällt und er letztlich wieder nur in irgendeinem langweiligen Krimi oder einer dämlichen Komödie zu sehen ist.
Ähnlich wie schon die beiden Vorgänger, basiert dieser Film auf dem gleichnamigen Buch von Alfred Döblin aus dem Jahr 1929 und zeigt uns den gesellschaftlichen Verfall einer ohnehin schon schwer angeschlagenen Figur. Trotz aller Skepsis, die sich im Vorfeld bei mir aufgebaut hat und trotz aller Sorgen hier eine dreistündige Arthouse-Qual erleben zu müssen, ist es einfach fantastisch sagen zu können, dass uns genau das Gegenteil erwartet. Wir bekommen eine deutsche Geschichte, die mal nichts mit Krieg zu tun hat, die auf allen Ebenen sagenhaft inszeniert wurde und Begeisterung auf vielfache Weise hervorruft. Neben einer stets dramatischen und spannenden Storyline, die zu keinem Punkt so richtig wegsackt, bekommen wir abwechslungsreiche Stilmittel präsentiert, die den Filmgenuss über einen solch langen Zeitraum sehr angenehm gestalten.
Doch die absolute Krönung ist das schauspielerische Auftreten der drei Darsteller Welket Bungué, Jella Haase und allen voran Albrecht Schuch. Ausnahmslos alle drei konnten mich vollends begeistern und in meiner Langkritik könnt ihr auch nachlesen, warum dies so war. Doch auch hier muss ich Herrn Schuch noch einmal gesondert Loben, denn vor allem in Angesicht seiner vorherigen überragenden Rolle in SYSTEMSPRENGER, hat der Mann es geschafft sich komplett neu zu erfinden und eine unfassbare Darbietung abzuliefern, die mich absolut sprachlos gemacht hat. Ich habe tatsächlich mehrere Momente gebraucht, um ihn überhaupt erst in seiner Figur erkennen zu können und das spiegelt für mich absolute Genialität wider!