Bewertung Michel Rieck

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Originaltitel: Nareul Chajajwo (나를 찾아줘)
DVD/Blu-ray – Release: 29.01.2021

FSK 16

FSK 16 ©FSK

Länge: ca. 108 Minuten
Produktionsland: Südkorea
Regie: Seung-woo Kim
Schauspieler:innen: Lee Yeong-ae | Hae-Joon Park | Won-geun Lee
Genre: Drama | Thriller
Verleih: Busch Media Group

Bring Me Home

Bring Me Home © 2021 Warner Bros. Entertainment Inc.

Missing Children Europe ist eine Organisation, die sich um, wie es der Name schon sagt, vermisste Kinder in ganz Europa kümmert und unterstützt diese zu finden. Insbesondere ist dies eine Organisation, die es sich zum Ziel gemacht hat betroffene Personen umfassend zu informieren und als Ansprechpartner zu fungieren in einer solch katastrophalen Situation. Jedoch gibt es unterschiedlichste Gründe, warum ein Kind nicht mehr aufgefunden werden kann. Tatsächlich sind es über 50% der Fälle, in denen es sich simpel und einfach nur um Ausreißer:innen handelt, die die Flucht vorm Elternhaus aus den unterschiedlichsten Gründen ergreifen. Auch elterliche Kindesentführungen sind nicht unwesentlich, auch wenn diese häufig mit elterlicher Sorgerechtsverletzung zusammenhängen und nicht selten aufgeklärt werden können.

Mit gerade einmal 0,4% ist die Rate der kriminellen Entführungen jedoch glücklicherweise äußerst gering, umfasst in Europa jedoch immer noch rund 1.000 Kinder – ohne Frage noch immer eine viel zu hohe Zahl. Entsprechende Angaben für asiatische Länder, speziell Südkorea, sind leider nur schwer bis gar nicht ermittelbar, was natürlich nicht heißt, dass ein entsprechender Verlust dort nicht stattfindet. 21.551 Kinder sollen 2019 dort vermisst gemeldet wurden sein. Während 2018 noch rund 400 weitere Kinder als vermisst gemeldet wurden, stieg die Zahl der nicht wiederaufgefundenen um rund 1.000% von 10 auf 99 Kinder. Diese Daten ergehen aus Veröffentlichungen der nationalen Polizeibehörde Südkoreas sowie Studien von missingchildeneurope.eu. Neben diesen grauenhaften Zahlen gibt es jedoch auch positive Aspekte, denn immer wieder organisieren sich Menschen, um solche Kinder wieder aufzufinden mit sehr wechselhaftem Erfolg.

Darum geht es…

In BRING ME HOME geht es um einen solchen Verlust. Jeong-yeon ist auf der Suche nach ihrem verschwundenen Sohn Yoon-su. Schon sechs Jahre ist der Junge verschwunden, doch die beiden Eltern haben die Suche nicht aufgegeben. Insbesondere Jeong-yeons Ehemann Myeong-gook ist ständig mit dem Auto unterwegs und grast die einzelnen benachbarten Ortschaften ab, um eine Spur des Kleinen zu finden. Gerade als sich solch eine auftut geschieht ein tragischer Unfall, der ihm das Leben kostet. Dies jedoch bringt eine Welle der Informationen in Gang, die nicht mehr zu stoppen ist und schließlich auch die Mutter auf die scheinbar richtige Fährte führt. Doch wird sie ihren Sohn tatsächlich wiederfinden? Erkennt dieser sie überhaupt noch nach all der langen Zeit?

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Rezension

Mit diesem südkoreanischen Film bekommen wir einen Missstand präsentiert, der nur selten Berücksichtigung im cineastischen Dasein findet. Große Teile der Laufzeit beschäftigt sich das Werk dabei mit der Suche nach dem verschwundenen Jungen und beleuchtet dabei verschiedene Aspekte – von der Rückkehr zu einer gewissen Alltäglichkeit bis hin zur verzweifelten Endlossuche, die es den Menschen schier unmöglich macht unbeschwert weiterzuleben. Gerade in letzterem Punkt kann BRING ME HOME gut punkten, als Vater Myeong-gook mitten in einem Bewerbungsgespräch einen Hinweis bekommt, der auf die erlösende Antwort seiner Suche hindeutet und die Frage aufwirft, ob man einem mutmaßlichen Beweis folge oder die Priorität daraufsetzt, sein Leben abseits der Trauer wieder in gerade Bahnen zu lenken. Dieser Konflikt wird in diesem Moment spannend aufgeworfen und bindet das Publikum so gut, dass es wie eine eigene Niederlage wirkt als die scheinbare Rettungsmission scheitert.

Bring Me Home

Bring Me Home © 2021 Warner Bros. Entertainment Inc.

Mit seinem Regiedebüt begeistert Seung-woo Kim auf ganzer Linie, denn wie schon so häufig zu sehen in Filmen dieses Herkunftslandes entwickelt sich ganz allmählich und mittels sehr ruhiger Erzählweise ein kleines inszenatorisches Meisterwerk. Ein besonderer Fokus wurde dabei auf die Abstimmung von Bild und Ton gelegt, denn mit recht simplen Kameraaufnahmen und einem herausragenden abgestimmten Score, welcher im Wesentlichen aus sanften Klavierklängen besteht, wird die Stimmung stets angemessen geführt und aufgebaut. Hier macht sich immer wieder ein wundervolles Timing bemerkbar. Insbesondere ist dies zu spüren, als eine verzweifelte Suche gerade ihren scheinbaren Höhepunkt findet, visualisiert durch die erfolgreiche Suche des Sohnes – dieser Erfolgsmoment jedoch in Sekundenschnelle wieder zerstört wird und somit eine komplett neue Tonalität des Films eröffnet.

