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Die geheime Tochter

Die geheime Tochter ©2022 capelight pictures

Ungewollte Kinderlosigkeit ist für viele ein scheinbar harmloses Thema, denn auch eine Partnerschaft zu zweit kann seine Freuden haben, und immer mehr Paare entscheiden sich in Deutschland sogar explizit gegen Nachwuchs. Dass es sich hierbei jedoch keineswegs um ein belangloses Thema handelt, zeigen verschiedene Einzelfälle immer wieder. Jährlich schwanken die Entführungszahlen von Babys zwischen ein und zehn – genaue Werte dazu gibt es leider nicht.[1] Nicht selten ist das Motiv der entführenden Personen der unerfüllte Kinderwunsch. Laut Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend ist fast jedes zehnte Paar zwischen 25 und 59 Jahren bestrebt, ein Kind zu bekommen, dabei aber leider erfolglos.[2] Auf der hier verlinkten Seite wird ein Überblick an Lösungs- und Beratungsmöglichkeiten geboten, die betroffenen Paaren helfen sollen. Der spanische Regisseur Manuel Martín Cuenca kreiert auf Basis dieses Hintergrundes seinen neuen Thriller, der hierzulande direkt im Heimkino erscheint.

Darum geht es

Es scheint ein guter Plan zu sein, in den die minderjährige Irene eingewilligt hat: Das Pärchen Javier und Adela sorgen dafür, dass die in Haft sitzende junge Mutter aus der Jugendstrafanstalt rauskommt und in Ruhe ihr Baby bei den Beiden in einem abgelegenen Haus in den Bergen zur Welt bringen kann. Dafür würde das Neugeborene dem kinderlosen Paar überlassen werden, und Irene könnte noch einmal ganz von vorne durchstarten und sich ein wunderbares Leben aufbauen. Die leiblichen Eltern wären auch zu Besuch gern gesehene Gäste. Doch alles wird unnötig kompliziert, als Irene die Sehnsucht nach dem Vater packt und sie sich zunehmend Gedanken darüber macht, ob sie das Kind nicht vielleicht doch behalten möchte. Javier und Adela müssen umgehend reagieren, damit ihr Kindeswunsch nicht zerplatzt.

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Rezension

Mit DIE GEHEIME TOCHTER bekommen wir einen Film, der sich vor allem auf die ruhigen Töne konzentriert und mit einem enorm langsamen Pacing viele Zuschauenden frühzeitig abschrecken wird. Das Grundkonzept ist dabei vergleichbar mit dem skandinavischen Überraschungshit LAMB, auch wenn Manuel Martín Cuencas Film sich fern hält von mystischen Begebenheiten. Ausgeschrieben als Thriller wird sich das Publikum doch lange Zeit fragen, wo diese Einschätzung her stammt, denn im Grunde sehen wir nur ein aufrichtiges Drama, welches eine einfühlsame Geschichte um ein liebesvolles Paar schildert, welches angesichts der absehbaren Elternschaft im Glück schwebt. Die Handlung dreht sich dabei zu großen Teilen nur um das abgeschiedene Zusammenleben der drei zentralen Figuren und den Umgang des Ehepaares mit Launen der jungen Mutter. Dies für sich würde schon eine reizvolle Geschichte liefern.

Die geheime Tochter

Die geheime Tochter ©2022 capelight pictures

Cuenca versteht sich jedoch hervorragend darin, diesem Drama einen interessanten Drive zu verpassen, in dem er völlig nachvollziehbare Entscheidungen und Meinungsänderungen aneinanderreiht und ein Actio gleich Reactio Prinzip etabliert. Sprich immer, wenn Irene sich neu positioniert in ihrer Meinung oder andere Wege in ihrer Handlung einschlägt, müssen die Hausbesitzenden auf die Umstände reagieren und passende Gegenmaßnahmen einleiten. Wellenartig türmen sich diese Aktionen und Reaktionen immer weiter auf und beginnen schrittweise zu eskalieren. Auf subtilste Art und Weise wird dem Publikum klar gemacht, dass das eigentlich gütige und herzliche Pärchen zwar moralisch handelt, aber dennoch in allen Taten dem Wunsch unterstellt ist, endlich als Familie mit Kind leben zu können.




In langsamen Schritten geht es hoch hinaus

Kameramann Marc Gómez del Moral, der unter anderem auch an der kinematographischen Entwicklung von THE IMITATION GAME beteiligt war, macht einen glanzvollen Job. Einerseits schafft er es durch mehrere imposante Drohnenshots, einen beeindruckenden Überblick über die landschaftlichen Gegebenheiten rund um das Anwesen zu bieten, andererseits erzeugt er durch gezieltes Zeigen oder eben nicht zeigen von Handlungen eine mystische Stimmung, die die Zuschauenden in eine ungewisse Lage versetzt. Über große Teile des Films hinweg fragt man sich, ob das unwohle Gefühl trügt oder ob hier eine total absurde Schei** abläuft und wir lediglich an der Nase herumgeführt werden. Mittels einer langen Schwarzblende wird zudem ein Breakpoint gesetzt, der klar erkennbar ist. Gerade im großen Finale des Films blendet del Moral von der eigentlichen Handlung ab und lässt nur noch die Akustik für sich sprechen, was als kleiner cineastischer Geniestreich betitelt werden kann, da dadurch Erwartungen und Ungewissheit noch einmal geschürt werden.

Die geheime Tochter

Die geheime Tochter ©2022 capelight pictures

Auch wenn DIE GEHEIME TOCHTER sich mit etwas mehr als zwei Stunden gerade im Anfangsteil etwas zu langatmig anfühlt, sorgen doch die starken Schauspielenden dafür, dass man stets neugierig bleibt. Patricia López Arnaiz bleibt zwar zumeist im Hintergrund, doch harmoniert sie fantastisch mit Javier Gutiérrez und gemeinsam wecken sie den Charme des Pärchens, welches wir aus LAMB kennen. Irene Virgüez fügt sich in dieses Duo zudem bestens ein und könnte glatt als die leibliche Tochter der beiden Erwachsenen durchgehen. Auch wenn man ihr kein bisschen das Alter von 15 Jahren abkauft, insbesondere nicht angesichts der Endszenerie, macht es Spaß, ihr zuzuschauen. Neben der langen Spieldauer entsteht das einzig größere Manko in der banalen Thematik des zur Toilette Gehens, welche gleich in mehreren Situationen außen vorgelassen wird und wodurch die Figuren zu dem idealisierten Menschen werden. Für den Film bleibt dies jedoch eine Banalität und sollte daher nicht zu sehr berücksichtigt werden.

Fazit

Spanische Thriller schaffen es nicht selten, Spannung aufzubauen und aus einem total banalen Handlungsstrang eine zugespitzte Dramaturgie entstehen zu lassen. DIE GEHEIME TOCHTER überrascht an dieser Stelle wirklich sehr, da das Werk als europäischer Slowburner in vielen Aspekten wirklich gut durchdacht ist und gleichzeitig von einer fantastischen Atmosphäre lebt, die kleinere Ungenauigkeiten geschickt übertünchen kann. Ich war überaus begeistert, und auch wenn ich zu Beginn eher gelangweilt zuschaute, hat der Film mich spätestens bei der Hälfte so gepackt, dass ich schlussendlich nun eine Empfehlung dafür aussprechen möchte.

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Quellen

[1] Chronologie von Fällen der letzten zehn Jahre, fr.de, abgerufen am 27.06.2022

[2] Hilfe und Unterstützung bei ungewollter Kinderlosigkeit, bmfsfj.de, abgerufen am 27.06.2022