Bring Me Home

Bring Me Home © 2021 Warner Bros. Entertainment Inc.

Im Rausch der Sinne

Besonders dieser Stimmungswechsel gefällt äußerst gut, denn nach einem eher gemächlichen Intro, welches über die Länge der Spieldauer einfach anstrengend gewesen wäre, wechselt die Handlung plötzlich in eine rasante Abfolge von Ereignissen, die Wut, Verzweiflung und Trauer in kaum vergleichbaren Maßen hervorbringt und wiedergibt. Spürbar entwickelt sich eine Atmosphäre, die geradezu angespannt wirkt und immer wieder mit neuen unerwarteten Entwicklungen daherkommt. Neben dem wohl wichtigsten Moment, der zeitgleich bei Erwähnung ein großer Spoiler wäre, wird das Publikum auch vor Gewalt und Kindesmissbrauch kaum geschont und ist gezwungen immer wieder schreckliche Augenblicke zu durchleben.

Tatsächlich wirkte BRING ME HOME teilweise strukturell wie ein Abklatsch vom Erfolgsfilm PARASITE, denn auch hier wurde eine Handlung sehr detailliert und umfangreich eingeführt, verziert mit einem kleinen Genremix, welcher schlussendlich in einem großen, teilweise gewalttätigen und blutigen Finale gipfelte und immer wieder von überraschenden Wendungen geprägt war. Einzig die Leichtigkeit, die den Oscarfilm dabei hervorragend auszeichnete, kann das hiesige Werk nicht in gleichem Maße transportieren, allein schon wegen der deutlich schwereren Thematik. Gerade diese Melodramatik, die jedoch Einzug hält, ist zeitgleich auch ein wichtiger Identitätsfaktor für den gesamten Film und sorgt schlussendlich auch für tränenrührende Szenen. Menschlichkeit ist dabei ein wesentlicher Faktor und zeigt sich vor allem auch in der Idee für den Film, denn Regisseur Seung-woo Kim kam durch einen Vermisstenflyer auf die Idee, indem er sich fragte, wer wohl diesen aufgehängt haben könnte und wie es der Person gehen muss.

Bring Me Home

Bring Me Home © 2021 Warner Bros. Entertainment Inc.

Genau diese Frage thematisiert dieses Drama immer wieder und setzt uns ein paar wesentliche und tiefgreifende Problematiken vor Augen: Was gibt es Schlimmeres als seinen Sohn (respektive Tochter) verschollen zu wissen? Was gibt es Schlimmeres als seinen Sohn (respektive Tochter) entführt zu wissen? Der Film gibt eine klare Antwort hierauf und bleibt somit lange im Gedächtnis, auch wenn ergänzt werden muss, dass die erste Hälfte des Thrillers recht harmlos daherkommt und somit nur den eigentlichen Plot aufbaut und daher nur wenig bleibende Momente hinterlässt.

Fazit

BRING ME HOME ist wieder einmal ein kleines Meisterwerk der südkoreanischen Filmindustrie und zeigt uns mit bravourösem Engagement von Hauptdarstellerin und Regisseur eine mitreißende Geschichte, die wieder einmal die Schlechtigkeit der Menschen auf die Spitze treibt. Doch auch abseits davon lebt das Werk von fantastischen Inszenierungen, angefangen mit dem ersten Shot, in dem eine Frau bei leiser stiller Klaviermusik durch ein Watt wartet, bis hin zum großen dramaturgischen Höhepunkt, der zwar minimal zu langgezogen ist, aber dennoch voller Spannung steckt und eine überraschende und unerwartete Wendung nimmt sowie einem Schlag in die Magengrube gleicht. Emotional mitfühlend wird uns hier Verzweiflung und menschlicher Ekel gleichermaßen offenbart und bis an den Rand der Erträglichkeit ausgespielt. Somit bekommt der Film eine absolute Empfehlung!

Erneut zeigt sich uns ein kleines Meisterwerk der südkoreanischen Filmindustrie und mit bravouröser Arbeit von Hauptdarstellerin und Regisseur präsentiert sich uns eine mitreißende Geschichte, die wieder einmal die Schlechtigkeit der Menschen auf die Spitze treibt. Doch auch abseits davon lebt das Werk von fantastischen Inszenierungen, angefangen mit dem ersten Shot, in dem eine Frau bei leiser stiller Klaviermusik durch ein Watt wartet, bis hin zum großen dramaturgischen Höhepunkt, der zwar minimal zu langgezogen ist, aber dennoch voller Spannung steckt und eine überraschende und unerwartete Wendung nimmt sowie einem Schlag in die Magengrube gleicht. Emotional mitfühlend wird uns hier Verzweiflung und menschlicher Ekel gleichermaßen offenbart und bis an den Rand der Erträglichkeit ausgespielt. BRING ME HOME schafft es zudem eine Geschichte zu erzählen, die ähnlich zu BURNING kaum in Worte fassbar ist und dennoch strukturelle Grundlagen von PARASITE aufzuweisen scheint, obwohl hier natürlich noch einmal generell differenziert werden muss, da die beiden genannten Filme doch noch einiges mehr an Qualität einbringen können. Dennoch lohnt es sich den hiesigen Film einmal zu erleben!

Bring Me Home

Bring Me Home © 2021 Warner Bros. Entertainment Inc.